Am Eingangsbereich des Hotel Elephant ist ein Aufkleber zu sehen: „Thüringen tolerant“ steht drauf, und zwei stilisierte Gesichter lächeln. Hat so ein Aufkleber etwas an der Fassade eines Luxushotels zu suchen? „Ja!“ sagt der Direktor des Hauses, Paul Kernatsch. Denn es ist nicht irgendein Aufkleber, sondern ein Zeichen für mehr Offenheit Ausländern gegenüber. Und solcher Zeichen bedarf es!
Der Aufkleber hat eine Geschichte. Um mehr darüber zu erfahren, treffen wir uns mit dem Initiator im „Anna Amalia“, dem mehrfach ausgezeichneten Restaurant im Hotel Elephant. Unser Gast kommt pünktlich, aber gestresst zum Termin. Kein Wunder: Er ist Journalist, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung in Weimar. Hans Hoffmeister ist ein Mann mit engem Terminkalender, und so sprudelt er auch gleich los: Angefangen habe eigentlich alles mit einer Aktion gegen eine geplante Demonstration der NPD. Die wollte am 1. Mai durch Weimar marschieren – ein Unding, wie Hoffmeister meinte. Und so rief er via Zeitung zum zivilen kreativen Ungehorsam auf: Die Weimarer sollten die Plätze friedlich besetzen, damit für die rechten Horden sozusagen wörtlich wie im übertragenen Sinn kein Platz in Weimar sei.
Vier Wochen habe er Zeit gehabt, die Leserschaft zu mobilisieren. Immer neue Ideen habe es gegeben – und begeistert berichtet Hoffmeister von den vielen Leserbriefen, in denen sich das Aufbegehren der Weimarer manifestierte.
Der Service im Restaurant hat kaum Gelegenheit, das Gebrachte zu erklären – wes das Herz voll ist, läuft der Mund über, sozusagen: Hoffmeister ist ein Informationsquell ohne Ende, er erinnert sich (was der Beruf wohl mit sich bringt) an Details, auch wenn sie lange zurückliegen. Aber irgendwie schaffen die Damen und Herren es dann doch, die Gesprächsrunde auf den Geschmack zu bringen, so dass neben ernsten Themen so Köstlichkeiten wie eine Terrine von Hauskaninchen mit Walnüssen oder Kaisergranat auf Kartoffelfächer oder Risotto mit Trüffel die ihnen gebührende Zuwendung erfahren.
Zurück zur Mai-Demonstration: Rechtzeitig zum Termin veröffentlichte die Zeitung ein ganzseitiges Plakat gegen die Demonstration – und obwohl diese letztendlich verboten wurde und auch nicht stattfand, sah man an vielen Fenstern das eindeutige Zeichen. Vier Wochen später das gleiche Szenario: Angemeldete Demonstration, Zeitungsseiten der Ablehnung in den Fenstern: Weimar zeigt Flagge.
Diese lange Vorgeschichte ist notwendig, um die Gemengelage in der Kulturstadt zu beleuchten – einer Stadt, die nicht nur Goethe im Zentrum, sondern auch Buchenwald vor den Toren hat.
Als dann Wochen später in Eisenach Afrikaner gehetzt wurden, entstand die Aktion „Thüringen tolerant“: Die Aufkleber sind ein Teil, Unterschriften ein weiterer, kontinuierliche Berichterstattung in der Zeitung ein dritter. Hoffmeister will mit diesem „Lackmustest der Gesellschaft“ die Sensibilität für ein weltoffenes und tolerantes Thüringen schärfen.
Die Direktion und die Belegschaft des „Elephant“ gehörten zu den ersten, die unterschrieben – inzwischen sind es viele Tausende, vom Bischof über Politiker bis zu Unternehmern, von 6.000 Fußballern aus 40 Vereinen im Kreis Gotha bis zu kompletten Familien.
Viel Zustimmung also – aber wer so polarisiert, ist ja nicht unumstritten. Oder? Zwanzig Gegenbriefe habe er bekommen, davon die Hälfte anonym – im Grunde also nicht der Rede wert. Natürlich erlebt er Veränderungen in der Umgebung, bei den Nachbarn. Auch die tägliche Jogging-Begegnung ist nicht mehr, was sie mal war: Toleranz kennt auch Grenzen.
Unterm Strich aber ist Hoffmeister zufrieden mit der Entwicklung: Je mehr Menschen kapieren, dass Fremde eine Bereicherung und nicht eine Bedrohung sind, desto besser.
Mittlerweile hat sich das Thema verselbstständigt, Hoffmeister wird als Experte befragt, ist bei Podiumsdiskussionen wie der mit Michel Friedmann im Elephanten dabei, schreibt hier einen Gastkommentar und dort eine Kolumne außerhalb des eigenen Blattes.
Zwischendurch ist er ja auch noch Chefredakteur, muss Blatt machen, Kommentare gegenlesen und das Zeitgeschehen beleuchten wie auch mitbestimmen. So jemanden aus dem Stress zu holen und zur Ruhe zu bringen, scheint schier unmöglich. Dass er uns statt der angekündigten Stunde nach zwei kurzen Telefonaten dann doch zweieinhalb der wertvollen Zeit schenkte, lag nicht zuletzt am Team des Anna Amalia: Das Menü durfte letztendlich sogar um ein köstliches Dessert erweitert werden…
Ulrich van Stipriaan
Veröffentlicht in: Connection 1/2000
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