„Münster und die Münsteraner gefallen mich nich!“ polterte General Blücher vor 200 Jahren. Das muss auf Gegenseitigkeit beruht haben – und es ist Geschichte. Heute gibt es, wenn man dem Oberbürgermeister der Stadt Glauben schenken darf, nur zwei Sorten von Menschen: Solche, die in Münster wohnen und solche, die es gerne täten. Nun sind Oberbürgermeister schon von Berufs wegen Heimatoptimisten, doch auch wenn man nicht unbedingt in Münster leben muss, so lohnt auf jeden Fall ein (verlängertes) Wochenende.
Manch Gemecker hatte auch positive Folgen: „Cavete Münster!“ betitelte vor fast einem halben Jahrhundert einmal ein mutiger Jurastudent einen Zeitschriftenbeitrag. Das ist Latein und heißt: Hütet Euch vor Münster! Die Warnung hatte vielfache Folgen, von Abscheu und Entsetzen (die eingeborenen Münsteraner, die man in der Stadt selbst Paohlbürger nennt) bis zu verständnisvollem Nicken im Rest der Republik. Die schönste Konsequenz freilich ist eine Gaststätte im Kuhviertel: Die erste Studentenkneipe der Stadt und heute immer noch ein Treffpunkt. Der Unterschied zu den frühen 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist allenfalls, dass die Cavete nur eine von ganz vielen Kneipen des Viertels ist…
Mit Neuem tun sich die Westfalen immer wieder gerne schwer. Das mussten die Cavete-Gründer feststellen, das merkten auch die Kunstmacher, als sie 1977 in der gern als konservativ vorverurteilten Stadt mit der “Skulptur” eine bahnbrechende Ausstellung von zeitgenössischer Kunst in der Stadt planten. Das übliche Spiel: Zeter und Mordio, die Zeitungen voller Leserbriefe mit wenig Pro und viel Contra – und nun, nachdem im Abstand von zehn Jahren die Skulptur eine ernsthafte Gegenveranstaltung zur Kasseler Documenta geworden ist, waren sowieso schon immer alle dafür, und zwar natürlich von Anfang an. Die Münsteraner haben sich arrangiert mit den in der Stadt gebliebenen Kunstwerken, haben sie akzeptiert und würden nun wahrscheinlich Sturm laufen, wenn die drei Kugeln von Claes Oldenburg am Aasee oder der Dolomit zugeschnitten von Ulrich Rückriem im Univiertel fehlen würden.
Die zurückhaltend fortschrittliche Art ist es, die den Münsteraner auszeichnet. Man müsse ein Fass Salz zusammen essen, heißt es, um mit ihnen warm zu werden. Das ist Unfug: Einige Glas Pilsken oder vom heimatlichen hellen obergärigen Altbier, notfalls in Verbindung mit dem einen oder anderen Korn (es darf auch Wacholder sein) tun es auch. Örtlichkeiten dafür gibt es genug, wie eine andere immer wieder gern zitierte Münsteraner Binsenweisheit verrät, wonach es entweder regnet in Münster oder die Glocken läuten – oder es werde eine Kneipe eröffnet. Auch hier dementieren Münsteraner, die mit Herzen oder von Berufs wegen voll hinter der Stadt stehen, heftig: So oft würde es doch gar nicht regnen! Der Rest des Spruches aber gehe schon in Ordnung, schließlich habe die Stadt über hundert Kirchen und ungefähr 500 Gaststätten – so genau allerdings habe das niemand gezählt.
Von den Kirchen seien zwei erwähnt, an denen man nicht vorbei kommt: Zuerst natürlich der Dom im Herzen der Stadt, um den sich seit mehr als 1.200 Jahren alles dreht. Eine astronomische Uhr zeigt seit 1540 beständig nicht nur die Uhrzeit, sondern Tag, Monat, Jahr und den Lauf der Sonne an – und das noch bis zum Jahre 2071. Vor dem wuchtigen romanischen Sandsteinbau findet mittwochs und samstags ein farbenprächtiger Wochenmarkt statt, bei dem die Bauern und Gärtner der Umgebung den Städtern zeigen, was das Münsterland hergibt.
Kirche Nummer zwei ist die Lambertikirche, die vor allem wegen der drei am Turme hängenden Käfige berühmt ist: In denen endeten die drei Anführer der Wiedertäufer, die 1534 bis 1535 ein auch aus heutiger Sicht nonkonformes Regime führten – ihre religiösen Ansichten und auch der weltlich geprägte Lebensstil mit praktizierter Vielweiberei behagten der Obrigkeit rundum und vor allem der Kirche (was ja in weiten Teilen identisch war) nicht so sehr.
Heute sind die Käfige, bevor jemand gruselige Ideen bekommt, leer und nur noch bei Stadtführungen ein Grund, einmal den schlanken gotischen Turm hoch zu blicken. Immer noch nicht leer ist es freilich abends im Innern des Turms: Der Türmer von Lamberti, früher zum Erspähen von Feuern zuständig, klettert Abend für Abend die 298 Stufen bis zu seiner Stube. Als einer von wenigen Türmern bundesweit beobachtet er die Stadt aus luftiger Höhe und bläst den Nachteulen zwischen 21 Uhr und Mitternacht die Stunde – ein herrlicher Anachronismus!
Die Einsamkeit des Türmers von Lamberti findet seinen Gegenpol im bunten Treiben, das abends in den einschlägigen Szenekneipen den Ton angibt. Das Kuhviertel rund um die Jüdefelder Straße wurde schon erwähnt. Hier gibt es neben der erwähnten Cavete auch die Institution Pinkus Müller, der letzten münsterschen Altbierbrauerei (von ehedem einmal 150!) mit Ausschank. Die Tische sind, wie man das in Westfalen erwartet, blank gescheuert, gegessen wird deftig, getrunken heftig. Das Publikum nicht nur bei Pinkus Müller, sondern auch in den vielen anderen Gaststätten rundherum, ist eine bunte Mischung aus Touristen, Studenten und Einheimischen – was das Viertel vor dem Drosselgassensyndrom (wo man nur noch Touris findet) bewahrt hat.
Rund um die Kreuzkirche ist ein weiterer Kumulationspunkt münsterscher Gastlichkeit. Im „Schinderhannes“, der von den Leserinnen und Lesern einer lokalen Zeitung einmal zur gemütlichsten Kneipe des Jahres gewählt wurde, erlebt man „bei Hans und Heinz“ Eckkneipenkultur auf hohem Niveau, mit urigem (teils sehr westfälischem) Essen. Was der Wirt empfiehlt, ist hausgemacht und gut!
Gleich um die Ecke (so das bei einer kreisförmig um die Kirche verlaufenden Straße geht…) findet man eine münstersche Institution: Zum „Nordstern“ sollte man frühestens um Mitternacht gehen, zum Absacker (es dürfen auch zwei oder drei werden). Seit Jahrzehnten kann man hier laut Karte viele Dinge essen, isst aber nur eins: Halbe Hähnchen.
Nun besteht der Tag bekanntlich nicht nur aus dem Abend, was aber in Münster keineswegs zur inneren Leere führt. Je nach Gusto bieten sich an: ein Bummel über den Prinzipalmarkt mit den gotischen Häusern, die fast alle im Krieg zerbombt und danach original aufgebaut wurden, so dass sich zumindest äußerlich ein geschlossenes Bild wie zu Zeiten des westfälischen Friedens 1648 bietet. Wer genauer hinblickt, kann freilich Unterschiede feststellen: Das unversehrte Giebelhaus des Café Kleimann gegenüber der Lambertikirche weist prächtige Details auf – die Nachkriegs-Neubauten sind in der Gestaltung der Giebel und Fassaden erheblich schlichter.
Hinter den Fassaden hat man dem Umstand Rechnung getragen, dass heutige Bedürfnisse anders sind als zur Entstehungszeit des Marktes, der bis zum Jahr 1150 zurück reicht – die Kaufmannschaft, die in Münster schon immer selbstbewusst ein gehöriges Wörtchen mitgeredet hat, weiß es zu schätzen. „Unter den Arkaden“ kann man bei jedem Wetter bummeln, Schaufenster ansehen und stilvoll einkaufen.
Kulturbeflissene kommen nicht nur alle zehn Jahre mit der Skulptur auf ihre Kosten: Das Westfälische Landesmuseum wartet immer wieder mit spektakulären Ausstellungen auf, das Stadtmuseum (in der Kulisse eines denkmalgeschützten Kaufhauses) zeigt mehr als tümelnde Heimatkunde, und mit dem Picasso-Museum hat sich die Stadt endgültig das Tor zur Welt großer Kunst geöffnet…
Originalbeitrag STIPvisiten
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