lichtung
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum
Ernst Jandl
Kaum haben wir den Pfaffenstein verlassen, ändert sich das Landschaftsbild. Statt Felsen und Schluchten nun Wald und Wiesen. Aber immerhin: Blauer Himmel und leidliche Laubfärbung. Wir fanden’s da einfach nur schön, was ja schon was ist – aber mit etwas mehr Wissen vorab hätten wir sicher den bronzezeitlichen Wall erkannt, der vom Bequemen Aufstieg durchschnitten wird. So schritten wir ahnungslos über geschichtsträchtigen Boden: Vor rund 3.000 Jahren, las ich dann hinterher, war das Plateau des Pfaffenstein bereits besiedelt. Die Archäologen sprechen von der Lausitzer Kultur und finden Ton, Steine, Scherben. Der von uns achtlos durchspazierte Wall ist 200 Meter lang und sollte wohl den seinerzeit einzigen Zugang zum Plateau absperren.
Unübersehbar freilich sind die beiden Berge zur Rechten, sobald sich der Wald ein wenig lichtet: Königstein nebst Festung oben drauf und wenn man gerade richtig steht (oder es einem gesagt wird!) sieht man auch noch den rechtselbig gelegene Lilienstein.
Nur wenige Minuten später geht’s rechts ab – und schon schiebt sich der Pfaffenstein ins Bild. Das bedeutet aber auch: wir haben bereits den nächsten Tafelberg erreicht. Er hat den schönen Namen Quirl und ist einer von der gemütlichen Sorte: Es geht zwar bis auf knapp 350 Meter hoch, aber sehr gemütlich. Man läuft durch den Wald auf halbwegs breitem Weg. Früher waren hier Felder – das sagt alles. Die hat man dann aufgegeben und den Berg der Natur überlassen, damit der böse Feind es sich nicht gemütlich macht auf dem Quirl und den nördlichen Nachbarn beschießt: die Festung Königstein. Allerdings heißt der Weg hoch Kanonenweg, was ja irgendwie auf seine Bestimmung schließen lässt.
Großartig markiert ist hier nichts, weswegen oben an einer Weggabelung großes Raten bei den sich dort treffenden Wandersleuten herrscht. Um es mit Ernst Jandl zu formulieren: Lechts oder rings? Wer rechts wählt, kommt zum Gipfel, was man wie immer auf Tafelbergen kaum merkt. Dafür gibt’s hier mal wieder grandiose Aussicht vom Feinsten, dieses Mal Richtung Pfaffenstein. Ansonsten ist es hier hübsch unspektakulär und auch vergleichsweise ruhig – wir teilten uns das geräumige Plateau mit einer Handvoll anderer Wanderer – das verliert sich ganz schnell.
Dieses sollte nur ein Abstecher sein: Wer an der Jandelschen Weggabelung nicht zurückgeht, kürzt erheblich ab – verpasst aber auch viel. Und das ist ja nun gar nicht unsere Art, wegen ein paar gesparter Meter auf Schönes zu verzichten. Also nunter wie nuff und dann weiter auf der Oberen Quirlpromenade. Was wir vor allem hatten, ist nicht garantiert: Abendsonne! E Draum, wie die Sachsen schwärmen. Schönes Licht, Ruhe sowieso. Wer’s nacherleben will: Um 16.15 Uhr Ende Oktober ist das so, vor der Zeitumstellung und bei gutem Wetter. Eine ganze Zeit lang schlendert es sich so gemütlich dahin – und man kann es gar nicht oft genug betonen: menschenleer.
Plötzlich schiebt sich ein Fels in den Weg, aber nicht so ein null-acht-fuffzehn-Brocken, sondern ein ausgesprochen interessantes Exemplar mit Löchern und Aushöhlungen und Überhängen. Die Farben changieren vom hellen sandsteingelb übers grün Bemooste bis ins gewohnte fast Schwarze. Ein rastender Wanderer mit braunem Hut und blauem Fleece fügte sich perfekt in die Szenerie ein.
Der poröse Felsen gab quasi den Startschuss für eine Serie von beachtenswerten Fels-Details. Die Felsüberhänge gewähren, so sie nur groß genug sind, im Ernstfall ja auch Schutz vor den Unbilden des Wetters. Die Sachsen, die größtenteils zur Art der Klettertiere zu gehören scheinen (denn hier geht alles klettern!), haben das natürlich erkannt und gehen gerne boofen. Boofen ist sprachlich durchaus verwandt mit poofen, was ja nix anderes als Masematte/Rotwelsch für pennen ist. Das harte p können sie hier nicht, also boofen. Die Tätigkeit boofen findet praktischerweise in Boofen statt, so heißen die Felsüberhänge hier, wenn sie sich zum Übernachten eignen.
Das Boofen in Boofen hat zwar Tradition, ist aber mittlerweile strengstens geregelt. Wer mal eine Ahnung davon bekommen möchte, wie Regulanten ticken, dem empfehle ich den Gesetzestext – für den vollen Genuss bitte laut lesen und durchhalten:
Gemäß § 5 Abs. 2 der Verordnung über die Festsetzung des Nationalparks Sächsische Schweiz – im Folgenden Nationalpark-Verordnung – vom 12. September 1990 (GBl. Sonderdruck Nr. 1470), die zuletzt durch Artikel 7 der Verordnung vom 5. Dezember 2001 (SächsGVBl. S. 734, 735) geändert worden ist, in Verbindung mit § 43 Abs. 3 Nr. 1 Sächsisches Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Sächsisches Naturschutzgesetz – SächsNatSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Oktober 1994 (SächsGVBl. S. 1601, 1995 S. 106), das zuletzt durch Artikel 1 § 1 Nr. 18 des Gesetzes vom 6. Juni 2002 (SächsGVBl. S. 168) geändert worden ist, hat die Nationalparkverwaltung als Teil der Pflege- und Entwicklungsplanung für den Nationalpark Sächsische Schweiz (NLP) den Abschnitt Freiübernachtung der Bergsportkonzeption erstellt.
Schön, nicht wahr? Es geht dann darum, dass eigentlich im Nationalpark Übernachten in Zelten überhaupt gar nicht und das im Freien eher auch nicht gestattet sei, aber in Anerkennung der „Tradition insbesondere der sächsischen Bergsteiger …, in bestimmten Bereichen des Nationalparks frei zu übernachten (zu boofen)“ es eben Ausnahmen gibt. Nach dem 121 Wörter langen oben zitierten Satz spürt man förmlich, wie sich dem beamteten Bekanntmachungs-Autoren die Fingernägel kräuseln beim Tippen des Wortes boofen… Zu allem Überfluss hat dann die Verwaltung, Ordnung muss sein, auch noch eine Karte mit den Boofen veröffentlicht – unter den Traditionalisten ein absolutes no-go. Andreas Z. hat die Problematik unaufgeregt und dennoch engagiert zusammengefasst.
Wir wollten ja, Regulation hin oder her, gar nicht boofen – aber beim Diebskeller erwischte uns der lange Arm der Gesetzeshüter dann doch.29 Meter lang, fünf bis acht Meter breit und zwischen zwei und vier Meter hoch ist das die größte Höhle der Sächsischen Schweiz. Auf ca. 230 m² lässt sich einiges arrangieren – einen Steinernen Tisch aus dem Jahre 1755 gibt es und eine Feuerstelle. Dort lag zwischen zwei Steine geklemmt ein Zettel: Laut §15 Sächs. Waldgesetz sind Rauchen und offenes Feuer im Wald verboten! So wie die Feuerstelle aussah, eher gutes Anmachpapier als ernst genommener Rechtshinweis (und bevor mich jetzt jemand falsch versteht: Feuer im Wald ist kreuzgefährlich – aber Lagerfeuer in Höhlen weit weg von Brennbarem ein menschheitsaltes Vergnügen).
Das letzte Wegstück bis Königstein ist weniger spektakulär. Aber Königstein selbst ist dann doch überraschend nett zu durchlaufen – vorbei an skurillen Holzschnitzereien, an fröhlich-feiernden Menschen im Garten, Wein trinkenden auf dem Balkon. Manchmal sieht man links die Festung, dann voraus den Lilienstein: Wer Königstein nur von der Durchfahrt kennt, erlebt es hier eindeutig von einer deutlich charmanteren Seite. Vielleicht sollten wie nochmal für einen Stadtbummel hierhin kommen…
Alle Teile dieser Wanderung:
Königstein-Pfaffenstein
Berggaststätte Pfaffenstein
Auf dem Pfaffenstein
Sage der Barbarine
Pfaffenstein-Quirl-Diebshöhle-Königstein
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