Grünkohl mitten im Oktober: Geht gar nicht. Sagt der Ostfriese, der mit der Küchenweisheit sozialisiert wurde: Der Grünkohl braucht Frost! Und dann auch noch die angekündigte Hauptzutat: Olivenöl. Die spinnen, die Krauts. Oder doch nicht? Schließlich hatte Ralf Hiener eingeladen ins Raskolnikoff, das mir eins der ehrlichsten Restaurants der Dresdner Neustadt und darüber hinaus zu sein scheint. Und obendrein hat er sich mit Conrad Bölicke einen veritablen Fachmann eingeladen, der zwar irgendwie auch Olivenöl verkaufen will (money makes the world go round), aber mindestens so viel Ahnung hat wie Lachfalten. Und solche Typies mag ich ja!
Bölicke weiß nicht nur viel, er kann es auch vermitteln. Er redet und redet und redet – und man hat nicht den Eindruck, dass das dumm Tüch ist, wie man im Norddeutschen sinnfreies Rumlabern nennt. So lernen wir also an diesem Abend rund um Olivenöl und Grünkohl (89 € inkl. Getränke) eine Menge und haben, natürlich, die Gelegenheit, die Theorieteile in der Praxis sofort auf Tauglichkeit zu prüfen. Dazu gibt es das im Wohnzimmer des Raskolnikoff übliche gefährlich üppige Vorspeisenbuffet, bei dem es schon mal unüblich grün und braun kohlte: Grünkohl als Chips (hatte auch ohne Glutamat Suchtpotential!), Grünkohl als Pesto (darf der das? Ja, das darf der nicht nur, er kann es auch!), Grünkohl schon fast traditionell im Topf mit ner knackigen Wurst – aber eben nur fast, denn der Kohl war knackig und keineswegs zerkocht. Das Geheimnis: zwar lange garen, aber bei niedriger Temperatur und mit reichlich Fett und keinem Wasser!
85 Sorten Grünkohl kennt man in Norddeutschland. Das waren mal mehr, denn früher hatte jeder Bauer seinen eigenen Kohl, so wie er seine eigenen Kartoffeln hatte. Mit dem fatalen Trend, dass alles immer gleich schmecken und dabei möglichst viele Geschmäcker zufrieden stellen soll, wurden das weniger. Bölicke, der (die Infos sind gemopst bei der Vita fürs Entrepreneurship Summit im Oktober 2017 in Berlin) vom Maurer bis zum Projektentwickler schon viel gemacht hat und Gründer der arteFakt – Handelsagentur für Erzeuger-Verbraucher-Ideen/Olivenölkampagne ist, hat sich die Rettung der alten Sorten verschrieben, baut sie teilweise selbst an und guckt dabei auch über den Tellerrand. „Der Urkohl ist der Helgoländer“ sagt er (und unsereiner denkt: wenn das der Helmut wüsste!), aber auch im Mittelmeerraum kennt man ihn – und das schon lange: seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. wird Grünkohl in Griechenland und seit der römischen Zeit in Italien angebaut. „Grünkohl ist ein mediterranes Gemüse!“ proklamiert Bölicke und trifft mit so einer Aussage natürlich auf offene Ohren in der Küche des Raskolnikoff, wo mit Giulio ein veritabler Italiener mit am Herd stand.
Wobei: wenn Grünkohl mediterran ist, dann könnte doch Olivenöl ganz gut passen? Denke ich und kapiere, dass die Kombination der Grundprodukte des Abends natürlich kein Zufall ist. 185 Sorten Oliven gäbe es, erklärte Bölicke – und wer kennt eine typischere mediterrane Pflanze? Eben. Schlimmer noch als beim Grünkohl ist die Menschheit bei Oliven und beim Olivenöl von der Massenproduktion und deren Wirtschaftsweise versaut. „Sie können sich sicher vorstellen, dass es geschmacklich einen Unterschied macht, ob Sie sortenreines Olivenöl eines lokalen Erzeugers probieren oder eine Mischung aus Öl von Oliven rund ums Mittelmeer vom Großindustriellen probieren?“ fragte Bölicke und erntete verhaltenes Kopfnicken. Nun ja, vorstellen schon, aber so in echt nicht wirklich. Wie denn auch, man müsste doch die Chance haben zu probieren!
Die Hilfe stand in kleinen Gläsern auf dem Tisch und in Form des Moderators daneben. Bei einer „geführten Olivenölverkostung“ galt es, die Grundgeschmäcker zu finden und – wie bei einer Weinprobe – zu kommentieren. Wir bemerkten vor allem (und für viele ungewohnt) zuerst einmal Schärfe. Und Bitteres. Aber dann auch: Fruchtiges. Gutes Öl braucht keine großen Mengen, um seinen Geschmack zu entfalten und die Sinne anzuregen (auch das hat das Öl mit gutem Wein gemein…). So gab es Öl aus Apulien, aus Andalusien, aus Kalabrien – mit kurzen Informationen zu den Erzeugern und den Sorten. So waren wir alle danach zwar ein wenig schlauer als zuvor, aber der Herr Bölicke wusste die immer noch vorhandenen Wissenslücken aus den Gesichtern der Gäste zu lesen und tröstete: „Natürlich sind wie alle noch ein wenig hilflos. Es ist kein Weg, der kurz geht, man muss lernen. Wie beim Wein vor 30 Jahren!“
Trost, reichlich Trost angesichts der bevorstehenden Lernkurve, gab’s dann im Anschluss aus der Küche. Es gab was mit Grünkohl, na klar. Und mit Pelmeni, Lachsforelle, Bratkartoffeln, Perlhuhn, Schokoküchlein (neben dem Grünkohl als Eis serviert wurde, mit Olivenöl reichlich beträufelt!). Mit einem Satz: ein Abend für Traditionalisten – um denen den Horizont gehörig zu erweitern.
Wohnzimmer im Raskolnikoff
Böhmische Straße 34
01099 Dresden
Tel. 0351.8045706
www.raskolnikoff.de
Öffnungszeiten: Auf Nachfrage und bei Sonderveranstaltungen
[Besucht am 14. Oktober 2016 | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]
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