Bumerang
War einmal ein Bumerang;
War ein Weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
Wartete auf Bumerang.
Joachim Ringelnatz, der Kuttel Daddeldu aus Wurzen bei Leipzig, hat diese Zeilen verfasst, sie wurden in den “Turngedichten” (1920–1923) veröffentlicht.
Es gibt mindestens zwei Gründe, warum das pp Publikum wohl immer noch wartet. Der eine: Wahrscheinlich war das gar kein Bumerang, sondern ein Kylie. Das ist auch so ein australisches Wurfwerkzeug, aber es will gar nicht zurückkommen. Dafür trifft es besser, weil es weiter und gradliniger fliegt – steht in der Wikipedia.
Der andere Grund. Es ist doch ein Bumerang gewesen, aber der Kammerer hat ihn sich gefangen. Im Zeit-Raum-Kontinuum ist das zwar etwas kompliziert vorzustellen, denn Hans Gustav Bötticher, wie Ringelnatz eigentlich hieß, ließ den Bumerang ja vor fast hundert Jahren fliegen – und obendrein starb er auch schon 1934. Anton Paul Kammerer wurde erst 1954 geboren – aber Todestag des Einen und Geburtstag des Anderen war jeweils ein 17. So etwas verbindet ja.
Und warum hängt der Bumerang jetzt hier bei art+form? Eine einfache Frage, die sich mit drei Weils ganz einfach beantworten lässt.
Weil erstens Kammerer vor drei Tagen, eben an jenem 17. Juli, Geburtstag hatte und wir ihm ganz schnell erst einmal nachträglich dazu gratulieren. 60 Jahr’, graues Haar, so stand er vor mir…
Weil zweitens die Frau Feuerstack von art+form sich dachte: Zum 60. Geburtstag von Anton Paul Kammerer könnte man ja schon einmal eine Ausstellung organisieren.
Weil drittens Kammerer 2012 den Bumerang nicht nur eingefangen hatte, sondern – wie das so seine Art ist – auch abgelichtet hat. Und wenn Anton Paul Kammerer etwas ablichtet, dann entsteht dabei natürlich kein Foto, sondern Kunst.
Malerei, die man sich am besten ganz lange ansieht, nicht nur flüchtig. Denn nun hören sie auf, die Gemeinsamkeiten von Ringelnatz und Kammerer. Ringelnatz hatte zwar einen Kurs als Schaufensterdekorateur absolviert – aber, entnehme ich wieder der Wikipedia als unerschöpflichem Quell guten Wissens – lediglich ein Schaufenster dekoriert, und zwar “so unorthodox, dass er den Beruf sogleich wieder aufgab.”
Kammerer, der in Weißenfels geboren wurde, hat auch mit ganz handfest-Praktischem angefangen. In Merseburg und Halle lernte er 1971-73 das Plakatmalen. Die Zahl seiner Arbeiten aus jener Zeit ist nicht bekannt, aber sie wird definitiv viel größer als eins sein – und während sich Ringelnatz trotz seiner Pleite im Dekorateursbereich später im Telefonbuch “Kunstmaler” nannte, steht beim Kammerer gar nichts derartiges. Mit Expertenwissen findet man in den Meta-Daten seiner Webseite allerdings den Hinweis “Maler und Grafiker”, was bescheiden auf das Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden aufmerksam macht, wo er eben diese Fächer studierte. 1975 bis 1980, fünf lehrreiche Jahre – mit inspirierenden Lehrern wie Günter Horlbeck und Siegfried Klotz. Und mit Jutta Damme kam er in den Genuss der erst zweiten Frau, die an dieser Hochschule Malerei professoral unterrichten durfte…
Wenn Sie sich den Bumerang ansehen, schauen Sie sich doch bitte nicht nur das Wurfholz an, sondern auch das wartende Publikum. Winzig kleine people, winzig wie – pardon – Fliegenschiss. Klein, aber detailliert, wenn Sie ganz rechts mit großer Freude den Hund entdecken, beispielsweise.
In solchen Details steckt der Kammersche Humor. Von dem hat er eine Menge, was ihn vielleicht auch noch mit dem Wurzener verbindet. In den Details stecken meist die schönsten Dinge. Die Kleinen Männlein bei der “Prozession” aus dem Jahr 2012 sind allesamt Typies, vom güldenen Popen vornean bis zum Maler ganz hinten – der übrigens der Prozession nicht folgt, sondern ihr den Rücken kehrt und sein Ding macht, an der Staffelei – wo sonst? Sicherlich ist es kein Zufall, dass diese popale Prozession auf einen Grund gezeichnet ist, auf dem man die Worte Auskunft und Bankverbindung noch erkennen kann – aber vieles bleibt da im Dunkeln!
Diese Ausstellung hat ja ein Thema, einen Namen. “Spaziergang”, manchmal vorne allerdings wie der Vogel geschrieben, also Spatz. Während ich noch darüber sinniere, ob uns der Künstler damit auch etwas sagen will, lenkt mich der Büffel auf einem der vier Spa(t)ziergang-Bilder ab. Ist es der, den Jule Malischke eingangs besungen hat? Anton Paul Kammerer ist jemand, der offensichtlich Musik zum Malen braucht. In seinem Atelier dröhnt ein veritabler Bass, und der kleine Laptop scheppert natürlich nicht vor sich hin, sondern spielt seine Klänge volltönig über die Anlage ab.
Die Büffel im Lied “Jimmy” sind noch relativ verhalten, aber verkünden doch deutlich ihre Meinung:
The Buffaloes used to say be what you are
The Buffaloes used to say roam where you roam
The Buffaloes used to say do what you do
– in etwa:
Die Büffel pflegten zu sagen: Sei einfach Du selbst!
Die Büffel pflegten zu sagen: Geh hin woimmer Du willst!
Die Büffel pflegten zu sagen: Tu was Du tun musst!
So einen Büffel sehen wir auf etlichen der jüngeren Werke. Er begleitet den Künstler bei einem Spaziergang über die Elbinsel bei Pillnitz – mit Blick aufs Schloss. “Das alte Dresden”, ein Kalender aus dem Jahr 1990, bildet die romantisierende Unterlage, die Kammerer munter collagierend zuschnippelt und übermalt. Der Büffel scheint den Familienfrieden von der Pose her zu gefährden, aber in Wirklichkeit will der nur spielen.
Was es mit diesem und anderen Büffeln auf sich hat, wollte ich bei einem Atelierbesuch vom Künstler wissen. “Das ist mein neues Haustier!” sagt er. Vor einem halben Jahr etwa sei er aufgetaucht, immer hinter ihm hergetrottet. Ganz friedfertig – und um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Nein, mit Rotwein habe das nichts zu tun gehabt! Also das Tier sei wirklich immer da gewesen, habe sich abends vor seinen Sessel gelegt, so dass der Herr Kammerer da immer habe drübersteigen müssen.
Nun fragen Sie sich: Was soll das? Und genau das hat Kammerer sich auch gefragt. Die Antwort: “Der ist für mich wie ein großer brauner Lederkoffer, in dem sich alle Bilder befinden, die ich je malte.” Aber nicht nur die, sondern auch alle Liebschaften, alle Irrtümer, alle Erfolge – alles. Das große Tier, meint Kammerer, sei auch unglaublich praktisch, weil er dann ja den ganzen Ballast nicht selbst tragen müsse. Ein lebendiger Datenträger, seine Biografie – oder Bisonografie, wer weiß.
Leider ist das mit dem Büffel so wie man es aus Märchen kennt. Jetzt, wo Kammerer weiß, was es mit dem roaming buffalo auf sich hat, ist er futsch, nicht mehr da. Aber auf den Bildern lebt er weiter, man sieht, wie die beiden durch die Welt marschieren (“My buffalo and I”), wie sie gemeinsam “Pause” machen oder eben sich das alte Dresden ansehen.
Natürlich ist das ganze Leben was fürn Büffel, aber da gibt’s selbstredend noch mehr. Zum Beispiel den unveröffentlichten Krimi “Die Rettung der Welt”, in dem in einem nicht nacherzählbaren Durcheinander der Beziehungsgeflechte alles auftaucht, was in diesem Genre Rang und Namen hat. In der Reihenfolge des Erscheinens: Miss Marple, Mister Stringer, Lisbeth Salander,Iwan Stroganoff, Sherlock Holmes, Colombo, Schimanski, Dr. Moriarty (nein, nicht der Mann von Isabell aus dem Lied, sondern der Napoleon des Verbrechens – auch was für Holmes-Kenner).
Und da sind wir erst in Zeile 25 des vielseitigen Typoskripts!
Wie gesagt, eine sehr wirre Geschichte – aber die Bebilderung von einigen Teilen kann schon jetzt als gelungen betrachtet werden! “16:50 ab Paddington” skizziert die unschlafbare Miss Marple, wir finden “Die Mütze von Sherlock” oder “Holmes und Watson in Dartmoore” mit einem sehr sumpfigen, aber keineswegs toten Moor unter ihnen. Auch so eine Art Spaziergang, denn mit den Worten
“schaurig ists, übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!”
besang Annette von Droste-Hülshoff schon 1842 den Knaben im Moor.
Man muss das mit dem Spaziergang ja auch nicht immer wörtlich nehmen – obwohl sich mittlerweile eine ganze Wissenschaft drum kümmert. Die Promenadologie, auf gut deutsch: Spaziergangwissenschaft und auf fast noch hübscher englisch Strollology will “die Bedingungen der Wahrnehmung der Umwelt bewusst machen und die Umweltwahrnehmung erweitern”. (Zitat) Das macht Kammerer auch, so nebenbei, selbst wenn er uns nicht spazieren gehen lässt. Unternehmen wir einen kleinen Spaziergang in der Zeit, der Einfachheit halber zurück: “Geschichten aus der alten Welt” können wir auf zwei Blättern aus dem Jahr 1992 bewundern. Erinnerungen (damals schon!) des Künstlers, mit Wigwam, der Geschichte der Menschheit und keinem Büffel, obwohl das sicher zur Indianerthematik auch schon gepasst hätte. Diese beiden Collagen sind übrigens noch nie irgendwo zu sehen gewesen – vielleicht einer der Gründe, dass es sie überhaupt noch gibt.
Nun hat ja nicht ein jeder eine ganze Wand frei, um sich den Frühling auf 58 x 72 cm ins Wohnzimmer zu hängen oder den ungerahmt 45 x 46 cm großen Rutengänger. Es gibt diese (und andere) Ölgemälde übrigens mit Rahmen, die Kammerer in Handarbeit selbst fertigt – und es ist gar nichts gegen das Haus hier gesagt, wenn man feststellen muss: Das ist eine eigene Liga, das ist erstklassige Handarbeit und gibt den Bildern den rechten Halt.
Die Kunst des Rahmens und des Gold bzw. Silber Auftragens ist alt, und seit dem Mittelalter hat sich nicht viel geändert an der Technik. Man braucht vor allem Geduld und intime Kenntnisse der Materialien. Lindenholz, auf Gehrung gesägt und verleimt, wird mit Kreidegrund behandelt. Drei bis fünf Schichten! Dann Bolusgrund, dann Blattgold – alles sehr sehr mühsam. “Kunst”, sagt Anton Paul Kammerer, “ist etwas Heiliges – das hört beim Rahmen nicht auf!”
So, kurz vor Sekt und Wein nur noch ganz schnell winzige Anmerkungen zu kleineren Stücken! Sie werden viele Zeichnungen und Aquarelle finden, die ungerahmt nicht größer als ein A-4-Blatt sind. Kleinheit schützt freilich nicht vor ausdauerndem Betrachten: Ist der Hühnergott nun wirklich ein Hühnergott, oder verbirgt sich da nicht doch ein Büffel – irgendwie ist es ein angebüffelter Hühnergott, schauen Sie nur genau hin! Und die Landschaften, die Wolken – ach, was sag’ ich: Ich sollte, frei nach Matisse, nicht reden, sondern Anton Paul Kammerers Bilder sprechen lassen!
Rede am 20. Juli 2014 zur Vernissage der Ausstellung
„Spaziergang“ – Anton Paul Kammerer zum 60. Geburtstag
Die Ausstellung ist vom 20. Juli bis 28. August 2014 zu sehen bei art + form in Dresden
Das Lied Jimmy (und mehr) spielte Jule Malischke
Das Foto von der Eröffnungsrede machte Stefan Mosig
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