Genuss ist keine Schnecke

Slow Food Genussführer immer noch mit Kinderkrankheiten im Bewerter-System

genussführer15Man kann die Dinge ja immer so sehen oder anders, man kann sich Lücken eingestehen oder die Dinge schön reden. Ein wunderbares Beispiel dieser Binsenweisheit ist der neue „Slow Food Genussführer Deutschland 2015“, der ab 29. September im Buchhandel ist und uns freundlicherweise vom oekom verlag vorab zur Besprechung zugeschickt wurde.

Vor einem Jahr erschien der Genussführer als Premiere – und erreichte höchstmögliche Aufmerksamkeit. Der Waschzettel-verwöhnte Medienzirkus lobte – die STIPvisiten meckerten. Die Hauptkritikpunkte von vor einem Jahr sind in der aktuellen Ausgabe immer noch gültig – so gesehen erweisen sich die Macher von Slow Food als Slow Brains, die leider nichts dazu gelernt haben. Aber sie reden sich alles schön und loben, dass „vor allem der Nordwesten der Republik kräftig zugelegt (hat). Aber auch Nordrhein-Westfalen ist stärker vertreten und die bisher graue Hauptstadt Berlin präsentiert immerhin vier neue Lokale. Der Bodensee, im 2014-Führer noch weitgehend kulinarische Diaspora, ist mit neun neuen Lokalen durchgestartet. Das Saarland ist jetzt mit einem eigenen Länderkapitel vertreten und auch Ostfriesland glänzt mit einem roten Punkt auf der großen Deutschlandkarte, auf der alle 403 Lokale markiert sind.“ Oha: Berlin mit vier Lokalen (von geschätzt Quintillionen, die es dort gibt), Ostfriesland mit einem (!) laut der zitierten Pressemeldung – in Wirklichkeit sind es hundert Prozent mehr, denn es gibt zwei beschriebene Restaurants, eins in Dornum und eins auf Langeoog. Damit ist dann aber auch schon knapp die Hälfte des kräftig zugelegt habenden Nordwestens genannt (Bad Zwischenahn und Oldenburg sind auch noch vertreten).

126 Adressen sind neu im Genussführer, der Buchmacher-handwerklich übrigens gut gemacht ist. Flexibler Einband, Lesebändchen, Fadenheftung – alles fein. Aber diese Adressen wurden wie gehabt von Freunden der Freunde ausgesucht, will heißen: Vereinsmitglieder reisen in der eigenen Region herum und bewerten sich gegenseitig. Ach, was heißt bewerten: Sie schreiben emotions- und lustlos Dinge wie Auszüge aus der Speisekarte nieder. Die „liebevoll-individuellen Beschreibungen“, mit denen der Verlag wirbt, habe ich beim besten Willen nicht finden können.

Was sich nach wie vor auch nicht finden lässt, sind die guten Restaurants in und um Dresden, den Gedanken der Slow-Food-Bewegung trefflich verkörpern. Ganze zehn Restaurants haben es ins Kapitel Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geschafft – mit Fug und Recht sicher ein deutliches Zeichen für das befremdliche Bewertungssystem. Immerhin lesen wir (wieder in der Pressemeldung): „Sorgenkind bleibt der Osten der Republik. Eine Slow-Food-Taskforce soll sich jetzt verstärkt um diese Bundesländer kümmern.“ Das ist ja man eine geile Idee, und ich freue mich schon jetzt darauf, wie diese Task-Force neue gute Restaurants zaubert und/oder den hiesigen Slow-Food-Testern die Augen der Erkenntnis öffnet. Ein Heißer Tipp für den Kartographen schon mal vorab: Limbach-Oberfrohna liegt nicht an der polnischen Grenze!

Slow Food Deutschland e.V. (Hrsg.), Slow Food Genussführer Deutschland 2015
oekom verlag, 448 Seiten, 19.95 EUR, ISBN 978-3-86581-663-4. Auch als E-Book erhältlich.

Ich muss nochmal was nachschieben, denn irgendwie hatte ich beim Lesen des Genussführers 2015 so ein Gefühl, das alles so oder so ähnlich schon mal gelesen zu haben. Nun habe ich nachgelesen – und siehe da: Die trauen sich was bei Slow Food in der Redaktion: Wortwörtlich gleiche Texte habe ich entdeckt – zum Beispiel für die Obermühle in Görlitz (S. 329 im 2014er / S. 437 im 2015er) oder den Landgasthof zum Schwarzbachtal (S. 330 / S. 438), aber auch die Dorfschänke in Düsseldorf-Niederkassel (S. 283/370) leidet unter Selbstplagiat. Und zwar nicht nur in der Beschreibung des Hauses, sondern auch im „bewerteten“ Essen, wobei bewertet ja nicht das richtige Verb zu sein scheint. Abgeschriebene Karte, vielleicht. Vielleicht aber nicht einmal das. So viel Unverschämtheit muss man sich erst einmal trauen – aber Stil ist bekanntlich nicht nur das Ende des Besens… Stichproben in anderen Regionen ergaben: Es geht auch anders. Beim Goldenen Hahn in Finsterwalde ist die Einleitung nahezu identisch, aber beim Essen gibt’s neue Texte (S. 170/223). Oh oh oh…

2 Kommentare

  1. 10 Restaurants in Sachsen, Sachen Anhalt und Thüringen… ???

    Mir fallen da schon mindestens 10 in der Region um Dresden ein!!!

    Gasthof Bärwalde [Beiträge in den STIPvisiten]
    Charlotte K [Beiträge in den STIPvisiten]
    Landhotel Rosenschänke [Beiträge in den STIPvisiten]
    Restaurant Daniel [Beiträge in den STIPvisiten]
    Brasserie Ehrlich [Beiträge in den STIPvisiten]
    Julius Kost [Beiträge in den STIPvisiten]
    Ratskeller Dohna [Beiträge in den STIPvisiten]
    Restaurant Oberschänke [Beiträge in den STIPvisiten]
    L‘ Auberge Gutshof [Beiträge in den STIPvisiten]
    Erbgericht Tautewalde [Beiträge in den STIPvisiten]

    Ich bin mal gespannt, ob das genau die 10 Restaurants sind…

    P.S. Einige dieser Restaurants sind sogar langjährige Mitglieder in dieser „Vereinigung“

    EDIT: Die Links zu den Restaurantbesprechungen stammen nach Absprache mit Sebastian Probst vom Autor des Blogs

    • Schöne Liste!
      Drin sind in DD und naher Umgebung: Keiner. Hohnstein (Landgasthof Zum Schwarzbachtal) und Görlitz (Obermühle) sind vertreten – mit identischen texten wie im Vorjahr – siehe dazu den Nachtrag am Ende des Beitrags oben!

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