Es gibt Dinge, die kann man inszenieren. Das kommt auf Pressereisen, wo Journalisten eingeladen werden, um komprimiert runduminformiert zu werden, eigentlich immer vor – und ist nicht schlimm. Die Gastgeber sind Profis, die Gäste auch. Passt schon. Aber dann gibt es die Szenen, die sich weder vorbereiten noch lenken lassen – sie sind einfach da, entwickeln sich. Und sie sind manchmal schön und vielsagend. So wie beim Besuch der Winzerfamilie Gemmrich, bei dem neben den viel versprechenden Stichpunkten Familienweingut und Besonderheiten der Brennkunst auch über den anstehenden Generationenwechsel geredet werden sollte.
Das ist, bis hierhin, ja nichts Besonderes (außer das mit der Brennkunst, die wir ganz sicher nicht vergessen – versprochen). Also erzählt Vater Bernd Gemmrich von seiner Arbeit, also spricht Tochter Anja Gemmrich von ihrem Studium, der Bachelor-Arbeit und den dabei entstandenen neuen Ideen. Und dann gibt es den offiziellen Fototermin für die mitreisenden Fotografen – und wenn man da so als fotografierender Schreiber etwas abseits steht, erzählen die nebenbei gemachten Bilder die Geschichte des Generationenwechsels doch sehr schön: Vater Bernd redet – er redet gerne, und es lohnt sich auch zuzuhören, denn es sind bedenkenswerte Sachen. Tochter Anja kennt ihn und seine Ansichten ja – aber manchmal scheint sie doch überrascht und guckt (in dieser Reihenfolge) skeptisch, verwundert und amüsiert.
Bernd Gemmrich ist Perfektionist und wohl auch ein bisschen ein Traditionalist – wobei letzteres nicht bedeutet, dass er sich Neuem gegenüber verschließt, im Gegenteil: er probiert gerne und viel. „Was aber nicht heißt, dass es immer was wird!“ fügt er lächelnd hinzu. So gesehen ist das Weingut heute schon deutlich anders als 1987. Da hatte Bernd Gemmrich es von seinem Vater übernommen – und damals war es ein klassischer Mischbetrieb, wie das so war zu jener Zeit: fünf Kühe, ein Pferd, Holz, Acker, Weinberg. Die Entscheidung für Wein war die eine – aber in den 90er Jahren war nur schwer ranzukommen an neue Weinberge. „Es waren nur wenige verfügbar, und sie waren teuer!“
Also dachte Gemmrich um und weiter: „Als Einzelkämpfer bringen Brände mehr!“ dachte er sich – und so entstand aus einem Dreiklang von Naturliebe („Ich finde es faszinierend, die Düfte der Natur zu konservieren!“), Versuch und Irrtum sowie dem Streben nach Perfektion eine Edelbrennerei, deren Produkte jede Menge Preise einheimsen. Im Verkaufsbereich hängt eine Medaillen-Kette dekorativ wie eine Luftschlange quer durch den Raum! Neben rund 7,5 ha Rebfläche (eigene und gepachtete) liefern rund 2,5 ha biozertifizierte Streuobstwiesen alte, heute fast vergessenen Apfelsorten, aber auch Birnen, Quitten, Zwetschgen, Kirschen oder einen Mirabellengeist.
Außerdem gibt es ja glücklicherweise zahlreiche Wildobstsorten in den umliegenden Wäldern und auf Wiesen – sie werden mühsam von Hand gesammelt. Das Ergebnis: knapp 50 verschiedene Destillate! Die an einem Vormittag zu probieren, ist schon eine Herausforderung, denn neben der Nase (Wildkirsche! Goldparmänen-Apfelbrand!) und der Farbe (zwischen ganz klar und goldgelb, weil im Fass gereift) gibt es ja auch ein Geschmacksorgan, das nicht vernachlässigt werden möchte. Nur ein, zwei Tropfen – schade. Aber sehr viel mehr wäre wohl bar jeder Vernunft…
Beim Besuch der Gemmrichs stand die Probe der Destillate am Ende, aus gutem Grund. Zuvor hatte Tochter Anja die Linie Unkaputtbar vorgestellt. Name und Ausstattung sind sichtbarer Teil der jungen Generation Gemmrich: Anja hatte ihre Bachelor-Arbeit über PiWi-Sorten geschrieben – die pilzwiderstandsfähigen Rebsorten. Auf 20 Prozent der Fläche stehen sie bei den Gemmrichs, auch und gerade in Steillagen. „Für uns“, sagt Anja Gemmrich, „sind Piwis ein Beitrag zum nachhaltigen Arbeiten, der Schonung der Umwelt und die Chance Steillagen zu erhalten.“ Unkaputtbar sind auch diese Neuzüchtungen nicht – aber mit so einem Namen und so einem Etikett kann man als kleines Familienweingut wenigstens eins: auffallen. Was, gepaart mit einem ordentlichen Angebot dahinter, ja schon die halbe Miete ist…
Weingut & Edelbrennerei Gemmrich
Löwensteiner Str. 34
71717 Beilstein
07062 / 3514
www.gemmrich.de
Hinweis:
Der Besuch fand statt im Rahmen einer Pressereise auf Einladung vom Weininstitut Württemberg GmbH und der Badischer Wein GmbH im Vorfeld der Baden Württemberg Classics am 26. und 27. Mai 2018 in Dresden. Das Weingut ist in diesem Jahr nicht mit auf der Messe vertreten, hat aber einen Webshop.
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