Muss das sein: ein Genussführer nur zu Restaurants, die Mitglied bei Slow Food sind? Ob es sich auch für Nicht-SlowFoodies lohnt, das über 300 Seiten starke Buch zu erwerben? Schaun mer mal rein!
Slow Food gibt es in Italien seit 1986, in Deutschland seit 1992. Die vergangenen zehn Jahre steuert man auf einen Führer zu den – ja was denn: besten? beliebtesten? am besten vernetzten? – Restaurants zu, die sich dem Slow Food Gedanken verpflichtet fühlen. Wieland Schnürch, der Leiter der Genussführer-Kommission (sic!), sagt: „Wir sind zufrieden und durchaus ein wenig stolz, dieses ambitionierte und große Gemeinschaftswerk von Slow Food gestemmt zu haben. Mehr als 400 regelmäßige Tester haben mitgewirkt und Tausende von Gaststätten im ganzen Bundesgebiet besucht und geprüft. Und mehr als 60 Convivien haben dabei aktiv mitgearbeitet.“ Convivien, muss man wissen, nennen die Leute von Slow Food ihre örtlichen Gruppierungen – denn Slow Food ist nicht nur eine Idee, sondern auch ein Verein. Es gibt rund 12.000 Mitglieder in 80 lokalen Gruppen – aha: 20 oder ein Viertel haben also nicht mitgearbeitet am Genussführer. Das erklärt vielleicht, warum es auf den Landkarten im Buch sehr viele weiße Flecken gibt und die roten Punkte für ansteuernswerte Ziele sehr unregelmäßig verteilt sind.
Regionalität ist eins der Schlagworte, das man bei Slow Food oft hört. Bei Restaurants mögen wir das sehr, bei Testern kann das aber schnell ein Gschmäckle haben: Hier testen Vereinsmitglieder ihre befreundeten Vereinsmitglieder. Keine Profis wie beim Guide Michelin oder dem Gault Millau, sondern Freunde – oder, sowas gibt’s ja gerade bei Vereinen oft, Ziemlich-nicht-so-dolle-Freunde. So ganz klar ist mir beim Lesen des Buchs nicht geworden, was denn nun wirklich Auswahlkriterium war: Muss man Mitglied bei Slow Food sein? Oder nur Förderer? Oder reicht gar, gut zu sein und das Gedankengut des Vereins in sich zu tragen? Da fehlt es an Transparenz. Ich mutmaße mal: Mitglied muss man sein!
Wer ist denn nun drin, beispielsweise aus Dresden? Keiner. Oh. Auch nicht viel in der Umgebung: quasi nur eine, Barbara Siebert mit ihrem Landgasthof zum Schwarzbachtal in Hohnstein-Lohsdorf. Nicht viel, aber für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gibt’s eh nur fünf Tipps. Reichlich wenig, wenn man sich hier auskennt und die sehr regional orientierten Küchen von (beispielsweise) Olav Seidel, Ines Kuka, René Bevermann, Sebastian Probst und anderen vor dem geistigen Auge Revue passieren lässt. Diese Fehlstellen sind kein Zufall: Nordrhein-Westfalen schafft gerade mal 16 Restaurants, was auch befremdlich wenig ist.
Aber es sind bundesweit 300 Restaurants – mehr als beim Falstaff (und deutlich weniger als beim Feinschmecker). Wie sieht’s denn aus mit den Einzelkritiken? Durchwachsen. Jedem Restaurant wird eine Seite eingeräumt, reiner Text, keine Bilder, alles schwarz-weiß mit Zusatzfarbe rot für Hervorhebungen. Ausnahme: Werbeseiten sind vierfarbig. Wie früher! Die Texte sind eher nüchtern-beschreibend, kein bisschen emotional und schon gar nicht kritisch. So schreiben Freunde über Freunde.
Apropos Freunde: Bei den sächsischen Kritiken fielen mir folgende Formulierungen auf: „Schöne Brände aus Dresden“ oder: es gibt „sortenreine Edelobstbrände aus Dresden, darunter auch ein Brand vom Lausitzer Nelkenapfel“. Kann ja Zufall sein, aber: der Chef einer Dresdner Brennerei spielt ganz oben bei Slow Food Sachsen mit. Natürlich bietet er auch Lausitzer Nelkenapfel an…
Slow Food Genussführer Deutschland 2014
oekom-Verlag München, ca. 320 Seiten, Preis: 19,95 Euro
ISBN-13: 978-3-86581-439-5
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