Wer durch die Weinberge in Sachsen wandern und möglichst viel Gelegenheit zum Kennenlernen der hier angebauten Weine haben will, ist in der Gegend um Radebeul am besten aufgehoben. Es gibt ausreichend Wege, um immer wieder Neues zu erwandern und hinreichend Besenwirtschaften und Restaurants, um sich geschmacklich schulen zu lassen. Wir nutzten (aus Gründen!) zur Anreise die S-Bahn und beginnen in Radebeul Ost. Für Freunde fauchender Dampflokomotiven könnte die Wanderung, kaum begonnen, gleich ein Ende haben, denn die Lößnitzgrundbahn schnauft hier los via Moritzburg nach Radeburg. Das machen wir ein anderes Mal, heuer stapften wir durch die Hauptstraße – wohl wissend, dass wir hier nach rund 400 Metern anstrengenden Marsches erst einmal eine Rast verdient hätten.
Gräfes Wein & fein ist einer der bezauberndsten Läden westlich des Ural, was am Angebot (vorzügliche Weine sowie so viel Käse und andere Lebensmittel aus der Umgebung, dass man sich nur wundern kann) liegt und am Personal. Das ist nämlich immer gut drauf, hat unglaublich Ahnung und auch im größten Stress meist Zeit für ein paar aufmunternde Worte. Da am Samstagmittag kurz vor Ladenschluss (im Weltzentrum Radebeul: 14 Uhr) nicht mehr viel los ist, war für Andreas Tietze auch kein Stress, so dass wir mit nettem Plausch bei einem 2010 Riesling von Wagner-Stempel begannen. Ein Rheinhesse? Aber sicher doch – warum nicht, wenn’s aufregend rassige Säure mit viel Frucht und Mineralität sein soll.
Der Blick auf die Uhr war verheerend: Wir hatten für die 400 Meter inklusive Rast eine Stunde benötigt. So konnte das nicht weitergehen! Für den bevorstehenden Anstieg in die Radebeuler Weinberge besorgten wir uns im Wein & fein noch Tagesproviant (Sächsische Lammknacker und Lauterbacher Ziegenschnittkäse) – und dann aber los! Wir kämpften uns tapfer hoch bis zur Weinbergstraße, machten (wohl zum quintillionsten Mal) Fotos unserer dortigen Lieblingsfensterläden und stellen am Zaun gegenüber fest, dass jenseits des Weingartens heute das Weingut Haus Steinbach zum Hoffest geöffnet hat. Allerdings sollte man dafür 600 Meter zurück (und später wieder hinauf) statt 50 Meter durch den Weingarten gehen – denn das Tor oben war verschlossen. Vielleicht beim nächsten Mal.
Also strebten wir – immerhin waren wir schon wieder mindestens eineinhalb Kilometer gelaufen und hatten annähernd vierzig Höhenmeter genommen – die nächste Station an: Das Weingut Drei Herren. Wer es immer noch nicht weiß: Die drei Herren sind Geschichte, einer ist jetzt eine Frau, aber die hat den Mann im Namen und geht demnach als Herr durch. Außerdem war Antje Wiedemann 2003 Sächsische Weinkönigin und im drauffolgenden Jahr Deutsche Weinprinzessin, ist somit vom Fach.
Man kann hier Wein probieren – draußen unterm Weinberg mit Blick auf die Schnecke. Die Schnecke, das muss gleich ganz schnell geschrieben werden, ist nicht etwa der despektierliche Ausdruck für ein hübsches Mädchen (obwohl man den in der Gegend hier schon mal vernehmen kann). Die Schnecke ist in diesem Fall steinern, aus Seynitsteinen geschichtet und spiralförmig (Schnecke!) aufgeschichtet. Draußen kann man hoch, drinnen war (und ist es nach der Sanierung wieder) es bei Bedarf warm, weil es einen Raum mit Feuerstelle gibt. Der Bedarf früher: Diebes-, Vogel- und Feuerwache. Heute? Nun ja, die Schnecke liegt on top eines Weinbergs…
Wir erfreuten uns an einem Riesling, blieben dem Jahrgang 2010 treu, weil es den 2011er zwar auf der Karte, aber nicht im Ausschank gab. Schade, dass das vor uns noch keiner gemerkt und moniert hat. Sylke mutmaßte ja gleich, dass die nur den 2010er loswerden wollen oder den besseren 2011er gleich selbst trinken. Aber das ist sicher nur ein Gerücht. Karte schreiben müssen sie also noch lernen bei den Drei Herren, obwohl wir recht froh waren, dass der 2010er Riesling nicht lieblich war, so wie es in der Karte stand, sondern trocken. Vom Jahrgang 2011 gibt es übrigens auch einen spontan vergorenen Riesling – leider nicht im offenen Ausschank. Der soll, hatte man uns im Wein & fein verraten, so richtig richtig gut sein…
Aber wir wollen nicht meckern, hat ja geschmeckt und das nächste Teilstück der Wanderung unter erschwerten Bedingungen steht bevor: Den Hohlweg hoch! Der beginnt gleich rechts neben dem Weingut und gehört zur Sorte Hachwieromantischundschöndashierist. Man hat hin und wieder schöne Ausblicke auf den Hermannsberg, der zum Weingut Drei Herren gehört, und den Ballberg (von dem der Hermannsberg ein Teil ist – Ende der Heimatkundestunde). Bald öffnet sich der Weg und man hat einen schönen Blick bis nach Dresden (und je nach Licht und Dunstsituation erkennt man die dahinter liegenden Berge auch mehr als schemenhaft).
Wir hatten uns, um nicht aus der Übung zu geraten, schon auf den nächsten Zwischenstopp verständigt: In der Besenwirtschaft der Familie Wagner oben am Ballberg hatte es uns mehrfach gut gefallen – da wollten wir hin. So vom Rythmus hätte es gepasst: etwas mehr als ein Kilometer stramme Wanderung und immerhin nahezu hundert Meter weiter oben als die Drei Herren, das ist doch eine Pause wert. Gut gedacht, aber falsch gerechnet: Wagners öffnen erst um vier. Das ist ihr gutes Recht, aber da sie beide im Garten rumwuselten, machten wir uns höflichst bemerkbar und merkten: Wir sind doch nicht in Italien. Von hinterm Zaun erfuhren wir zuerst, dass noch zu sei und erst um vier geöffnet würde, und selbst dann sei eh schon alles belegt. Schade. Irgendwie hatten wir den Eindruck, nicht willkommen zu sein.
Also weiter ohne Wein, ist vielleicht ja auch gesünder… Wir gehen munter Richtung Altwahnsdorf und haben dort ganz ungeplant eine Sackgasse genommen: „Zum Pfeiffer 1 km“ stand auf dem Wegweiser. Vorbei an Kühen und glücklich gackernden Hühnern führte der Weg an den Rand des Abgrunds. Unterhalb war früher mal Weinberg, doch die Reblaus hat hier nachhaltig gewütet. Oberhalb, also für uns auf Augenhöhe, die Historische Weinbergschänke Zum Pfeiffer. 1695 erstmals erwähnt, gute und schlechte Zeiten erlebt – das kennt man ja. Derzeit scheint’s trotz der Lage etwas ab vom Schuss gut zu laufen, es gab zwei Hochzeiten (eine links, eine rechts) und uns mit ein paar Anderen auf der Terrasse. Der Eiskaffee, den wir hier bevorzugten, wurde mit Sprühsahne serviert – was uns zu der Überlegung führte, ob die Gastronomen von heute eigentlich noch wissen, wie richtige Sahne schmecken kann?
Zurück nach Wahnsdorf und dort auf der geplanten Route weiter Richtung Dippelsdorf. Ja, die Orte haben hier schöne Namen! Aber sie haben das verdient. Dippelsdorf ist seinerseits Namensgeber des Dippelsdorfer Teiches, und der gehört zur Teichlandschaft rund um Moritzburg – und ist sehr idyllisch und schön anzusehen. Wir erspähten den Teich sogar, und nicht weit dahinter die Türme des Schlosses von Moritzburg und den des Kirchturms. Den Vordergrund bildeten weite Getreidefelder mit Kornblumen und Kamille im Nahbereich. Wem da nicht das Herz aufgeht!
Einem etwas versteckten Schild entnehmen wir, dass wir uns hier auf dem Bilz-Wanderweg befinden – benannt nach Friedrich Eduard Bilz. Nach all dem, was ich über ihn gelesen habe, ein interessanter Mensch: Den Weg müssen wir mal gezielt wandern, ist ja sowieso gesünder als diese Weinwanderungen! (Gleich daneben gab’s noch etwas am Wegesrand: Einen geodätischen Festpunkt. Könnte man ja auch mal was machen, so mit dem hiesigen Triangulationssystem. Immerhin feiert die Königlich-Sächsische Triangulation in diesem Jahr ihren 150. Geburtstag!)
Für uns geht’s nun erst einmal bergab. Der Langenwiesenweg, der uns schon lange an der Wiese vorbei führte (naja, ein flauer Wortwitz, aber egal), knickt ab ins Tal und bringt uns schwuppdiwupp von rund 200 auf etwa 144 Meter Höhe in den Lößnitzgrund. Hier dackelt die Bahn lang, wenn sie denn gerade kommt. Sie tat es nicht, weswegen wir auch kein schönes Bild einer schnaufenden Dampflok vor der Schefflermühle haben, einer der sieben Wassermühlen entlang der Lößnitz.
Unsere Wanderung führt – nun nicht mehr so dolle aufwärts – mit sehr angenehmen Bach-Hopping entlang und über Lößnitzbach und Lindenaubach. Der Dreizehn-Brücken-Weg wurde schon 1880 von einem Verschönerungsverein angelegt. Die Brücken sind von der einfachsten Art, also nichts für Brückenbauer – aber mit größeren Brücken hätte man vielleicht gar nicht so viel genehmigt bekommen. Gezählt haben wir übrigens nicht, aber es gibt (in Anlehnung an touristische Bemühungen andernorts) mehrfach schöne „Zwei-Brücken-Blicke“, und wenn man sich umsieht, kann man sogar manchmal von seinem Standpunkt noch mehr sehen. Die Luft riecht gut, die Vögel quintilieren, mögliche Touristen haben wir nicht gesehen: Ein schönes Stück dieser Wanderung!
Wir erreichen Lindenau. Dort wäre das Landhotel Lindenau ein ideales Ziel zum Abendessen – wenn es nur schon ein wenig später wäre. Aber es ist uns, obwohl es ja vergleichsweise lang ohne Weinpause ging, noch zu früh. Also biegen wir kurz vorher ab, was wir nicht bereuen werden. Allein die Straßen- und Wegenamen lassen erahnen, dass es da schön sein wird. Angefangen vom Ortsnamen Lindenau (Linden-Aue!) über Jägerhofstraße, Katzenloch, Waldwiesenweg schlagen wir einen Bogen mit Ausblicken. Eine Bummelei auf nahezu einer Höhenlinie, wie wir sie lieben. Umso mehr, als am Ende des Waldwiesenwegs ein kleines handgeschriebenes Schild auf eine Besenwirtschaft hinwies.
Dieses Schild hatten wir schon mehrfach bei früheren Wanderungen gesehen und missachtet, weil uns das vom eigentlichen Weg abgelenkt hätte. Aber dieses Mal mussten wir hin zur Familie Schurig, wo wir aufs Angenehmste überrascht waren und den Abend bei hauseigenem Wein und typischer kleiner Straußwirtschaftsküche einläuteten. Mit uns im großen Garten: Viele andere fröhliche Menschen, alle bedient von einer fröhlichen und aufgeschlossenen Frau Schurig. Hier fühlten wir uns willkommen!
Zum Abschluss der Wanderung und zum Dessert sind wir – nicht das erste Mal! – bei unserer Lieblingsköchin gelandet. Erfreulicherweise hat das Charlotte K., in dem Ines Kuka kocht und manchmal auch raus zu den Gästen kommt, ja einen Garten, so dass man als Wandersmann und -frau sich nicht in das dann doch eher feine Restaurant setzen muss. Nach unserem deftigen kleinen Abendbrot war natürlich kein Raum mehr für das volle Programm – aber für DIE Crème Brûlée (und, um etwas Neues kennenzulernen, Apfel-Mandel-Knusperrolle auf marinierten Erdbeeren) und ein Glas Wein (2009 Ein schöner Weißwein vom Weingut Hiestand) wählten wir genau den richtigen Ort. Und mit einem Rheinhessen schloss sich dann auch ganz hervorragend der Weinteil der Wanderung!
PS: Gleich hinter der Charlotte K. befindet sich die S-Bahn-Haltestelle Zitschewig. Damit keiner denkt, wir seien bei Charlotte K. versackt…
Wow, das ist ja zuletzt noch ne ganz schöne Runde geworden… das hatte ich an der Stelle mit dem Blick gen Moritzburg nicht erwartet! Gut geschriebene Geschichte demnach… 😀