Leonardo da Vinci und seine Geheimnisse

Leonardo_da_Vinci_(1452-1519)_-_Abendmahl_(1494-1498)

Il Cenacolo bzw. L’Ultima Cena heißt das Bild von Leonardo da Vinci, das er zwischen 1495 und 1497 (andere schreiben 94-98) an die Stirnwand des Speisesaals vom Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie gemalt hat. Ganz bewusst hatte sich Leonardo von der üblichen Technik des al fresco verabschiedet und das letzte Abendmahl secco aufgetragen: Die Trockentechnik ließ ihm Muße, und er nutzte sie: In einem der Begleittexte im Vorraum des konservatorisch geschützten Refektoriums las ich die nette Formulierung, dass da Vinci manchmal „bis zu zwei Tage“ vor seinem unvollendeten Werk stand und nichts anderes tat, als zu sinnieren.

Das Nachdenken hat sich gelohnt, denn in dem Wandgemälde mit den Maßen von 904×422 cm (andere schreiben 880×460 cm) steckt mehr drin, als man in den 15 Minuten Besichtigungszeit entdecken kann. Leonardo, der von Herzog Ludovico Sforza zu dessen Ruhm und Ehren den Auftrag bekommen hatte, malte das Bild in Tempera auf eine getrocknete Gipswand, was ihm zwar raffinierte Effekte erlaubte, dem Bild aber auch schnell den Garaus machte: Die Tempera-Trägersubstanz hielt nicht lange auf dem Gipsuntergrund und dieser auch nicht auf der Wand (Quelle).

Montorfano,_crocifissione,_1497,_con_interventi_di_leonardo_nei_ritratti_dei_duchiDie Nordwand des Refektoriums war vielleicht auch von Anfang an nicht die allerbeste Wahl: feucht und auch noch mit einem Durchgang in die anderen Gemächer, die Tür direkt unter Jesus. Das machte die Bildkomposition nicht leichter und sorgte für Unruhe an der Wand, wenn die Tür zuschlug oder es noch oben dampfte. Aber da hat man Vierzehnhundertdunnekirchen nicht dran gedacht. Die Südwand ließ man übrigens von Donato Montorfano mit der Kreuzigungsszene ausstatten, der schneller als sein berühmter Kollege am anderen Ende des Saals fertig wurde.. Die meisten Besucher kümmerten sich kaum um dieses Bild, obwohl der Maler im Mailand seiner Zeit durchaus kein Unbekannter war.

Quelle: http://appunti.studentville.it/mappe_concettuali/mappa/mappa_concettuale_cenacolo_leonardo
Quelle: http://appunti.studentville.it/

Aber wer konnte denn ahnen, dass Leonardo da Vinci so ein großes Meisterwerk hinlegen würde? Dass er mit der perspektivischen Darstellung das Malen revolutionieren würde? Die Jünger gruppiert er jeweils zu dritt und lässt sie sehr unterschiedlich auf die Nachricht ihres Meisters reagieren, der gerade gesagt hat, dass einer von ihnen ihn verraten würde. Sie debattieren und gestikulieren – eigentlich so, wie man es von echten Italienern erwartet, obgleich sie das ja gar nicht waren. Aber da kommt, wie Goethe schon so trefflich bemerkte, eben der Italiener im Künstler durch: Es ist die Bewegung der Hände; dies konnte aber auch nur ein Italiener finden. Bei seiner Nation ist der ganze Körper geistreich, alle Glieder nehmen teil an jedem Ausdruck des Gefühls, der Leidenschaft, ja des Gedankens …“

Spannend wird’s, wenn es um Details geht. Rechts neben Jesus (bzw. in der Draufsicht links von ihm) kuschelt nicht etwa Johannes mit Petrus, sondern Maria Magdalena – die Frau von Jesus, wenn man Dan Brown glaubt (allerdings auch nur ihm und seinen Anhängern, Kunsthistoriker schließen von einem fehlenden Bart bei Johannes nicht zwingend auf eine Frau 😉 )

Und was ist mit dem Messer, das man (noch weiter links, wenn man vor dem Bild steht) sieht? Keine Ahnung. Und hat sich Leonardo tatsächlich selbst in dem Bild verewigt (als zweiter rechts, als Judas Thaddäus)? Eine gewisse Ähnlichkeit kann man ja raussehen. Richtig schwer getan hat sich der Maler eh nur mit zwei Gesichtern: Dem von Jesus und dem vom Verräter, Judas. Den einen hat er sich nicht getraut, weil es für einen Gläubigen natürlich nicht leicht ist, sich Gott vorzustellen. Aber das Gesicht des Bösen? Naja, das sollte halt so richtig böse werden – aber es war dann, hier menschelt es gewaltig beim großen Künstler da Vinci, das Gesicht des Priors vom Kloster.

Die Geschichte dazu erzählt der Biograph vieler italienischer Künstler, Giorgio Vasari:

Man sagt, der Prior des Klosters habe Lionardo sehr ungestüm angetrieben, das Werk zu vollenden: ihm schien es seltsam, Lionardo bisweilen einen halben Tag in Nachdenken verloren zu sehen; es wäre ihm lieber gewesen, wenn er gleich Arbeitern, die den Garten umhacken, den Pinsel niemals aus der Hand gelegt hätte. Da ihm nicht Genüge geleistet wurde, beschwerte er sich vor dem Herzog und drängte ihn so lange, bis dieser sich gezwungen sah, Lionardo rufen zu lassen, und ihn freundlich zur Arbeit bewegte, wobei er versicherte, er tue dies nur auf die Zudringlichkeit des Priors hin. Leonardo kannte den klaren Verstand und den Takt des Fürsten, und deshalb entschloss er sich, mit ihm über die Sache ausführlich zu reden, was er mit dem Prior nie getan hatte. Er äußerte sich weitläufig über die Kunst und machte anschaulich, daß erhabene Geister bisweilen am meisten schaffen, wenn sie am wenigsten arbeiten, nämlich wenn sie erfinden und vollkommene Ideen ausbilden, die die Hände ausdrücken und darstellen nach jenen, die schon im Geiste konzipiert sind. Zwei Köpfe, so fügte er hinzu, wären es, die ihm noch fehlten, der von Christus, nach welchem er nicht auf Erden suchen wolle, und von dem er nicht glaube, daß seiner Einbildungskraft jene Schönheit und himmlische Anmut vorschweben könne, die der menschgewordenen Gottheit gezieme; der andere sei der des Judas, über den er nachdenke. Ihm scheine es unmöglich, passende Gesichtszüge für jenen zu erfinden, dessen trotziger Geist nach so vielfach empfangenen Wohltaten des Entschlusses fähig gewesen wäre, seinen Meister, den Erretter der Welt, zu verraten; nach diesem letzteren indes wolle er suchen, und finde er nichts Besseres, so bliebe ihm der des lästigen und taktlosen Priors gewiß.
Dies brachte den Herzog sehr zum Lachen und er gab Lionardo tausendmal recht. Der arme Prior, in Verwirrung geraten, befleißigte sich, die Arbeiten im Garten zu betreiben, Lionardo aber ließ er in Frieden; dieser führte den Kopf des Judas so trefflich zu Ende, daß er das wahre Bild des Verrates und der Unmenschlichkeit ist; das Haupt Christi dagegen blieb unvollendet …

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