„Ich habe Sie schon mehrmals gekostet – phantastisch!“ sagt Udo Samel, als Chef Alexander Tschebull an den Tisch kommt. Das ist so ein Satz, der sich auch aus der Sicht des Sprechers am besten vernichtet, bevor er gesprochen ist, aber zu spät – er ist raus. Samel, nicht nur als Schauspieler ein Mann des Wortes, lacht herzhaft über seinen Satz und korrigiert, was sowieso jeder verstanden hat: Natürlich hat er nicht den Tschebull gekostet, sondern dessen Kochkunst.
Es ist, nach gemeiner deutscher Vorstellung, schon ziemlich spät für ein Mittagessen. Landgasthäuser machen zu dieser Zeit zu oder bereiten sich auf den nachmittäglichen Kaffee vor. Bei Künstlern geht die Uhr aber anders – und wenn die Proben regulär bis 13 Uhr dauern und faktisch eh immer ein wenig länger, dann beginnt ein Mittagessen eben erst um zwei und zieht sich hin – bis zu den nächsten Proben, die dann bis spät in den Abend gehen können und mit Verlassen der Semperoper natürlich nicht wirklich abgeschlossen sind: Auswertung der Aida-Proben beim (späten…) Abendessen mit Assistenten sind eher die Regel als die Ausnahme.
Wer nun denkt, so ein vielbeschäftigter Mann, der sich stundenlang abrackert und über emotionale Bewegtheit des Publikums nachdenkt, der aus Verdis schwerer, teuren und anspruchsvollen Aida noch ein paar Nuancen herauskitzeln will, der hätte die Hummeln an den dafür vorgesehenen Körperteilen, der irrt. „Man hat immer Zeit, wenn man sie sich nimmt – mit Druck verliert man Zeit!“ sagt Samel, ein Bekenntnis zur Arbeitseinstellung nachschiebend. Ob als Schauspieler (er war 15 Jahre im Ensemble der Schaubühne) oder als Regisseur bei seiner nunmehr dritten Operninszenierung: Das sei alles nur mit Disziplin zu schaffen! Wobei Disziplin bitteschön nicht mit Drill verwechselt werden sollte: Den mag er nicht, weil man dann als Ergebnis „nicht die Schönheit des Wissens“ bekomme.
Zwischen Carpaccio von Lachs und Seeteufel und dem Hauptgang sinniert Samel über Ähnlichkeiten von Hotel und Restaurant einerseits und Theater, Oper andererseits. Startpunkt ist Aida mit der Handlung im alten Ägypten. Kein Name stimmt, aber Verdi hatte kein Problem damit: „Ich habe mir vorgestellt, es müsse so sein!“ soll er gesagt haben – und Samel setzt einen drauf, wenn er laut über seine Aufgabe nachdenkt. Es hat etwas damit zu tun, die Wirklichkeit im Theater oder in der Oper zu erfinden, nicht sie abzubilden. „Ich will eine Welt schaffen zum wohl Fühlen während der Vorstellung,“ sagt er und ist plötzlich nicht nur körperlich im Intermezzo, sondern auch gedanklich mitten im Restaurant: „Die Kunst, ein Geschenk zu machen, das alte Recht der Gastfreundschaft hochzuhalten, bringt Oper und Hotellerie zusammen!“ Und noch etwas: Die Anerkennung, die Schauspieler brauchen – wie Köche, Kellner und Hoteldirektoren auch. Streng genommen ist unser Restaurantbesuch strukturell sogar mit Aida zu vergleichen: Die Tat passiert – wie in der Antike üblich – hinter der Wand. Man sieht nur das Ergebnis und bekommt die Auseinandersetzungen mit…
Das aber, wie nicht anders zu erwarten, in aller Deutlichkeit – beim Triumpfakt sind 200 Menschen auf der Bühne. „Und da bin ich,“ meint er verschmitzt lächelnd, „sogar noch bescheiden!“
Und schon dreht sich wieder alles um die Proben zu Aida: Mit der Premiere am 27. März werden die Opernfestspiele eröffnet. So ist das immer bei Udo Samel – Hobby und Beruf vermischen sich. „Ich weiß gar nicht, wann ich arbeite. Wun-der-bar!“
Ulrich van Stipriaan
Giuseppe Verdi: Aida
John Fiore / Udo Samel
Bernhard Kleber / Wilhelmine Bauer
Michèle Crider, Ulla Sippola,
Lucja Zarzycka
Kristján Jóhansson, Kaludi Kaludov (8. 4.), Jukka Rasilainen, Kurt Rydl, Scott Wilde, Carsten Süß
Premiere am 27. März.
Weitere Vorstellungen 1. 4. / 8. 4. / 12. 4.
Alexander Tschebull: Menü vom 27. 2. 1998
Carpaccio von Lachs und Seeteufel
Wachtelkotelette mit Zuckerschotenrisotto
Variation von der Blutorange
96er Gavi di Gavi „Rovereto“, Michel Chiarlo
Küche: Alexander Tschebull, Service: Yvonne Tschebull
Fotos: Inga Paas
Gäste: Udo Samel, Günther Haug, Ulrich van Stipriaan
Veröffentlicht in: TaschenbergNews 2/1998
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