Auf dem Jacobsweg

Lengerich - Ladbergen

Pilgermenü am Westfälischen Jakobsweg

Seit nahezu tausend Jahren beschreiten Pilger den Jakobsweg – sie alle haben ein Ziel: Santiago de Compostella. Das ist, zumindest nach den Vorstellungen der Alten, am Ende der Welt. Und dahin zu gehen, zu Fuß hunderte von Kilometern zurück zu legen, war schon eine besondere Leistung – denn atmungsaktive Schuhe und Hightech-Klamotten waren den Pilgern damals fremd, um das einfach mal so in Erinnerung zu rufen.

Wer heute pilgert (und es werden immer mehr: 1978 kamen 13 Menschen Santiago an, im „Heiligen Jahr“ – wenn der 25. Juli als Festtag des hl. Jakobus d. Ä. auf einen Sonntag fällt – sind es schon immer mehr gewesen, 2004 aber bislang unschlagbare 179.944), wer also heute pilgert, hat meist andere Gründe als die Pilgerväter. Die Wikipedia, der ich auch die eben genannten Zahlen entnehme, nennt einen nicht unwesentlichen: „2007 machte sich der „Kerkeling-Effekt“ auf dem Camino francés bemerkbar. Nach Angaben der Deutschen St. Jakobus-Gesellschaft stieg die Zahl der deutschen Pilger, die bei ihrer Ankunft in Santiago registriert wurden, im Vergleich zum Vorjahr überproportional von 8.097 auf 13.837. Damit waren 12 Prozent aller Pilger, die in Santiago angekommen sind, Deutsche.“

Hechtklößchen mit Flußkrebsen in Rieslingsauce, glasierten Gurken und PetersilienkartoffelnModerne Pilger benehmen sich also durch und durch anders als traditionelle Büßer – und da kann man es sich auch erlauben, nur mal so einfach einen Wegeabschnitt zu laufen, weil er eine nette Wanderung abgeben könnte. In Westfalen wurden im April dieses Jahres die Wege der Jakobspilger in Westfalen komplettiert, und eine Station ist Ladbergen. Da wollte ich immer schon mal zu Fuß hingehen, wenn auch nicht aus Dresden (das wäre mir zu lang!) – aber aus Lengerich, der nächsten größeren Stadt, könnte ich mir das gut vorstellen!Im Gasthaus zur Post in Ladbergen bieten sie ein Pilgermenü an – ein leichtes dreigängiges Essen, das der Küchenchef Oliver Lisso aus dem aktuellen Angebot zusammenstellt. Das sollte die Belohnung sein für meinen Einstieg in die Pilgerei!

Die PilgermuschelIn Lengerich geht’s an der Evangelischen Stadtkirche (St. Margareta) los. Wenn man die Döppen auf hat („Döppen“ ist westfälisch und meint die Augen!), sieht man einen Findling mit dem Zeichen der Jakobspilger, einer Jakobsmuschel. Das vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe, der die Wegführung erforscht hat, herausgegebene Buch mit den Wegen der Jakobspilger in Westfalen lässt einen gleich am Anfang etwas im Stich – wie in allen Städten, wo die dezente Pilgerbeschilderung (gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund, geschätzt zehn Quadratzentimeter klein) im kommerziellen Werbeschilderwald untergeht: „Wir verlassen“, lese ich da leicht verzweifelt, „die Innenstadt nach Süden.“ Wir sind wahrscheinlich erst mal nach Norden gegangen, was aber auch sehr hübsch war, durch ein altes Torhaus hindurch, das sie heute „Römer“ nennen, ohne zu wissen warum.

Der RömerWir mogeln uns also aus Lengerich heraus und wählen als Wiedereinstieg einen Punkt, der leicht zu finden ist: Die L 555 kreuzt den Jakobweg – beziehungsweise: Der neue Jakobweg, wie wir ihn laufen, kreuzt den ursprünglichen, der schon damals die Verbindung zwischen Lengerich und Ladbergen war und heute ziemlich viel befahrene Landstraße ist: Die L555 also ist der ursprüngliche Jakobsweg – da bin ich schon mehrfach mit dem Auto lang gedüst, nichts ahnend.

AlleeDie neue Wegeführung ist fußgängerfreulicher und geht parallel zur 555 durch die wunderschöne münsterländische Parklandschaft. Den Einstieg kann man nicht verfehlen, denn die Allee zu Haus Vortlage ist ausgeschildert. Haus Vortlage ist ein Gräftenhof und liegt – der Öffentlichkeit nicht zugänglich – gut versteckt im Park. Gräften hat man im Münsterland gerne: Das sind Wassergräben rund ums Gehöft, die ungewünschten Besuch auf Distanz halten. Die Vortlage’sche Brücke über die Gräfte ist aus barocken Zeiten und macht sich sehr gut in der Idylle. Ansonsten scheint der Privatbesitz hermetisch abgeschirmt, und auch auf den informativen Seiten des Landschaftsverbandes findet man vielsagende Sätze wie diesen: „Nach mündlichen Hinweisen ist auf der Begräbnisinsel eine Gruft aus dem frühen 20. Jahrhundert angelegt.“

FachwerkAber man kann sich ja umdrehen und woanders hinsehen: da gibt es direkt am Weg ein nettes Fachwerkhaus mit roten Fensterläden und Bank davor – Postkartenmotiv! Das nächste Fachwerk ist ein Klinkerbau (das davor war weiß gekalkt) und trägt die Jahreszahl 1787 im Balken. Die Inschriften auf den Balken zu lesen lohnt übrigens immer – man bekommt einen tiefen Einblick in die westfälischen Machtverhältnisse und merkt, dass bestimmte Namen immer wieder auftauchen…

ParklandschaftZwischen den Häusern: Weite offene Landschaft. Wiesen, Baumgruppen, Getreidefelder, zwei Vögel im Duett, hoppelnde fette Hasen, grasende Kühe in der Ferne. Nur der Blick nach oben könnte besser sein: Da dräut sich was zusammen! Graublaue Wolken sind die, die nichts Gutes verheißen! Kaum ist der Gedanke ausgedacht, fängt es an zu dröppeln (westfälisch für: zu tropfen). Und kaum ist der Kameradeckel auf dem Objektiv, hört es auf zu dröppeln – um wie ein Sturzbach sich zu ergießen. „Eine Pilgerreise ist kein Zuckerschlecken!“ kann ich Sylke noch zurufen, aber das will sie glaub‘ ich gerade nicht hören. Wir suchen Schutz unter den dichten Blättern der Allee-Bäume, und ich erinnere mich an eine FAZ-Reportage, in der vom täglichen Regen in Galizien die Rede war. Jakobspilger scheinen es nass zu lieben…

SturzregenVergleichweise schnell war die Gießkanne da oben bei Petrus im Garten leer, so dass es weiter gehen konnte. Die Strecke ist gut ausgeschildert, wenn man sich einmal auf die blau-gelben Zeichen eingeguckt hat, klappt es. Außerdem sind die Pilger- und Wanderwegmacher im Westfälischen nicht so kreativ, für jeden eigenen Marketing-Weg einen eigenen Verlauf zu finden: Der (neue) Jakobsweg folgt zwischen Osnabrück und Münster weitgehend dem Friedensweg, der mit 1648 oder einem X markiert ist – beides in weiß und leicht zu sehen. Irgendwann später gesellt sich noch ein Radwanderweg hinzu, kurz vor Ladbergen kommen die Jungs und Mädels vom Nordic Walking auf der gleichen Strecke entgegen. Wegevielfalt ist Wegeeinfalt!

Hast Du mal ein Zucker?Uns war das egal, wir waren nahezu allein unterwegs. Schöne Straßennamen haben sie in Westfalen: „Schäfers Ruh“ , „Am Piekel“ und „In der Wildbahn“ lassen erahnen, wie dort die Post abgeht! Wir laufen vergleichsweise häufig über Asphalt und hätten theoretisch auch mit dem Auto pilgern können, aber diese Idee haben wir als stillos verworfen: Man sieht nur mit der Entschleunigung des Fußgängers gut!Hin und wieder taucht ein Gehöft auf – in der Bauerschaft Settel haben sie rührige Vereine (die Schützen und der Männergesang!), die alle großen Bauernhöfe abgelichtet und auf eine Tafel  gebracht haben. So könnte man, wiederum rein theoretisch, durchs Gehei pirschen und die wildfremden Leute gleich mit korrektem Gruß anreden: „Tach, Grote-Pöppelskirchen, wie geiht jü dat?“

Die meisten Häuser sind tip-top herausgeputzt – im Münsterland hat man erstens das Geld dazu und zweitens immer genug lästernde Nachbarn, wenn man sich und die Ordnung ums Haus gehen lässt. Ein munterer Wettbewerb des manchmal doch arg kleinbürgerlichen Kitsches, aber insgesamt nett anzusehen.

Hof Große StockdiekWir überqueren – es hat mal wieder angefangen zu regnen, damit wir unsere Büßerhaltung mit leicht gebeugtem Haupt wahren können – die L 555 und sind dankbar, dass das nicht als offizieller Jakobsweg ausgeschildert ist: Zu viel moderne Fortbewegungsmittel! Hof Große Stockdiek liegt gleich hinter der 555. Ein schöner Hof, das Jahr 1733 steht über dem großen Tor. Mittlerweile hat die Moderne hinter den Kulissen Einzug gehalten: Eine 500-Watt-Biogasanlage kann etwa 1.000 Haushalte mit Strom versorgen. Mais, Gülle und Grassilage wird hier vergoren, und aus der Abwärme wird Heizluft fürs Wohnhaus und die Stallungen.Sonne kann Große-Stockdiek nicht zaubern, die Technologie ist also ausbaufähig. Wir stapfen weiter, kommen an einen See. Der Angler grüßt eher missmutig und bringt die dritte Rute in Stellung. Regentropfen pitschen aufs Wasser – als Fisch würde ich bei so einem Scheißwetter nicht raus gehen! Am anderen Ende des Teiches steht ein Schild: „Fischzuchtteiche. Baden und Angeln verboten!“

Sanddünen vermutet man als Laie ja nicht mitten im Münsterland – aber es gibt sie! Bis vor hundert Jahren wanderten die Dünen noch, aber nun geben sie Ruhe. Eichen und Birken formieren sich zum Waldgebiet – schöne Schattenspender, theoretisch. Aber wir wollen nicht meckern: Kurz bevor wir Ladbergen erreichen, bricht die Sonne hervor. Ein Zeichen, ganz sicher!

In Ladbergen selbst wird die Führung durch Zeichen und unser Wanderbuch wieder etwas spärlich – aber wir kennen uns ja aus und finden nach einem schönen Abschluss-Abschnitt entlang des Mühlbaches unser Ziel: Das Gasthaus zur Post. Dort soll es ein Pilgermenü geben, und wir sind gespannt, wie das wird – das Haus ist ja eher für engagierte und nicht so sehr für einfache Kost bekannt. Es ist schon fast Nachmittag, aber der Chefkoch Oliver Lisso ist noch da, kommt selbst an den Tisch. Wir beratschlagen uns kurz und lassen uns dann überraschen.

Das Dreigangmenü (für 19,50 EU) hat nichts Spartanisches: Vitello Tonato vorweg, als Hauptgang frisch zubereitete (wissen wir, weil der Chef in unserem Gespräch den Hecht erwähnte, den er noch habe) Hechtklößchen mit Flußkrebsen in Rieslingsauce, glasierten Gurken und Petersilienkartoffeln und als Dessert gratinierte Früchte mit Waldmeistersabayone. So macht Pilgern Spaß…

Gasthaus zur Post
Dorfstr. 11
49549 Ladbergen
Tel.: +49 5485 93 93 0
http://www.gastwirt.de[Lage]

Vitello Tonato Gratinierte Früchte mit Waldmeistersabayone

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