Vegetarisch – aber man vermisst nichts

Kochsternstunden 2019: Atelier Sanssouci, Radebeul

KSS Atelier Sanssouci
Am Morgen noch hatte ich in der Süddeutschen Zeitung von einer Diät gelesen, die 37 Experten von der „EAT-Lancet-Kommission“ all denen empfehlen, die zwar nicht das Universum, aber doch wenigstens die Welt retten wollen. Ein Beitrag zum Nachdenken, der zum nachhaltigen Essen anregen sollte und zumindest vorhielt bis zum Abend. Da war ich mit etlichen anderen im Atelier Sanssouci zum letzten Offenen Tisch der Kochsternstunden-Erfinder Marlen Buder und Clemens Lutz – und der jüngst mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Chefkoch Marcel Kube bot ein komplett vegetarisches Menü an.

Challenge accepted, die Herausforderung war doch leicht anzunehmen. Die im SZ-Beitrag vorgeschlagene Ernährungsweise mit Rezepten für eine Woche des Autors und Kochs Hans Gerlach ist zwar nicht vegetarisch, aber eben auch nicht arg dolle fleischlastig. Also: warum nicht einmal den ausgezeichneten Chef Kube an die Töpfe lassen und sehen, was das Gemüse mit mir macht?

Es machte, um das banale Ergebnis einmal vorweg zu nehmen, auf äußerst vielfältige und sehr geschmackvolle Art satt. Es regte neben der Verdauung auch die Gespräche an („wie, du isst vegetarisch?“, fragte der Koch beinahe wie besorgt, als er den zweiten Gang einsetzte). Dazu muss man wissen, dass das Kochsternstunden-Menü zwar komplett vegetarisch angeboten wurde, es aber zu jedem der ersten vier Gänge auch eine Version mit gab – Garnele, Lammleber, Forelle und Short Rip vom Wagyu-Rind. Und genau das ließen sich die meisten (oder waren es gar alle anderen?) Gäste nicht entgehen.

Es gab nicht nur eine Entscheidung mit oder ohne – auch die Weinbegleitung hätte man sein lassen können. Aber da wir um die Qualität und Spürnase von Maître und Sommelier John Piotrowsky wissen, waren wir klug beraten, ganz deutlich die Hand zu heben bei mit Weinbegleitung, bitte. Eine weise Entscheidung, wie sich zeigen sollte. Zumal die Damen zur Rechten wie zur Linken nur allzu gerne Fisch-und-Fleisch-Beilage gegen Probeschlucke zu tauschen trachteten. Sie bekamen natürlich ihre Probierschlückchen und durften die mit-Beilagen dennoch behalten.

KSS Atelier Sanssouci 1. GangDie Härteprüfung kam freilich schnell, gleich im ersten Gang. Da gab es vegetarisch Schwarzwurzel, Trüffelemulsion und Kopfsalat, letzteren einmal knackig und dann auch als Crème mit angenehmem Bitterton. Sah gut aus und schmeckte … sagen wir mal: überraschend – die Kombination von Schwarzwurzel (die in Kaffeebröseln gewälzt war!) und Trüffel hat man ja auch nicht alle Tage. Nun aber das Aber: wahlweise gab es diesen Gang mit sächsischer Garnele! Erstens sahen die Teller noch besser aus, zweitens mag ich Garnelen, und drittens: wieso sächsisch? Sind wir hier jetzt auch Pazifik?

Die Sache mit dem Aussehen ließ sich ja noch schnell meistern: Foto vom Nachbarteller gemacht (mit Erlaubnis, versteht sich), färtsch. Das mit dem schmeckt! war gar nicht so schlimm, denn es schmeckt gut mit – aber der ohne-Teller hatte ja auch Krawumms in sich. Und die Sachsen-Frage war ja eh eine, die man nur durch Fragen und Antworten klären konnte: die sächsische Garnele ist gezüchtet und kommt aus Kirschau. Schon spannend, was mittlerweile alles so regional geht…  Der Wein zu diesem Gang war ein Riesling – aber der kam nicht aus Sachsen, auch nicht aus dem Rheingau oder von der Mosel. Nein, der kam aus Israel., genauer: von den Golan-Höhen. Der Kellermeister des Gamla-Weinguts mag klassische Rebsorten und schwört auf das cool climate der Gegend, was ja fast schon wieder sächsisch klingt. John Piotrowsky hatte empfohlen, den Wein solo und in Verbindung mit dem Essen (speziell der Kopfsalatcrème) zu probieren, um die Geschmacks(ver)änderungen des Weins zu bemerken. Genialer Hinweis: mit dem Essen war er deutlich harmonischer als ohne. Solo wäre dann ein schöner hiesiger (im engeren oder weiteren geographischen Sinne) Riesling angenehmer gewesen…

KSS Atelier Sanssouci 2. GangBeim zweiten Gang war dann alles Kerbel. Die Knollen geschmort, dazu Kerbelöl und (zugegeben: der einzig mir bis dato bekannte Teil) Kerbelblatt trafen auf eingelegte Eberesche und die Dresdner Berle. Moment: Eberesche? Ist das nicht die Vogelbeere, vor deren Genuss ich immer gewarnt wurde? Ja, ist sie. Aber das mit dem Gift gilt offensichtlich nicht immer – vielen Dank für diese neue Erkenntnis. Und wer die Dresdner Berle von Torsten Schlüter (immer noch) nicht kennt: das ist eine Käsespezialität, die manchmal (ein bissl übertrieben, finde ich) Sachsen-Trüffel genannt wird. Mir fällt bei der Käsekugel (der Berle) aus pasteurisierter Schafsmilch ja eher der Geschmack von Parmesan ein – und der machte sich gut überm Kerbelmix und der ungiftigen Eberesche!

Unser Wein dazu kam aus Südfrankreich vom Weingut mit dem schönen Namen Châteu les Amoureuses. Der 2017 Le Liby ist eine Cuvée von drei Sorten, wobei unser Sommelier die Sorte Marsanne fürs „Erwachsene, Maskuline“ verantwortlich machte – nun ja… Aber dass Sauvignon Blanc sowohl Frische als auch Duft mitbringt und Viognier für den Schmelz sorgt: da konnte ich doch sofort mitgehen! Und das Wort trinkflussbegeisternd, das John Piotrowsky für diesen Wein fand, könnte eh glatt von mir sein!

KSS Atelier Sanssouci 3. GangVor dem Hauptgang gab’s das, was beim klassischen Ablauf der Fischgang wäre (für alle anderen gab es dann auch geräucherte Forelle – inklusive ihrem Kaviar). Der vegetarische Rest war (vielleicht mit Ausnahme des Kaviars, der im Mund bekanntlich eine ganz eigene Explosionskraft entfalten kann) zwar nicht mit, aber eben auch nicht ohne: geräucherte Ziegenfrischkäsebällchen sind eine schamlos geschmackvolle Aromabombe im Mund, der Sud aus fermentiertem Rosenkohl eine komplett neue Erfahrung, dazu eine leicht süchtig machende Haselnusscrème: Hammergang! Dazu ein Wein, den man ohne Bedenken ebenso bezeichnen könnte, ein 2015er Chardonnay Leithaberg von der Biodynamie-Größe Gernot Heinrich aus dem Burgenland, der den passenden Honig ins Glas brachte und den grandiosen Geschmack des Räucherkäses gekonnt abfederte.

KSS Atelier Sanssouci 4. GangDer Hauptgang bot Kraut und Rüben. Das sagt man ja auch gerne, wenn man die Familie Hempel nicht mit Details von unter ihrem Sofa bemühen möchte, um blumig auf ein reichliches Durcheinander hinzuweisen. Bei Marcel Kube hält sich die Unordnung auf dem Teller (mehr können wir als Gast ja nicht beurteilen) allerdings sehr in Grenzen – Kraut und Rüben gab’s, bissfest gegart, im friedvollen Miteinander mit Trompetenpilzen und einem kräftigen Kümmelsud zum Hauptgang. Die Carnivoren bekamen zusätzlich reichlich rosa gebratenes Short Rip vom Wagyu-Rind. Was sie nicht merkten: die Sauce dazu war, wie alle Saucen an diesem Abend, rein vegetarisch. „Bislang hat das noch keiner bemerkt!“, berichtete Marcel Kube und ergänzte: die Nicht-Vegetarier hätten aber auch nichts vermisst. Der Weintrinker ohne Fleisch beim Essen war übrigens glücklich und zufrieden, dass der Tempranillo ( ein 2011er Dehesa La Granja, Alejandro Fernandez – Castilla y Leon) nicht nur der Short Rip ein adäquates Gegengewicht war, sondern sich auch mit dem Kümmelsud gut vertrug.

KSS Atelier Sanssouci 5. GangSchokolade von Mrs. Brown zum Dessert ist ja immer ein Seelentröster, Herzerwärmer und Gaumenschmeichler, so auch an diesem Abend. Dazu Buchweizeneis und den Boskoop mariniert, als Sud und eingekocht. Dazu ein Espresso, ebenfalls von Mrs. Brown aus Wilsdruff. Oder was Edelsüßes: 1998 Rivesaltes Ambré 17 ans. Jahrgang 1998, abgefüllt im November 2017!  Um den natürlichen Zucker der Trauben zu erhalten, wurde die alkoholische Gärung durch Zugabe von bis zu 10 % neutralen Alkohols (96°) gestoppt. Schwerer zu stoppen: Gäste, die nach dem ersten noch ein zweites Glas wollten…

Das Menü

  • Schwarzwurzel, Trüffelemulsion, Kopfsalat – wahlweise mit sächsischer Garnele
  • Kerbelknolle, Eberesche, Dresdner Berle – wahlweise mit gebratener Lammleber
  • Kohlsprossen, geräucherter Frischkäse, Haselnuss – wahlweise mit geräucherter Forelle
  • Kraut und Rübchen, Kümmelsud, Trompetenpilze – wahlweise mit rosa gebratenem Short Rip vom Wagyu-Rind
  • Brin d’Amour, Birne und Pinienkerne [gab es nicht bei unserem Besuch]
  • Schokolade Mrs Brown – geschmorter Boskoop und Buchweizen

Die Weine

  • 2016er Riesling Galiläa, Gamla Wineyards Golan Highs – Israel
  • 2017er Le Liby, Châteu les Amoureuses – Rhône
  • 2015er Chardonnay Leithaberg, Gernot Heinrich, Gols – Burgenland
  • 2011er Dehesa La Granja, Alejandro Fernandez – Castilla y Leon
  • 2011er Riesling A, Klaus Zimmerling – Pillnitz [gab es nicht bei unserem Besuch]
  • Der Pate II … als Espresso oder Kaffee, Kaffeerösterei Mrs. Brown, Wilsdruff

Die Preise

  • 6-Gänge-Menü vegetarisch 77,00 € / mit 85,00 €  (zzgl. Weinbegleitung 45,00 €)
  • 5-Gänge-Menü vegetarisch 66,00 € / mit 75,00 € (zzgl. Weinbegleitung 39,00 €)
  • 4-Gänge-Menü vegetarisch 55,00 € / mit 65,00 € (zzgl. Weinbegleitung 35,00 €)
  • 3-Gänge-Menü vegetarisch 44,00 € / mit 59,00 € (zzgl. Weinbegleitung 28,00 €)

Atelier Sanssouci
Augustusweg 48
01445 Radebeul

Tel. +49 351  7956660
www.hotel-villa-sorgenfrei.de

Geöffnet:
Do – Mo 18.30 – 22.00 Uhr

[Besucht am 17. März 2019 | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]

Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.

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