Als Ostfriese kennt man das ja: man wohnt an der Küste, aber doch nicht wirklich am Meer, sondern am Wattenmeer. Die Ostalgarve hat ihre eigene Watt- und Marschlandschaft: zwischen Faro und der spanischen Grenze erstreckt sich der Naturpark Ria Formosa – mit vorgelagerten Inseln und einer als Naturschutzgebiet ausgewiesenen Landschaft, in der es kreucht und fleucht. Direkt bei Olhão gibt es ein Umweltbildungszentrum mit etwa 60 ha Außengelände, das über einen Rundweg erkundet werden kann.
Gezielte Informationen gibt es an 20 Haltepunkten, an denen man die Ökosysteme und Nutzungsformen der Ria Formosa kennen lernen kann. Und dazwischen muss man eben die Augen offen halten und entdecken, was zu sehen ist. Wir waren natürlich scharf auf die Chamäleons, die angeblich am Ende des Rundgangs in erwähnenswerter Menge vorhanden sein sollten. Auf dem rund drei Kilometer langen Weg dahin sinnierten wir freilich ausführlich, ob es sich mit den Chamäleons so verhalten würde wie mit den Gänsegeiern von Bosa, die ja auch fest versprochen waren und dennoch von uns nie gesichtet wurden.
Als weniger kritisch sollten sich die ersten angekündigten Stationen erweisen: Nistkästen, Pinienwald, Röhricht (ein sehr schönes Wort, oder?), Dünen und Salzwiesen. Da außer uns kaum jemand unterwegs war, kam hinzu: himmlische Ruhe. Und dann noch, außer der Reihe und ebenfalls nicht im Informationsblatt des Umweltbildungszentrums erfasst: Wolken gucken. Als Fotograf ist man da ja manchmal hin- und hergerissen, denn nicht alles, was sich für schöne Bilder empfiehlt, macht hinterher auch wirklich Spaß. Im Klartext: dunkle Wolken hinter sonnigem Vordergrund sind schön, aber wenn sie Wasser lassen, wird man nass. Sehr nass.
Aber wir sind ja nicht aus Zucker und hatten vorsorglich zwei kleine Schirme dabei, die angesichts der schüttenden Massen freilich ihren Dienst versagen sollten: es regnete durch den dünnen Stoff hindurch – soviel sei schon jetzt verraten, obwohl wir unser erstes tatsächlich angestrebtes Ziel außerhalb der Serie Der Weg ist das Ziel! noch halbwegs trockenen Fußes erreichten: eine ehemalige Gezeitenmühle.
Die 1885 gebaute Mühle ist zum Museum ausgebaut. Fast hundert Jahre hat sie ihren Dienst als Mühle zum Mahlen von Getreide verrichtete. Sie war eine von drei Dutzend Gezeitenmühlen, die in der Region Ria Formosa aktiv die Wasserkraft zwischen Flut und Ebbe nutzten. Sie war die letzte aktive Mühle, als sie 1970 stillgelegt und anschließend zum Museum umgebaut wurde.
Gezeitenmühlen nutzten die Wasserkraft als Energiequelle für das Mahlen von Getreide: bei Flut strömte das aufsteigende Wasser durch ein Sieltor in einem Damm in ein Becken, bei Ebbe setzte dann das aufgestaute Wasser beim Abfließen die Mühlsteine in Bewegung. Eine einfache Technologie, die sich in Portugal bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen lässt und seit den Anfängen nicht weiter entwickelt wurde – warum denn auch, funktionierte ja. Zumindest so lange bis mechanisch angetriebene Mühlen den Gezeitenmühlen (wie den Wasser- und Windmühlen andernorts) den Garaus machten.
Das Museum haben wir übrigens zwei Mal besucht. Einmal aus Interesse und dann, als der Regen kurz nach dem Weitergehen einsetzte, nach schnellem Rückzug aus den Dünen gleich noch einmal, um die zuvor nicht gelesenen Erklär-Tafeln doch noch zu studieren. Und um trocken zu bleiben. Anschließend ging’s dann wieder, mit leicht derangiertem Knirps, erneut auf den Rundweg. Es gilt zu suchen und manchmal auch zu sehen: eine Muschelzucht-Farm, die Winkerkrabbe, Flamingos und andere Vögel.
In den 1.600 Muschelfarmen der Ria Formosa, die man nur bei Ebbe gut erkennen kann, werden übrigens jährlich 7.000 Tonnen Schalentiere produziert – hauptsächlich Muscheln und manchmal Austern. Außerdem werden Austern, Muscheln und Schalentiere natürlich von den Fischern auch außerhalb der Farmen gesammelt. Die Winkerkrabbe, die auf gut Lateinisch Uca tangeri heißt, kann man auch nur bei Ebbe sehen – freilich nur theoretisch, da die Krebse mit der einen auffällig großen Schere ihre „Höhlen … blitzschnell aufsuchen, wenn sich ein Mensch auf ca. 5-10m Entfernung nähert. Feinde, wie z.B. Reiher, die es auf Winkerkrabben abgesehen haben, rennen „wie irre“ durch solch eine Kolonie und versuchen die Tiere in Panik zu versetzen. Findet ein Tier seine Höhle nicht, so wird es leicht zur Beute“, lerne ich von Hans Thiele auf seiner informativen Webseite. Ob Flamingos auch Winkerkrabben mögen, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, aber viele von ihnen pflegen ja gerne den Kopf ins Wasser zu stecken. Wer weiß, was die da naschen!
Beeindruckend unspektakulär sind die Ruinen von Salztanks aus dem 1. Jahrhundert. Die Römer hatten in den Salztanks gebaut und darin auch Garum hergestellt – eine Fischsauce, die vor 2.000 Jahren sehr beliebt war und nahezu alle Gerichte verfeinerte. Fischsauce. „Die fangfrischen, nicht ausgenommenen Fische wurden mit grobem Salz in großen Tonamphoren oder Becken für drei Monate unter glühender Sonne fermentiert. Die entstandene Flüssigkeit wurde gefiltert, in Flaschen gefüllt und dann in erstaunlich großer Menge für Gerichte verwendet. Der Gestank, der bei der Herstellung von Garum entstand, war so übel, dass sie in städtischen Gebieten manchmal verboten wurde. Bezeichnenderweise lagen diese Produktionsstätte am Strand oder in der Nähe des Hafens“, entnehme ich dem Kochwiki und bin ein klein wenig froh, dass nach all der Zeit die üblen Gerüche vom Winde verweht sind.
Für Fotografen deutlich ansprechender ist das Schöpfwerk nur einige Meter weiter. Das System, mit dem das Wasser aus dem Brunnen geschöpft wurde, wurde durch einen Esel oder ein Maultier angetrieben. Das Wasser wurde in einem Tank zwischengelagert und dann über Aquädukte zur Bewässerung in die Obst- und Gemüsegärten geleitet.
Der letzte der 20 Punkte des Naturlehrpfads steht bevor: Chamäleons! Das Hinweisschild macht allerdings wenig Mut: „Wir könnten Glück haben und ein Chamäleon entdecken.“ Chamäleons sind ja nicht doof, sie tarnen sich besser als die Polizei erlaubt. Und der Bereich T des Umweltbildungszentrums zeichnet sich durch dichtes Gestrüpp aus, das reichlich Gelegenheit zur Camouflage bietet. Mit anderen Worten: die Gänsegeier von Bosa sind die Chamäleons von Olhāo: für uns nicht sichtbar. Schlaue Tiere!
Centro de Educação Ambiental de Marim – Quelfes
8700-194 OLHÃO
Tel.: +351 289 700 210
https://www.natural.pt
Hallo! Kleine Ergänzung zu den Chamäleons: im Winterhalbjahr sind diese ohnehin nicht anzutreffen, da sie sich für die Winterstarre verbergen. Also bringen auch geöffnete Augen mit Spähblick nix.
Die Gänsegeier in Bosa/Sardinin blieben uns auch verborgen.Ich las später, dass diese weiter landeinwärts gezogen seien…
Danke! Ich lästere halt nur gerne gegen die zu kaufenden Reiseführer, die gerne so tun, als ob immer alles da sei 😉