Gerüttelt und vorher auch leicht gerührt

Besuch bei Herbert Reinecker in Baden: der macht Sekt und erklärt uns wie!

Herbert Reinecker

Wenn’s um Sekt geht, ist Herbert Reinecker ein alter Hase. Einer muss ja der Erste sein, und wenn es zeitlich dann gerade so passt: bitte, gerne. Es war nämlich so, dass erst ab 1987 in Deutschland die Sektherstellung für landwirtschaftliche Betriebe überhaupt möglich war. Erst da hat das Finanzministerium es zugelassen, dass auch Weingüter und Winzergenossenschaften – die zu den landwirtschaftlichen Betrieben zählen – Winzersekt machen dürfen, wenn sie wollen. Herbert Reinecker wollte. 1987 war er gerade mit dem Studium in Geisenheim fertig und fing – im elterlichen landwirtschaftlchen Gemischtbetrieb – mit der Sektherstellung an. „Ursprünglich war es eher hobbymäßig geplant“, sagt er rückblickend, aber „daraus wurde schnell mehr“. Weil er zum Versekten Maschinen brauchte, die aber damals noch nicht jeder hatte (vom Know-How ganz zu schweigen…) „kamen die Lohnversektungsaufträge fast zwangsläufig“. Das Wachstum verlief schnell, schon 1999 zog Reinecker mit der Privat-Sektkellerei Reinecker ins Gewerbegebiet, weil es im Ort zu eng für ihn wurde.

Herbert Reinecker4 ha bewirtschaften die Reineckers selbst – und alles wird zu Sekt weiter verarbeitet. Außerdem „kaufen wir noch von 2 ha Trauben hinzu“, was dann insgesamt 50.000 – 60.000 Flaschen „Reinecker Sekt“ ergibt. Doch die wahre Dimension des Betriebs ergibt sich durch die Lohnversektung: „Wir machen über eine Millionen Flaschen Sekt für Weingüter und Genossenschaften!“ Die Erzeuger liefern den Wein an, aus denen Reinecker Sekt macht – und dann holen die Erzeuger den Sekt (nach entsprechendem Lager) komplett fertig etikettiert und kartoniert wieder ab. „Rechtlich sind sie der Hersteller und wir nur die Dienstleister, der für die Versektung angestellt wurde.“ Über 200 solcher Kunden gibt es, mit durchaus unterschiedlichen Volumen – von 300 bis 50.000 Liter. „Mehr geht nicht mit dem Maschinenpark und Lagervolumen, und mehr wollen wir auch nicht!“

Die Kinder (31 und 29 Jahre) sind dabei, den Betrieb zu übernehmen, da wird sich einiges ändern. Sauvignon Blanc – derzeit noch in einer Cuvée dabei, mögen sie beispielsweise nicht, sie wollen die traditionellen Burgundersorten im Sekt haben. Wobei man als Zuhörer den Endruck hatte, dass Reinecker denkt: wenn’s mehr nicht ist! Denn der Begriff traditionell und was dahinter steht, passt ja ganz gut zu ihm. So wie bei einem anderen Projekt, das noch gar nicht so alt ist: 2019 hat Reinecker sich „noch ’nen Klotz ans Bein gehängt“ (O-Ton…), und zwar zusammen mit Fritz Keller (Oberbergen). Ein altes Korallenriff (ein sehr altes, rund zehn Mio. Jahre…) bildet den spannenden Boden im Isteiner Kirchberg. Der Isteiner Klotz gilt als einer der spektakulärsten Kalkfelsen Deutschlands, mit Blick auf Basel, den Rhein, in die Vogesen, die Alpen. Der karge Boden bedingt niedrige Erträge – aber das Ergebnis seien spannende hochwertige Weine. Das 10 ha große Weingut am Klotz ist immer noch im Aufbau. Anlagen müssen zum Teil umgepflanzt werden – arbeitsintensiv, aber spannend. Zum Weingut gehört ein eigenes kleines Team – und die beiden Familien, generationenübergreifend: auf Bildern sieht man Fritz und Friedrich Keller zusammen mit Herbert und Steffen Reinecker.

Doch zurück zum Sekt. Reinecker stellt Sekt nur, was man so ja nicht sagen und schon gar nicht schreiben darf, nach dem Champagnerverfahren her – auch den im Lohnverfahren. Also die klassische Flaschengärung: abfüllen, lagern, rütteln, degorgieren, dosieren. Bis zu 2 Jahre ist die Lagerung im Fixpreis drin, danach wird es extra berechnet, erläutert Reinecker und provoziert damit natürlich die Frage nach den Kosten. „Die Versektung kostet 2,20 € – 3,50 € pro Flasche“, sagt Reinecker bereitwillig – hinzu kommt natürlich der seit 1902 zu zahlende Beitrag für die kaiserliche Kriegsflotte (1,02 € gemäß § 1 Abs. 1 SchaumwZwStG.) und die Mehrwertsteuer.

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Der Chef am Rüttelpult

Alles geht hier seinen regulären Gang, und zwar Woche für Woche. Die Weine werden montags angeliefert – das ist der unromantische Teil: der Winzer fährt vors Fenster, Schläuche werden rausgereicht, der Wein in die reservierten Tanks umgepumpt. Abfüllung ist immer freitags – in der Zwischenzeit wird der Wein vorbereitet für die Abfüllung, die Flaschengärung. Hauptarbeit sei, die Hefe zu aktivieren, die dann in der Flasche für die Gärung sorgt. Dazu gehört, am Vortag der Abfüllung (also donnerstags), Zucker zuzugeben. „Da gibt’s auch keinen Unterschied, ob es der teuerste Champagner oder der billigste Sekt ist“, klärt Reinecker auf – es ist immer die gleiche Menge, nämlich 22 bis 24 g Zucker pro Liter. Das muss so sein, damit bei der Gärung der entsprechende Druck erzeugt wird.

Faustregel hin oder her, natürlich gibt es Laborkontrollen zur Überprüfung des Prozesses, denn „wenn da etwas nicht stimmt, wäre das fatal für den Sekt!“ Denn dann wäre der Druck zu hoch oder zu gering – beides nicht gut. 24 g Zucker ergeben 6 bar Druck beim Sekt. Für Crémant kommen aber beispielsweise nur 20 g Zucker hinzu, was weniger Kohlensäure ergibt. Und nun die hunderttausend-Euro-Frage: Was ist Crémant und wo kommt der Begriff her? Crémant ist ein Begriff aus der Champagne – „es waren ursprünglich Champagner mit weniger Kohlensäure, die man als Crémants bezeichnet hat“, erfahren wir von Herbert Reinecker. Aber als die Champagne sich ihren Champagner als Begriff hat schützen lassen, mussten sie die Bezeichnung Crémant (erst mal nur für die anderen französischen Gebiete) freigeben – mittlerweile geht das, der EU sei Dank, aber auch in anderen Ländern. Ganztraubenpressung und klassische Flaschengärung sind Voraussetzung für einen Crémant, bei dem immer das Anbaugebiet mit auf dem Etikett stehen muss.

Stichwort klassische Flaschengärung: die kommt in Deutschland bei weitem nicht so oft vor wie man meint: „In Deutschland sind maximal drei Prozent der Sekte klassisch hergestellt“, weiß Herbert Reinecker zu berichten. Allerdings seien es bei den Sekten, die in Baden hergestellt werden, 30 Prozent, ergänzte ein wissender Kollege aus dem Badischen…

Zurück zur Herstellung: „Wir lösen den Zucker und aktivieren die Hefe über vier Tage lang. Die Hefe muss sich akklimatisieren, es gibt eine mikroskopische Kontrolle, bei der ermittelt wird, ob sich die Hefezellen ordentlich vermehren. 2 Mio Hefezellen pro Milliliter sollten es schon sein. Ein Rührwerk hält alles in Bewegung, denn die Hefe muss sich ja gut und vor allem gleichmäßig verteilen. Freitags kommt der so vorbereitete Wein in die Flaschen.“ 3.500 Flaschen pro Stunde schafft die Anlage. Verschlossen werden die Flaschen mit Kronkorken, denn beim Degorgieren werden die Flaschen ja nochmal geöffnet. Erst danach kommt der Korken als Verschluss hinein.

Ich rekapituliere: Eine Füllung pro Woche mit dem Montag als unromantischstem Teil und dem Freitag als auch nicht gerade spektakuläre Füllung von Flaschen – ist da nicht mehr? Ja! „Der Dienstag und der Mittwoch sind die spannendsten Tage“, verrät Reinecker, „denn da wird der fertige Sekt degorgiert.“ Das werden wir nicht sehen – denn erstens ist es Freitag und zweitens nach 18 Uhr. Also außer dem Chef und uns kein Mensch mehr da…

RüttelpultDafür aber Flaschen. jede Menge Flaschen. Drei Millionen seien es, sagt Reinecker (ich habe nicht nachgezählt). In den Flaschen: Wein, Hefe, Zucker. Die Hefe nascht sich durch die 24 g Zucker, sie vergären in sechs bis zehn Wochen. „Die Hefe gärt laufend, bis der Zucker weg ist“, so entsteht genug CO2, um 6 bar Druck zu erzeugen. Zu rütteln gibt’s in dieser Phase übrigens nichts – erst wenn die Winzer ihren Sekt (meist in Teilmengen…) abrufen, kommt die Box mit den Flaschen aus dem Lager in die Rüttelmaschine. Alle vier bis sechs Stunden dreht sich die Box um eine viertel Umdrehung. Die Flasche geht dabei immer weiter hoch und die Hefe rutscht immer weiter in den Flaschenhals. Die bekannten Rüttelbretter sind natürlich heutzutage mehr Show als Realität, weil Maschinen die Arbeit erledigen. Aber es gibt sie natürlich noch – nicht nur für die Fotografen: Die Boxen müssen voll sein, damit man sie maschinell rütteln kann – bleiben Flaschen übrig, kommt das Rüttelpult zum Einsatz!

28mal hieß es früher – aber mittlerweile ist man ja weiter mit fast allem: mit der Züchtung und Selektion der Hefe, Alginate machen das Depot leicht rutschend, die Rüttlerei ist einfacher als früher! Früher musste man das ganze Depot aufschütteln, weil es geklebt hat – braucht man aber nicht mehr. Klärmittel sind gut, Hefen sind selektioniert, alles einfacher: da staunt der Geisenheim-Absolvent von früher.

EisgekühltDer spannendste Teil ist das Degorgieren. Die Flaschen kommen koppheister in eine Anlage, in der eine Kühlsole mit -27 Grad den Pfropfen herunterkühlt, so dass es dann gezielt Ploppen kann. Nach sieben Minuten ist es soweit, ein Haken nimmt den Kronkorken von der Flasche, der Eisklumpen mit Hefe kommt raus. Zurück bleibt der klare Sekt. Abschließend kommt die Dosage hinzu: die bestimmt, wie süß der Sekt werden soll. „Likör“ oder „Dosage“ nennt das der Fachmann – Wein und Zucker ist das. Bei Reineckers ist das ein Standard-Likör, von dem ganz wenig rein kommt. Um die Flasche wieder voll zu kriegen, wird mit dem Wein aufgefüllt, aus dem der Sekt ist.

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Agraffe an Gabel

Ortswechsel in die Alte Post in Müllheim, wo man „die Kunst der Gastfreundschaft“ pflegt – und zwar nicht nur auf geduldigem Papier, sondern auch gelebt und erlebt. Im Restaurant Hebelstube gibt’s die praktische Lektion zum Umgang mit Kein-Champagner bei einem Fine Dining. Die drei Sekte zum Essen sind Extra brut – was heißt: der Restzucker liegt irgendwo zwischen 0 bis 6 g. Der Chardonnay Blanc de Blanc beispielsweise hat 5 Gramm – „aber diese kleine Restsüße schmeckt man nicht durch die Kohlensäure“. Chardonnay ist die Hauptsorte bei Reinecker, und zwar nicht irgendeiner (natürlich nicht!), sondern „ein spezieller Klon, speziell für die Sektherstellung mit einer speziellen Genetik“. Also alles kein Zufall, sicher auch nicht, dass die Reben aus der Champagne kommen. Sie werden nicht so sehr reif, bilden nicht so viel Zucker (80 Oechsle, Chardonnay für Wein kann auch bis zu 100 Oechsle kriegen).

Sektgrundwein wird immer vor der physiologischen Reife geerntet, also nicht im Vollreifestadium. Das muss man wissen, denn  es soll ja kein kräftiger Wein werden: die Sekt-Grundweine sind leicht, dünn, vielleicht sogar säuerlich. Aber durch die Flaschengärung und die Lagerung werden sie dann völlig anders.

80 Oechsle gibt 11,5 % Alc, durch die zweite Gärung kommt nochmal was (1,5 %) dazu. Sekte sollten nicht mehr als 12-12,5 % haben – „13 würde ich als Fehler bezeichnen bei Sekt!“, meint Reinecker, denn „Sekt soll was Leichtes sein, nichts Kräftiges“.

Sekt durchs ganze Menü: das geht sehr gut! Auch wenn die Zuordnung halbblind erfolgte: „Es gab kein Probeessen, aber ich kenne die Küche und wusste, was es geben soll!“ Allenfalls führte Verwunderung zu Fachgesimpel: Wie es denn sein könne, dass die Säure vom Spargelsalat mit der Säure vom Chardonay harmoniere – so was aus der Gruppe der Analytiker. Oder aber man trank, genoss und schnodderte berlinerisch ein „mir hat’s geschmeckt, tut mir nicht leid!“ in die Runde – auch gut.

Feuerbach Steingässle Pinot Noir Extra Brut – ein Lagensekt, 100% Pinot Noir, Ganztraubenpressung – da läuft’s kaum rötlich raus, und nach der Gärung ist er weiß. Die Lage ist hoch (die höchste und kälteste im Markgräfler Land)  – 12 ha, früher für einen fruchtigen Rotwein bekannt. Ziereisen hat viel dort, für uns ist es ein perfekter Sektgrundweinstandort. Ein Winzer bewirtschaftet das Land, die Lese machen sie selber. Der Boden ist besonders, ein Tuffschlot, wie ein Mini-Vulkan. „Man könnte sagen, dass es auf Vulkangestein gewachsen ist“. Wenig Erdauflage, der Stein kommt früh: die Rebe hat’s schwer und muss leiden – aber insgesamt macht sie das robuster gegen Trockenheit. Niedrige Erträge muss man da in Kauf nehmen. Wein ist im Holzfass ausgebaut und liegt dort als Most bis in den September. Unfiltriert, nie geschönt – und der Schwefelwert ist extrem gering. Würde die Hefe nicht so viel Schwefel (20 mg!) produzieren, müsste man den nicht mal deklarieren. Drei Jahre lag der auf der Hefe, dann leicht dosiert – also wieder extra brut.

Wenn man so viel Berufserfahrung und zudem einen guten Ruf hat, kann man schon mal leicht lächelnd auf die Ausbildung in Geisenheim zurück blicken. „Nach dem Degorgieren geht’s nur noch bergab“, habe sein Professor damals in Geisenheim gesagt. „Aber das ist sowas von vollständig falsch!“ – in der Champagne ist es sogar Vorschrift, nach dem Degorgieren drei Monate zu lagern. Wir schauen, dass wir wenigsten drei Monate zurückhalten. Die jungen fruchtigen Sekte/Crémants brauchen das nicht, aber „je länger der Sekt auf der Hefe lag, desto mehr Zeit brauche er hinterher. Die Regel, wonach der Sekt dann „so lange lagerfähig ist wie er zuvor auf der Hefe lag“ könne „nicht mal so falsch sein“…

Cuvée Réserve Extra Brut: Spätburgunder und Chardonnay. Im Holzfass ausgebaut und – das ist besonders – mit Reserve-Weinen gearbeitet, also Weinen, die ein Jahr und älter sind. „So eine Art Solera-Prinzip“, wie Reinecker an einem (in den Zahlen fingierten) Beispiel erklärt. Wir haben 2.000 Liter Reserveweine und 8.000 Liter aktuellen Wein. Ergibt 10.000 Liter. Von diesem Verschnitt gehen wieder 2.000 Liter als Reserve zurück. Die kommen dann nächstes Jahr als Reserve wieder zum Einsatz.  „Das ist in Deutschland noch weitgehend unbekannt, und auch wir sammeln erst unsere Erfahrung!“ Aber damit könne man sehr spezielle Sekte herstellen. In unserer Cuvée stecken 3/4 16er Jahrgang, der Rest ist „ein Jahr älter oder noch älter“… 2018 wurde die Cuvée gefüllt und lag dann vier Jahre auf der Hefe.

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Abendessen mit Sekt

Chardonnay Blanc de Blanc Extra Brut
dazu: Spargelsalat | Konfierter Rhabarber | Ziegenfrischkäse

***

Feuerbach Steingässle Pinot Noir Extra Brut
dazu: BBQ Entenbrust | Ravioli von der Keule | Rhabarber | Alblinsen

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Cuvée Réserve Extra Brut
dazu: Dreierlei Bio Käse mit Chutney

 

Alte Post
Posthalterweg
79379 Müllheim im Markgräflerland

Tel. +49 7631 17870
alte-post.net

 

Privat-Sektkellerei Reinecker
Kleinmattweg 1
79424 Auggen

Tel. +49 7631 3441
sektkellerei-reinecker.de

[Besucht am 21. April 2023 | Alle Beiträge Baden]

Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).

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