Von Theobald Tiger
Hast du dies Buch in deiner Hand:
Hurra! dann gehts ins Ferienland!
Endlich mal raus aus den staubigen Straßen –
endlich die Schule hinter sich lassen –
endlich mal raus aus dem Großstadtgeschrei –
hinein in die Ferien! – Seid ihr dabei?
Hinaus in die Berge, zum Strand, hinaus . . . !
Und so sieht der Tag der Abreise aus:
Morgens um sechs schrillt der Wecker durchs Haus:
»Raus aus den Betten – Rauauauau-aus!«
Und jetzt geht aber ein Gelaufe
los, ein Getrappel und Geschnaufe,
denn jeder will der erste sein:
und Lucie fällt in die Badewanne rein,
und Hans will den Papagei mitnehmen,
und heult – – »Du sollst dich wirklich was schämen!«
Und Grete hat mit Frollein Krach –
und die lieben Eltern . . . ?
Ach,
die -! – –
Mama muß sich um alles kümmern –
das Telefon klingelt, die Kinder wimmern –
Mama packt und ordnet und zählt
und paßt auf, daß für unterwegs auch nichts fehlt.
Und belegt die Brote und umwickelt die Bücher
und faltet die Hemden und rollt die Tücher –
und Papa indessen in guter Ruh
sitzt auf dem Koffer, denn der geht nicht zu.
Anna, das Mädchen, geht allen zur Hand . . .
Und Flops, der Hund, bellt wie nicht bei Verstand –
Und Lucie will den Baukasten mit den Steinen
mitnehmen und fängt deshalb an zu weinen – –
Und Hans hat Angst, den Zug zu versäumen,
Und Grete will die Puppenstube ausräumen . . .
Und Papa indessen in guter Ruh
sitzt auf dem Koffer, denn der geht noch immer nicht
zu.
Acht Uhr fünf! Es ist höchste Eisenbahn!
»Ist das Auto schon da?« – »Tritt nicht in das
Porzellan!«
Anna! Grete! Lucie! Hans!
Flops heult – ihm trat einer auf den Schwanz . . .
Und Papa indessen in guter Ruh
freut sich: denn nun ist der Koffer zu -!
Uff!
Nun sitzen sie alle im Wagen!
»Was wollt ich denn dem Mädchen noch sagen?«
Lucie will wissen, wie lange wir fahren –
Hans zieht grad Greten an den Haaren –
Im Kopf der Mama fällt indessen
eine Klappe herunter: »Zurück!
Wir haben die Schlüssel vergessen!«
Alle sind mächtig aufgeregt –
Wohin hat Mama die Schlüssel gelegt -?
Als sie zurück in die Wohnung kommen,
da hat keiner die Schlüssel weggenommen –
die liegen brav auf dem Stuhl – aber auf dem Tisch
tanzt Anna, das Mädchen, mit einem Flederwisch
zum Grammophon – und vor Schreck wird sie weiß
wie eine Lilie . . .
Und es stürzt wieder herunter die ganze Familie!
Hin zum Bahnhof. Drei Minuten sind noch Zeit!
Ist das große Gepäck in Sicherheit?
»Seid ihr alle da?« – »Sind die Kinder drin?«
»Bedaure, mein Herr, hier kann keiner mehr rin.«
»Mutti, haben wir auch nicht die Thermosflasche
vergessen?«
»Aber Hans, denk doch nicht schon wieder an
Trinken und Essen!«
»Erst mal zählen: eins, zwei, drei, vier, fünf Mann!«
Achtung, es pfeift! Der Zug rückt an.
Hurra – Ferien! schreien die Kinder alle drei!
Hurra – Ferien! – und von dem Kindergeschrei:
Hurra – Ferien! vergessen Mama und Papa alle
Mühn – –
Und hunderttausend vergnügte Kinder
ziehen aus Magdeburg und Stettin und Berlin
in die
– Hurra! – Ferien -!
(Kurt Tucholsky als Theobald Tiger. Beitrag für: Hurra Ferien! Ein Reisebuch für unsere Jugend. Herausgegeben von E. L. Schiffer (d.i. Edith Jacobsohn), Williams Verlag, Berlin-Grunewald 1928.)
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