„Das Schlagwort heißt Regionalität“ – Gastronomie in Sachsen

Die Frage, am Telefon gestellt und völlig unvorbereitet platziert, ist einfach: „Wie hat sich die Gastronomie in Sachsen in den letzten 25 Jahren entwickelt?“ Die Antwort könnte, in Analogie zum wunderbaren Spruch „Das Flugwesen, es entwickelt sich“, einfach sein. Ja, die Gastronomie in Sachsen – sie entwickelt sich!

Aber so einfach ist es ja nicht, denn die Zeile mit dem Flugwesen ist ja aus einer satirischen Erzählung von Michail Sostschenko (viele kennen sie durch die Version von Manfred Krug) – und die Satire darf bekanntlich alles. Die Wirklichkeit ist natürlich viel komplexer. Aber nicht minder interessant.

Die Gastronomie ist dabei ein weites Feld. Generell geht es der Branche nicht gut: Zwischen 2001 und 2010 sank beispielsweise die Zahl der Schankwirtschaften von 48.000 auf 36.000. Und immer noch machen Kneipen und Gaststätten zu: weil die Betreiber älter geworden sind und es keine Nachfolger gibt, aber auch, weil Gäste fehlen. Und manchmal sind die wenigen Gäste, die kommen, nicht bereit zu zahlen, was dem Gastwirt das Überleben möglich machen könnte.

Entwickelt sich also das gesamte Gastrowesen ins Negative? Nein: Vor allem in den größeren Städten und in touristisch geprägten Gegenden ist es manchmal schwer, unangemeldet einen Platz zu bekommen. Und das meist sogar, zumindest in den Städten, bei Konkurrenz in unmittelbarer Nähe.

Man muss sie ja nicht mögen, Ranglisten im Allgemeinen und solche über Restaurants in Besonderen. Aber so ganz sinnlos sind sie ja doch nicht, wenn man sich mal einen Überblick verschaffen will. Die Gastroführer spiegeln zwar nur das Bild der – bitte wählen: gehobenen, geschmacksorientierten, luxuriösen – Küche, aber die ist durchaus ein guter Anzeiger dafür, dass sich was getan hat im vergangenen Vierteljahrhundert.

Ganz oben steht Peter Maria Schnurr mit seinem Falco in Leipzig – zwei Sterne im Michelin, 19 Punkten im GaultMillau (was dort quasi die beste zu vergebende Note ist und Schnurr obendrein den Titel Koch des Jahres 2016 einbrachte. Eine schöne Entwicklung, wenn man bedenkt, dass das Restaurant zehn Jahre zuvor noch als „Entdeckung des Jahres 2006“ ausgezeichnet wurde. Ein erster Michelin-Stern folgte 2007, seit 2008 gibt es dann ununterbrochen zwei.

Um das einmal bundesweit einzuordnen: Peter Maria Schnurr mit seinem Falco steht auf Platz 14 einer Liste, die alle wesentlichen Gastro-Guides zusammenführt und mittelt. Danach kommt, aus sächsischer Sicht, erst einmal lange nichts – und dann auf den Plätzen 62 und 63 mit dem bean&beluga sowie dem Caroussel zwei Restaurants in Dresden.

Das sind zwei andere der insgesamt fünf besternten Restaurants in Sachsen – die außer dem Falco alle je einen Stern haben. Stefan Hermann, der sich im Sommer 2007 mit dem bean&beluga selbstständig gemacht hat, kochte zuvor im Caroussel der Bülow-Residenz und hatte auch dort einen Stern erworben (den das Caroussel mit den Köchen danach auch verteidigte. Seit 2013 kocht dort sehr erfrischend anders und gut Benjamin Biedlingmaier). Die beiden anderen Sternerestaurants sind der Stadtpfeifer im Leipziger Gewandhaus (Detlef und Petra Schlegel) und (seit 2015) das elements in Dresden mit Stephan Mießner am Herd.

Das elements wird, nicht ganz zu Unrecht, bei den Restaurant-Ranglisten als Szenelokal gekennzeichnet – was zeigt, dass eine gewisse Lockerheit und Verwurzelung im Ausgehpublikum einer Stadt einerseits sich mit Qualität andererseits nicht beißen muss.

Warum so viel Platz für die Sterneköche? Weil sie ins Land strahlen, weil wegen so exzellenter Küche (und in der Regel auch damit verbunden: so gutem Service) Menschen von weit her anreisen, um das zu erleben. Aber selbst wenn man es sich leisten könnte: jeden Tag so zu essen, ist auch kein Vergnügen. Spannend ist also, wie es im Verfolgerfeld aussieht.

Wobei Verfolgerfeld ja nicht einmal das richtige Wort ist: viele wollen ja gar nicht in dieser Liga der Sterne und des Chichi spielen – und trotzdem gut sein. Und da kann man in den vergangenen zwei, drei Jahren etwas beobachten, was zu teilweise ganz wunderbaren Ergebnissen führt. Das Schlagwort heißt Regionalität – aber es ist bei denen, die es Ernst nehmen, gar kein Schlagwort, sondern Programm.

Gaststätten im Raum Dresden haben es in dieser Hinsicht (auch noch nicht so lange: in diesem Herbst ist zweiter Geburtstag) komfortabel gut, denn es hat sich ein Lieferservice etabliert, der sich fünf Wahrheiten auf den Leib geschnitten hat: Frisch. Regional. Ausgezeichnet. Natürlich. Zentral – so soll alles sein. Aus den Anfangsbuchstaben bildeten die beiden Kaufleute Markus Wenzel und Martin Wett, die zuvor im Großhandel gearbeitet hatten, das Wort Franz – und von da war es vom Tante-Emma-Gedanken nicht weit zum Onkel Franz.

Morgens fahren sie zu den Erzeugern und sammeln die Ware ein, am Nachmittag steuern sie die Gaststätten an und liefern Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch aus. Klingt einfach, ist aber eher sensationell. Denn wie sonst sollen die Gastronomen so unkompliziert an regionale Erzeugnisse kommen? Um die 30 Gaststätten beliefern Markus Wenzel und Martin Wett regelmäßig – es sind wahrscheinlich nicht zufällig solche, die man als gerne essen gehender Mensch auf der Liste der persönlichen Lieblinge hat.

Was das konkret bedeutet, hat Ralf Hiener einmal seinen Gästen bei einem Abendessen erzählt. Hiener betreibt in der Dresdner Neustadt das Szenerestaurant Raskolnikoff – und nutzt, wenn immer es geht, regionale Produkte: „Die Tomaten kommen aus Radebeul, die haben nie ein Kühlhaus gesehen!“ Und auch die Erdbeeren, am Morgen frisch geerntet vom Lieferanten und am Abend Duft verströmend zum Dessert serviert, waren auch nie in der Kühlung – es scheint ihnen zu bekommen. 35 verschiedene Lieferanten hat Hiener, er kennt sie und er nennt sie: Transparenz für die Gäste, die man auch andernorts immer häufiger sieht.

Es entwickelt sich hier etwas, was der Region vor 25 Jahren definitiv noch gefehlt hat: eine qualitätsbewusste Küche, die das Attribut gutbürgerlich wirklich verdient und es nicht als Deckmantel für liebloses Tüten-Allerlei verwendet. Bestes Beispiel für schlecht Gemachtes ist ja häufig ausgerechnet das Leipziger Allerlei, das in Ost und West zum beliebigen Mischgemüse verkam – bis es da und dort auf die durchaus anspruchsvollen Ursprünge zurückgeführt und aufs Allerfeinste zubereitet mit Morcheln, Spargel, Flusskrebsen und allerlei anderen frischen Dingen, die man so nur selten zusammen frisch auf dem Markt findet. Das ist dann auch der Punkt, wo regional nicht so eng gesehen werden darf: um seinen Gästen ein qualitativ erstklassiges Leipziger Allerlei zu servieren, greift Olav Seidel, der in Bärwalde (in der Nähe von Moritzburg bei Dresden) auf und in einem holzbefeuerten Herd kocht, auch schon mal auf französische Lieferanten zurück. Das sei doch auch regional, nur eben nicht von hier, meint er verschmitzt lächelnd.

Garantiert „von hier“ sind allerdings die Weine, und auch da hat sich in puncto Qualitätssprung viel getan. Teuer – weil rar bei großer Nachfrage – waren die Weine aus dem sächsischen Elbtal ja schon immer. Mittlerweile sind viele (wenn leider auch nicht wirklich alle) aber auch das Geld wert, das die Winzer haben wollen. Zwei Betriebe sind Mitglied im VDP, dem Verband der Prädikatsweingüter – was ja schon fast ein Garant für Qualität ist. Klaus Zimmerling, der sein nur 4,5 ha kleines Weingut bei Pillnitz bewirtschaftet, und Georg Prinz zur Lippe mit dem größten sächsischen Weingut in Privathand fast am anderen Ende des 492 ha kleinen Weinanbaugebiets markieren die Spitze, aber sie haben großartige Mitstreiter in den umliegenden Lagen. Martin Schwarz, 16 Jahre lang Kellermeister auf Schloss Proschwitz, bewirtschaftet seit 2013 insgesamt nur 2,2 ha – fast alles Steillagen, aber die keineswegs zusammenhängend, sondern verteilt auf weit auseinander liegende Weinberge. Wirtschaftlich nicht der Brüller, aber wenn es mal irgendwo hagelt, kann das auch ein Vorteil sein – dann ist eben nicht aller Wein betroffen…

Wer denkt, dass 4,5 oder 2,2 ha wenig sind, hat durchaus Recht. Aber es geht in Sachsen durchaus kleiner. Frédéric Fourré, ein sächsischer Winzer mit französischem Ursprung, hat 2 ha, Andreas Kretschko 1 ha und Stefan Bönsch gar nur 0,8 ha. Viel Wein kommt dabei nicht rum, zumal in mageren (rein ertragsmäßig gesehen) Jahren. Aber das Ergebnis lohnt allemal!

Noch kleiner sind die etwa 2.400 Hobbywinzer dran, die in der Regel für die Meißner Winzergenossenschaft arbeiten, Wenn sie ihre Besenwirtschaften (meist nur an den Wochenenden und bei gutem Wetter) öffnen, heißt es dann: „Da ist auch mein Wein drin!“ In homöopathischen Mengen – aber das hat in Sachsen ja auch Tradition: Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, wurde in Meißen geboren und ging dort zur Schule…

Ulrich van Stipriaan für den Blog des Landestourismusverbands Sachsen
[update: den gibt’s offenbar nicht mehr]

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