Versuchen Sie mal, einen Schauspieler zum Essen einzuladen, möglichst natürlich an einem Abend. Aussichtslos! „Ich habe mich entschlossen, zu produzieren,“ sagt Friedrich Wilhelm Junge, „nicht zu konsumieren!“ Und dieser Entschluss bedeutet mitunter Verzicht.
Also treffen wir uns am Nachmittag zum High Tea im Innenhof des Taschenbergpalais. Junge, von seinen Dresdner Fans eher familiär als „Fiete“ bezeichnet, macht diesem friesischen Vornamen alle Ehre und bestellt eine Ostfriesische Mischung – „oder warten Sie, vielleicht doch lieber einen leichten Earl Gray!“
Erste Annäherungsversuche, während der Tee zieht. Sein Theater, das lange Zeit als das Dresdner Brettl firmierte, heißt jetzt Theaterkahn – warum? „Weil der Name Brettl, den ich 1987 bei Gründung des Theaters kreierte, uns immer mehr in die verzweifelte Nähe des Kabaretts rückte!“ Und weil ein Schauspieler auch außerhalb der Vorstellung sehr pointiert redet und Mimik wie Gestik gezielt einsetzt, spricht er Kabarett mit mindestens fünf “t“ aus und zieht eine leicht angewiderte Schnute. Nein, das will er nicht: Kabarettttt. „Ich bin Schauspieler, mich interessiert das große literarische Cabaret!“, wobei in der französischen Aussprache nun gar kein oder allenfalls ein Hauch von „t“ zu hören ist. Literarische Kleinkunst, verbunden mit Namen wie Kästner oder Ringelnatz oder Tucholsky – und mit Inhalten, die alles andere als platt sind. „Wir wollen uns ganz bewusst politisch engagieren, uns einmischen in gesellschaftliche Belange – aber bitte auf hohem Niveau!“
Sich einmischen, das ist für den 1938 geborenen Junge nicht erst in den vergangenen Jahren Programm geworden, das hat er auch schon in der DDR getan. Auch wenn dieses „Sich einmischen, sich im gesellschaftlichen Leben engagieren“ Kraft, Geduld und Zeit kostet.
„Ich habe das große Glück gehabt, dass meine Eltern mich nicht in irgendeinem blinden Glauben erzogen haben,“ sagt Junge und fügt sein von den Eltern mitgegebenes Motto gleich an: Traue keinem! Erwarte Nichts! Mach‘ es selber!
Mit dieser Einstellung einerseits und mit einer Offenheit und einem hohen Respekt anderen gegenüber andererseits geht Junge sein Engagement an: Hat noch zu Wendezeiten den Kunstverein mit aus der Taufe gehoben („Da bin ich heute so froh, dass wirklich was gut gelaufen ist“), hat am 17. Juni 1990 geholfen, dass die Rotarier in Dresden eine funktionierende Gruppe wurden („Wir haben uns ja nicht gefunden, sondern wir sind von Rotariern aus dem Westen gefunden worden. Ein schwieriger Prozess war das damals!“). Die sächsische Akademie der Künste – ohne Junges Engagement fehlt da was. Und jetzt ist er dabei, den Wiederaufbau der Synagoge in Dresden zu unterstützen. Kein leichtes Unterfangen, zumal er die Sache mit den Sponsoren durchaus realistisch sieht: „Die Zitzen der Kuh sind besetzt!“ Und freiwillig lässt natürlich keiner ab, man müsste ihn schon wegtreten.
Wie schafft der Mann das bloß alles: Theater spielen, Theater inszenieren, Theater organisieren und die Gesellschaft kritisch-aktiv begleiten? Sein Geheimnis: Ein Handtuch, ein (im Hotel mitgenommenes) „Bitte nicht stören“-Schild und der tägliche Rückzug zu einer Stunde Joga.
Zurück zum Geld! Ein Banker wollte beispielsweise Junge für eine Veranstaltung gewinnen und fragte an, ob er was zum Thema Geld sagen könnte? „Da habe ich was auf der Pfanne!“ erwiderte der mit seinem unvergleichlich schelmischen Grinsen. Ob er denn auch etwas Böses zum Thema sagen könnte, wagte sich der Banker vor – und aus dem Grinsen wurde Lachen: „Wieso auch – da gibt‘s nur Böses!“
Und dabei denkt er dann nicht nur an die Literatur, sondern auch ein wenig ans wirkliche Leben. Zum Beispiel an den Kredit, der auf dem Theaterkahn lastet: Zwei Millionen sind noch zu tilgen. „Das schaffen wir, keine Frage. Wir zahlen zurück, wir wollen auch weiter zurückzahlen. Aber die Zinsen sind enorm – ein etwas geringerer Zinssatz würde glatt eine Inszenierung mehr bringen!“
In Anbetracht der Summen, um die es beim Kahn geht, sind die 25.000 Mark für die nächste geplante Aktion an der „Marion“ ja nachgeradezu ein Klacks: „Wenn ich die hätte, könnte ich die weiße dem Fluss zugewandte Seite des Kahns verschönern!“ Ein Bild (Junge: „Nach Art eines Triptychons, hervorragend gestaltet und auch schon bezahlt…“) soll vor die weiße Fläche. Erd- und sandsteinfarbig sei das Bild, und die 25.000 bräuchte Käpt‘n Junge nun nur noch für die Technik, die bei so einem Kahn eben sehr speziell sein muss. Eine Spezialhalterung muss her, ein Spezialuntergrund und selbstverständlich Spezialfarben mit Spezialfeuchteundwitterungsschutz müssen her. (Was Fiete Junge uns nicht gesagt hat, wir aber dennoch einfach so schreiben: Wer ihm das Geld geben möchte und sozusagen noch eine Zitze an der Sponsorkuh frei hat, kann jederzeit die Redaktion dieses Blattes anrufen: Wir vermitteln gerne einen Übergabetermin und machen auch ein Foto!)
Veröffentlicht in: TaschenbergNews 4/1997
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