Früher gaben sich die Huren und die Kiffer hier die Ehre. Für Touristen war el Raval, zumindest in den dunklen Stunden des Tages, eher eine no-go-area. Doch die Zeiten ändern sich: mittlerweile gibt’s in dem Viertel durchaus Touris – die auf Studenten und eine bunte Mischung Einheimischer mit bunter Herkunft treffen. Stadtplanung und Stadtentwicklung haben’s möglich gemacht – mit den üblichen Nebenwirkungen, dass manchmal aus preiswertem Wohnraum spekulativ teurer wird.
Wir waren, und da ist’s eh unspektakulär, tagsüber im Viertel, das über Jahrhunderte außerhalb der Stadtmauern lag und dann aber als Vorstadt von Barcelona an der Außengrenze seinerseits eine Stadtmauer hatte – woran man sieht, dass so eine Mauer allein fürs Wohlbefinden der Bevölkerung auch nicht ausreicht.
Wo liegt denn dieses el Raval? Ganz einfach: Wenn man die Ramblas zum Meer hinunter geht, rechts davon. Der Markt la Boqueria gehört auch schon zum Viertel, so für’s Stadtgefühl. Wir beginnen mit einem neuerlichen Gaudí-Hausbesuch: Der Palau Güell ist eins der ersten architektonischen Werke von Gaudí, entstanden zwischen 1885 und 1898. Und es zeigt bereits viele der Verrücktheiten (oder, wenn man es etwas politisch korrekter formulieren will: etwas von den genialen Ideen) des jungen Antoni Gaudí. Und es lehrt, dass ohne Beziehungen schon nie nix ging: Der wohlhabende Industrielle Eusebi Güell förderte Gaudí, indem er ihn machen ließ. Nicht nur mit dem Palast im Rande des Schmuddelviertels, sondern auch andernorts (den Park Güell muss man auch gesehen haben!).
„Güell wurde im Rahmen einer kleineren Arbeit zur Pariser Weltausstellung 1878 auf Gaudí aufmerksam. Beide verband eine lebenslange Freundschaft und geschäftliche Beziehung. Beide verband zudem eine tiefe Religiosität. Güell führte Gaudí in die höhere Gesellschaft der Stadt ein und vermittelte einige Aufträge, wenngleich die Mehrheit den Werken Gaudís zu diesem Zeitpunkt skeptisch gegenüber stand.“ [Wikipedia]
Der Palast des Herrn Güell beeindruckt auf vielen Ebenen (womit ich jetzt nicht die sechs Stockwerke bis zum Dach meine, das dann, noch so’n Wortspielversuch den Höhepunkt des Besuchs bildet). Denn einerseits mag man vor Staunen ob des Prunks und des Wohlstands gar nicht mehr den Mund zubekommen, andererseits aber verschließt der sich auch nicht angesichts der vielen Details, die Gaudí hier zu einem beeindruckenden Ganzen kombinierte.
Der Keller war früher Stall – mit zwei Rampen: Eine sanft ansteigende für die Pferde und eine steilere spiralförmige für die Menschen. Die gehen wir hoch, alle Räume sind zugänglich und werden einem bestens erklärt – mit einem Audioführer, den es automatisch mit dem Eintritt gibt. Gut gemacht und hilfreich, wenn man sich durch die Details blickt. Und da gibt’s reichlich, mit goldenen Türen und Orgelempore, alles überdacht mit einer parabolischen Kuppel, die den Raum durch zahlreiche kleine Löcher und eine große zentrale Öffnung beleuchtet.
Die Dachlandschaft des Palau Güell ist eine aufregende Angelegenheit. Gerade ist da nichts, es geht hoch und runter. Zwanzig Skulpturen, die eigentlich nur verkleidete Schornsteine sind, und ein 15 m hoher Turm mittendrin, der die mittlere Öffnung der Zentralhalle bedeckt, sind die naheliegenden Hingucker. So schön und aufregend können Schornsteine sein! Aber wenn man schon so weit oben steht, lohnen natürlich auch Blicke in die nähere und weitere Umgebung. …und unten lohnt auf jeden Fall der Blick zurück und nach oben sowie, bevor es weitergeht, ins Haus gegenüber: Dort kann man im 1964 im modernistisches Stil erbauten Hotel Gaudí sehen, wo der Unterschied zum Original liegt.
Unser nächstes Ziel ist Sant Pau del Camp, ein romanisches Kloster mit Kirche – und beide haben einige Jahre auf dem Buckel: Ein Grabstein mit Datum 26. April 911 gibt einen dezenten Hinweis… Man kann diese Oase der Ruhe (mit Kreuzgang im Innenhof) besichtigen, die Frau an der Kasse sprach sogar deutsch mit uns! Der Name von Barcelonas ältester Kirche ist übrigens ein Hinweis darauf, dass sie zur Gründungszeit vor den Toren der Stadt lag – auf dem Feld, del camp.
Gleich um die Ecke geht’s dann aber weniger beschaulich zu: Die Rambla del Raval ist belebt-beliebte Flaniermeile im Viertel. Die breit angelegte und mit Palmen bestandene rambla entstand im Rahmen der Stadterneuerung vor den olympischen Spielen 1992. Wir sahen dort auch El Gato del Raval, ein Kunstwerk des kolumbianischen Bildhauers Fernando Botero. Der fette Kater stapft offensichtlich durch die Stadt, denn man sah ihn vorher schon an anderen Plätzen Barcelonas (aber hier scheint er eine gute Bleibe gefunden zu haben).
El Raval ist hier eine bunte Mischung der Kulturen – aus den Fenstern hängen nicht nur großformatige Fahnen in den Farben des 1. FCB oder Kataloniens, sondern auch zu allerlei anderen Bekenntnissen. Beim Spaziergang durchs Viertel el Raval fallen die zahlreichen kleinen Geschäfte in den teils sehr engen (und damit schattigen) Gassen auf – wobei ganze Straßenzüge zwar diese netten kleinen Läden haben, aber das Angebot nicht wirklich dem erwarteten Alltagsbedarf dienen. Es sei denn, man zählt Mobiltelefone dazu.
Das ehemalige Hospital de la Santa Creu (katalanisch für Krankenhaus zum Heiligen Kreuz) wurde ab 1401 erbaut. Über 500 Jahre war es nicht nur das Zentralkrankenhaus Barcelonas, sondern auch das größte Krankenhaus Katalonises. In diesem Krankenhaus starb am 10. Juni übrigens antoni gaudé. Er war drei Tage zuvor mit einer Straßenbahn kollidiert und wurde in Santa Creu eingeliefert, wo man ihn für einen Bettler hielt, weil er so zerlumpt aussah. Es sagt ja auch viel über das Gesundheitswesen aus, dass man – nachdem man den angeblichen Bettler als den berühmten Architekten identifiziert hatte – ihn in eine Privatklinik verlegen wollte. Und es sagt auch einiges über Gaudí, der dann gesagt haben soll: Nein, lasst mal – mein Platz ist hier bei den Armen.
Das Krankenhaus zog 1929 um in einen neuen Komplex im Stadtteil Eixample, den der Modernisme Architekt Domènech i Montaner gebaut hat. Seit 1939 beherbergt das ehemalige Hospital die Nationalbibliothek von Katalonien und das Institut für katalanische Studien. Dadurch ist das Gebäude (relativ) frei zugängig, und vor allem im Innenhof und dem Garten (mit schönem Brunnen unter Orangenbäumen) geht es lebhaft zu.
Es gibt dann noch, wenn man weiter hoch marschiert Richtung Universität, zunehmend urbanes Leben und durchaus Orte zum Verweilen: das Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA), ein Bau des Nordamerikaners Richard Meier, der 1995 eröffnet wurde. Natürlich ganz in weiß, wie das so Meiers Art ist. Draußen kann man Skater beobachten, die mal mehr und mal weniger kunstvoll zeigen, wozu Museumsvorplätze auch gut sein können.
Das Zentrum für zeitgenössische Kultur (CCCB) gleich nebenan kann man sich auch vormerken für einen längeren Besuch, wir schnuperten nur mal kurz in den Innenhof Pati de les Dones rein, weil wir ja einen Anschlusstermin fest gebucht hatten…
Nun ja, wir leben seit mehr als 10 Jahren im El Raval und haben die Veränderungen hautnah miterlebt. Und das ist ein zweischneidiges Schwert, auf der einen Seite stömen immer mehr pakistanische Emigranten ins Viertel, die mit ihren mafiösen Strukturen nach und nach den einheimischen Einzelhandel verdrängen, andererseits wird das Raval so hip, dass neue Bars, Restaurants und Boutiquen entstehen. Nichts mehr für die alten Katalanen.
Die Stadtverwaltung von Barelona tut einiges um dieses Viertel von seinem jahrhundertealten schlechten Ruf zu befreien, hier wird auch von der Stadt jede Menge Geld investiert, was wiederum die üblichen Investoren auf den Plan ruft und die bekannte Spirale dreht sich mit neuem Tempo.