Vorbemerkung: Diese Ausstellungseröffnung ist als die längste in der Geschichte der vielen Ausstellungen bei art+form eingegangen – weil sich Redner und der von ihm zwischendurch immer mal wieder befragte Künstler weder an vorgegebene Zeiten noch an das eh nur für den fragenden Redner vorgesehene Manuskript hielten. Dafür hatten sie viel Spaß – und es ging auch keiner der Zuhörer. Leider sind die Antworten und die Abschweifungen nicht festgehalten, so dass hier nur der vorbereitete Teil der Eröffnung nachzulesen ist.
Guten Tag!
Es geschah an einem Sonntag, meine Damen und Herren. An einem Sonntag wie heute. Ort des Geschehens war ein kleines Dorf, ein sehr kleines: Burgstädtel. Wer es trotz der Linde, die dort ein Ziel ist, nicht kennt: Das liegt etwas südöstlich von Dresden. So oder so ähnlich stellt man sich die Stelle vor, an der sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.
Burgstädtel ist nicht nur eine extrem romantische Stelle, es ist sogar im wahrsten Sinne des Wortes eine „malerische“, denn dort haben sich Künstler niedergelassen. Jürgen Wenzel beispielsweise, Bernd Hahn sowie als Dritter im Bunde Anton Paul Kammerer, den Sie gerade kennenlernen. Die Drei sind Mitglieder der Künstlergruppe „B 53“, sie sind Nachbarn und teilen sich die gleiche Druckwerkstatt in jenem worpswedischen Burgstädtel. Das „B“ steht übrigens nicht für Burgstädtel, sondern für die „Bürgerstraße“, wo in einem Abrisshaus mit der Nummer 53 die Zusammenarbeit als Künstlergruppe Anfang der 80er Jahre einmal begann.
Es ist immer noch ein Sonntag vor einigen Jahren, wir sind immer noch im Atelier des Künstlers Anton Paul Kammerer im lieblichen Burgstädtel, wo die B53 seit einiger Zeit beheimatet ist. Kammerer ist gerade ein wenig im Stress, weil erstens dieser Journalist aus Dresden da ist und ihn versucht zu befragen, was er denn gerade so treibe. Und zweitens muss der Künstler am nächsten Tag zu einer Ausstellung aufbrechen, die ihn an die Nordsee führen wird. Reisefieber schleicht sich ein, und vor Ausstellungen ist APK sowieso immer nervös, denn er ist Perfektionist. Nicht auszudenken, wenn irgendetwas daneben gehen könnte!
Erste Kontakte sind gerade geknüpft, die üblichen freundlichen Worte des Kennenlernens geredet. Wir brüten über alten Katalogen, sehen uns Ektachrome und einige Originale an. Bevor wir uns dem Ende der Geschichte nähern, sollte, um einerseits den Höhepunkt herauszuschieben und andererseits einen möglichen Erklärungsnotstand zu beseitigen, noch dieses erwähnt werden: Das Atelier des Künstlers hat große Fenster, des Lichtes wegen. Man kann also gut reinsehen, wenn man noch nicht drin ist.
Da passiert es: Ein etwas älteres Ehepaar kommt auf das Grundstück, geht scheinbar vertrauten Schrittes auf die Tür des Anwesens zu. Kammerer zu Stipriaan: „Kennen Sie die?“ – Stipriaan zu Kammerer: „Nee, ich dachte, Sie kennen die!“
Die Tür geht auf, der Besucher erkundigt sich nach dem Künstler, aber der steht ja schon vor ihm, wenn auch leicht irritiert. „Ich habe,“ sagt der Mann, „zu Hause so ein Bild. Brunftiger Hirsch am Bergsee. Aber das ist nicht in Öl! Können Sie mir das machen?“
Ich hätte jetzt gerne ein Taschentuch zum Reinbeißen, um nicht loszuprusten. Anton Paul Kammerer läuft zwar rot an wie ein beim ersten Kuss ertappter Jüngling, bewahrt aber die Contenance. „Nein“, sagt er sehr höflich noch und doch bestimmt. „So was mache ich nicht.“
Der alte Herr insistiert, nun schon im Tonfall etwas bestimmter: Aber er sei doch Maler, und außer ihm gebe es doch noch andere hier. Und er möchte doch den brunftigen Hirsch so gern in Öl, und warum denn nicht?“
Ich weiß nicht mehr, worauf ich nun noch beißen soll, um nicht doch loszuprusten, und Anton Paul Kammerer wird noch eine Spur röter. Nein wirklich, das sei auch nicht der Stil seiner Kollegen hier. „Wir machen es eher abstrakt!“ sagt er nun schon ein wenig unwirsch. Und das hilft: Die Herrschaften gehen, denn abstrakte brunftige Hirsche kommen nicht mal in Öl gut!
Soweit die kleine Sonntagsmorgengeschichte aus dem liebreizenden Burgstädtel. Sie lehrt uns dreierlei.
Erstens: Komme einem Künstler nie mit einem Wunsch, wenn er sowieso schon gestresst ist.
Zweitens: Gib nicht zu schnell auf! Arbeite Dich Stück für Stück voran! Denn Anton Paul Kammerer liebt es gar nicht nur abstrakt, und in Öl macht er manchmal auch. Sie haben es nahezu alle im Rücken, aber wir gucken auf zwei wunderschöne Beispiele, in denen die blackbirds allerdings nicht zu sehen sind – die verstecken sich hinter den Kirschblüten!
Und Drittens: Rücke nie sofort mit der vollen Wahrheit heraus. Denn Hirsche an sich sind ja ein durchaus malenswertes Sujet. Dass die Hirsche gerade brunftig sind, kann ja im Laufe des Gespräches nach der prinzipiellen Einwilligung immer noch rechtzeitig in die Verhandlung eingeführt werden – und wenn man statt des Hirsches sich nach Amseln oder Raben oder anderem schwarzen Federvieh erkundigt hätte, wäre das vielleicht sogar damals schon auf fruchtbaren Boden gefallen!
Vielleicht wäre es ja auch ganz gut, sich vorher ein wenig über den Menschen Kammerer zu erkundigen. Ein wenig davon nehme ich Ihnen jetzt ab! Anton Paul Kammerer, der als Krebs in Weißenfels geboren wurde, hat in Merseburg und Halle das Plakatmalen gelernt. Das ist ein viel zu praktischer Beruf, um in Öl zu machen, und Hirsche oder schwarze Vögel kommen einem da als Motiv auch nur sehr selten vor. Aber nicht nur deswegen merkte Kammerer, dass das nicht unbedingt alles gewesen sein kann. Er kam nach Dresden, um dort an der Hochschule für Bildende Künste zu studieren. Malerei und Graphik waren seine Fächer, Jutta Damme eine seiner Lehrerinnen.
1980 bestand Kammerer sein Diplom, und seitdem ist er Künstler. Anders als andere ist er nur das und lebt nur vom Verkauf seiner Bilder – eine Rarität, denn das schaffen höchstens zehn Prozent derer, die das gerne wollen und auch mit einem Studium bekräftigen. Der Rest fährt Taxi oder kellnert oder schlägt sich sonstwie durch.
In Anlehnung an das Sternzeichen des Künstlers kommt da manchmal ein „Herum-Krebsen“ heraus, das nicht immer glücklich macht. Seine ersten Jahre auf der freien Wildbahn der Kunst hat Kammerer einmal so kommentiert: „Glücksmomente und Durststrecken stehen im Verhältnis 1 zu 7.“ Aber in der ihm eigenen feinen Ironie ergänzt er: „Wie bei allen anderen Wesen, und so bin ich nie auf die Idee gekommen, etwas Besonderes zu sein, obwohl ich es ja eigentlich bin!“
Diese subtile Ironie zeichnet auch viel Bilder von Anton Paul Kammerer aus. Wenn Sie sich gleich nach der offiziellen Eröffnung einmal umsehen, werden Sie ein schon zwei Jahre altes Bild finden und dort Folgendes lesen können: „Dieses Blatt ist einer völlig unbekannten Rosamunde gewidmet, die kennen zu lernen ich nie Gelegenheit hatte“. Das hätte Karl Valentin nicht feinsinniger formulieren können!
Oder Sie entdecken das Blatt „Frühling mit Steuererklärung“. Das ist natürlich gar keine Steuererklärung, sondern Teil eines offensichtlich sehr alten Ausgabenbuches. Und da unterbrech ich mich nun das erste Mal,und lass den Künstler was sagen. Anton – das mit der Steuererklärung lassen wir hier mal weg, aber die alten Blätter interessieren mich, die vielen Deiner Bilder hier einen ganz besonderen Rahmen geben – sie sind Geschichte und erzählen Geschichten. Was ist das für ein Material, wo ist das her?
[Antwort APK]
Blackbirds, also Amseln, hat Anton Paul Kammerer die Ausstellung genannt. Im Englischen schreibt man das zusammen, es ist ein Wort. Schreibt man’s auseinander, kommt ein black bird, ein schwarzer Vogel raus – und diese künstlerische Freiheit hat sich der Kammerer auch bei den Bildern genommen. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, war ein Lied der Gruppe Lambchop der Auslöser. Die alternative Countryband aus Nashville, Tennessee hatten auf ihrem zehnten Album 2008 den Titel Slipped Dissolved and Loosed (geschlüpft – getrennt, gelöst – befreit) eingespielt – und der geniale Kopf der bis zu achtzehnköpfigen Truppe, der sich Kurt Wagner schreibt und Kört Wägner ausspricht, keckert in dem Lied sehr schön „The blackbird sang the sun to be-ä-ä-ä-äd.“ Kann es sein, dass du daran denken musstest, als du bei einem der beiden Bilder drüben an der Magnetwand einen Textschnipsel mit hinein collagiert hast, der eine feine Ansammlung von Lauten á la ai ei au äu eu präsentiert? Oder anders gefragt: Wie sehr inspiriert Dich Musik bei Deiner Arbeit?
[Antwort APK]
Zu den schwarzen Vögeln gehört ganz gewiss auch der Rabe. Ich hatte ja eingangs erwähnt, dass Anton Paul Kammerer in Merseburg gelebt hat. Da gab es sozusagen schon recht früh einen Kontakt mit einem black bird, einem Kolkraben. Der spielt in einer Sage aus dem 15. Jahrhundert, als Thilo von Trotha Bischof von Merseburg war, eine wichtige Rolle. Magst du die Geschichte erzählen, Anton?
[Antwort APK. Hier zum besseren Verständnis die Merseburger Rabensage aus der Wikipedia:
Käfig mit dem Raben
Der Bischof Thilo von Trotha besaß einen goldenen Siegelring, ein Geschenk seines Freundes, des Bischofs von Naumburg. Eines Morgens ließ er ihn am offenen Fenster liegen und bemerkte nach kurzer Abwesenheit den Verlust des Ringes. In seinem Zorn bezichtigte er seinen langjährigen Diener des Diebstahls. Obwohl der Diener seine Unschuld beteuerte, ließ er ihn hinrichten. Noch nach dem Abschlagen des Kopfes sollen seine ausgestreckten Arme seine Unschuld beteuert haben. Als der Ring später in einem Rabennest gefunden wurde, ließ Thilo von Trotha als Mahnung, kein Urteil im Jähzorn zu fällen, im Schlosshof einen Vogelbauer errichten, in welchem seitdem ein Kolkrabe für den Diebstahl büßt. Zum steten Andenken habe der Bischof einen Raben mit einem Ring im Schnabel in sein Wappen aufgenommen. – Allerdings führte seine Familie diesen Raben mit Ring wohl schon vorher im Wappen. Ein solcher Rabe wird auch heute noch in einem Käfig gehalten, die alte Sitte ist aber bei Tierschützern umstritten. Im Juni 2006 erfolgte deshalb eine wesentliche Vergrößerung des angestammten Käfigs vor dem Schloss. Der Rabe lebt nun mit einer Partnerin in einer nun fast neun Meter langen und vier Meter breiten Voliere.]
Den Merseburger Raben selbst hast Du aber nicht verewigt, sondern Hugin und Munin, die beiden Hübschen auf den Schultern des Gottes Odin. Hugin bedeutet ja „der Gedanke“, Munin „die Erinnerung“, und in der Mythologie versorgen sie den Odin mit Nachrichten. Ich weiß, es juckt dich, uns hier auch einen Zusammenhang mit Merseburg zu berichten, Stichwort Zaubersprüche!
[Antwort APK]
So, spätestens jetzt haben Sie gemerkt, dass dieser Kammerer ein Multitalent ist. Im Ernstfall singt er auch, aber dazu will ich es heute mal nicht kommen lassen. Statt dessen noch einige Worte zu den anderen Dingen, die Sie hier sehen können – fernab der blackbirds, die alle in jüngster Zeit entstanden sind.
Mehrere Techniken und Stile hängen hier friedlich nebeneinander. Alles sind echte Kammerer: Es ist einfach so vielseitig und lässt sich die Lust an der Kreativität nicht einschränken. Er macht, wonach ihm der Sinn steht, und wenn er etwas leid ist oder die angewandte Technik ihm eine Pause abverlangt, widmet er sich dem Nächsten. Die verschiedenen Bildsprachen braucht er aber auch, um Unterschiedliches auszudrücken. Kammerer selbst sagt: So wie ein Blues oder ein guter Rock’n’Roll beispielsweise französisch gesungen eher lächerlich klingt, braucht auch er die richtige Sprache, den richtigen Ausdruck.
Ausdrucksstark ist er und mit einer schon fast peniblen Liebe zum Detail, auch und gerade im scheinbar Banalen. In einer Abteilung der Ausstellungsmauer finden Sie beispielsweise bäuerliche Alltagsgegenstände: Forke, Eimer, Schippe, Kreuzhacke. Wenn Sie sich das ansehen, werden Sie merken: Zeichnen kann der Kammerer – anders übrigens als viele Moderne, die es nicht können und ihre zeichnungsarmen Werke dann damit erklären, dass sie gar nicht wollen. Aber Kammerer ist da ganz alte Dresdner Schule: Das Handwerk haben sie hier trefflich gelernt und beherrschen es, und wer dann nicht zeichnet, der kann schon, will aber wirklich nicht.
Kammerer aber will. Man sieht es eigentlich immer und überall. Dem Kormoran beispielsweise möchte man glatt ins Gefieder greifen, so plastisch ist das. Und wenn ich schon über scheinbar Dreidimensionales rede, dann muss auch noch ein Wort zu den Collagen gesagt werden. Kammerer liebt die Vielschichtigkeit, klebt bis zu zehnfach übereinander, was dann Rätsel aufgibt und entdeckt werden will. Das Collagieren vergleicht er mit dem Kochen: Man hat einen Zutatenmix und braucht guten Geschmack, dann wird’s was.
Damit möchte ich Sie in die Ausstellung entlassen, nicht ohne den Hinweis, dass man auch diesmal wieder auf seinen Goethe hören sollte: Erwirb es, um es zu besitzen! formulierte der einmal. Und seien Sie im Ernstfall lieber schnell – bevor Ihnen Ihr Lieblingsbild jemand wegschnappt!.
Ausstellungseröffnung Anton Paul Kammerer, black bird am 25. April 2010 bei art+form
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