Das Paradies im Kopf

Flämische Landschaften von Bruegel bis Rubens im Lipsiusbau

Zum Paradies

106 Tage lag das Paradies auf Erden in Dresden vor der Haustür. Man musste nur in den Lipsiusbau gehen, der Kunsthalle unter der Zitronenpresse. Dort präsentierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Gemäldegalerie Alte Meister nämlich Flämische Landschaften von Bruegel bis Rubens – quasi ein Zwischenbericht ihrer Forschung zum Bestandskatalog, der noch einige Jahre Arbeit erfordert.

DSC05183Dass die flämischen Landschaftsbilder des 16. und 17. Jahrhunderts zu den besonderen Schätzen der Dresdener Gemäldegalerie Alte Meister zählen, muss man wissen – zu sehen sind nämlich lediglich sechs der insgesamt 160 (Landschafts-)Bilder. Der Rest ruht normalerweise im Depot. Diesem Schicksal vieler Bilder in Museen konnte jetzt Abhilfe geschaffen werden: 60 der 70 Bilder aus der Sammlung der alten Meister waren bislang so gut wie nie zu sehen, einige zudem in einem schlechten Zustand. Sie wurden restauriert – und sind nicht nur wieder gut anzusehen, sondern haben den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch kleine Sensatiönchen besorgt: Die “Landschaft mit dem Urteil des Midas” des flämischen Landschaftsmalers Gillis van Coninxlooist ist zehn Jahre jünger als bislang vermutet (bislang las man immer 1588, aber nach der Firnisabnahme stand da nun deutlich lesbar 1589) – und auch die Identität des zweiten Malers, der die Figurengruppe in die Landschaft gestellt hat, konnte den Status von „vermutlich“ in „nachweislich“ ändern: der Künstlerbiograf Karel van Mander fügte diese Staffage hinzu, seine Signatur wurde freigelegt.

Vor der SintflutDerlei Details (und noch viele andere) erfährt man natürlich nicht, wenn man alleine durch die Ausstellung geht. Wir hatten das große Glück, mit der Co-Kuratorin Konstanze Krüger im Rahmen einer Privatführung zum Ende der Ausstellung die Bilder zu betrachten und so einige Hintergründe zu erfahren, ohne gleich Ausstellungskataloge und andere Quellen zu studieren. Zum Beispiel beim Gemälde „Vor der Sintflut“ von Roelant Saverys (1620), auf dem man (wie bei so einem Titel erwartet) eine Arche sieht. Da könnte man als Besucher vorstehen und sich fragen, wie viele Tiere drauf zu sehen sind (mehr als 250), man könnte sich (oder jemanden, der sich da auskennt) auch nach der Zahl der Arten fragen (100 identifizierte – man ging als Tier ja nicht allein in die Arche, wegen nachsintflutlicher Wiederaufnahme der Fortpflanzung!). Was man aber nicht sieht, ist ein Einblick in die ursprünglich angedachte Fassung: Die Arche, das ergab ein Infrarotreflektogramm, mit dem man durch die Malschichten hindurch tieferliegende Vorzeichnungen und frühere Malzustände auf der Grundierung sichtbar machen kann. An Stelle der zentral platzierten Arche war wohl ein bewaldeter Felsen geplant.

Roelant Savery, Vor der Sintflut, 1620,
Öl auf Eichenholz, 82 x 137 cm
Gemäldegalerie Alte Meister © SKD
Foto: Elke Estel/Hans-Peter Klut

Konstanze Krüger kann an dem Gemälde, das auf Eiche gemalt ist (was muss das für ein gigantischer Baum gewesen sein, dass man aus ihm ein 82 x 139 cm großes Brett schneiden kann!) aber noch viel mehr erklären. Die flämische Landschaftsmalerei ist die Begründerin der Gattung – und es entstehen Bilder in allen Größen, bei weitem nicht nur so, pardon, Riesenschinken. Die Gemälde kommen an beim Publikum, und gerade die kleinformatigen sind in den Malerwerkstätten der Renner. Die Landschaften zeigen dabei keineswegs nur die flämische Landschaft, sondern auch Berge, die es im flachen Flandernland nicht gibt, ebensowenig wie Wälder (aus den Bäumen hatte man Schiffsplanken gemacht…). Auch die Tiere von Aal bis Wollhandkrabbe auf dem Arche-Gemälde sind natürlich nicht die, die man sonst so in Europa alle sieht. Es ist das Paradies im Kopf, das die Künstler visualisieren. Man sieht alles, was Gott geschaffen hat – aber in fantastischen (im doppelten Wortsinn) Landschaften. Bei aller Phantasie gibt es aber auch Konstanten – und wenn man’s einmal gesagt bekommt, sieht man es in der tat immer wieder, das Farbschema mit einem dunklen, braunen Vordergrund über eine grüne Mitte bis hin zum blauen Himmel.

Hasenjagd (Ausschnitt)Viele Details gab es noch zu entdecken – vom „typischen niederländischen Kacker“ als Einblick ins tägliche Leben auf einem Gemälde von Cornelis van Dalem („Felslandschaft mit urzeitlicher Siedlung“, um 1560-1570) bis zur Visualisierung eines Sprichworts („Wer auf zwei Hasen zielt, fängt keinen“) bei einer Radierung von Pieter Bruegel dem Älteren und derlei Dinge mehr. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Arbeit mit den Alten Meistern durchaus Spaß machen kann – aber auch spannend sein kann, wie beispielsweise beim Werk „Die Heilige Familie im Blütenkranz“ von Jan Breughel dem Jüngeren/Frans Francken dem Jüngeren (um 1630-1640). Die Kupferplatte, auf die die beiden gemalt haben, weist eine Gravur auf – und ganz nach Art von Sherlock Holmes fand man nicht nur heraus, wofür die Kupferstecher die Zeichnungen abgekupfert hatten, sondern hatte das enorme Glück, dass es dieses „wofür“ auch noch gibt: Es ist eine von acht Kupferplatten, die 1567 für den Druck einer großen Asienkarte des Antwerpener Kartografen Abraham Ortelius benutzt wurden. Die Universität Basel hat das Prachtstück im Bestand – und es für die Ausstellung zur Verfügung gestellt.

Kunsthalle im Lipsiusbau
Eingang Brühlsche Terrasse
(barrierefrei: Georg-Treu-Platz)
01067 Dresden

Öffnungszeiten: 10–18 Uhr, montags geschlossen

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