Delfter Blau und Delfter Grau

Spaziergang durch Delft – mit viel zu wenig Zeit und viel Regen

Nieuwe Kerk und Markt

Delft ist bekannt für seine Keramikmanufakturen (die mit dem Delfter Blau!), den Maler Jan Vermeer und seine 1842 gegründete Technische Universität. Hatten wir vorab in der Wikipedia gelesen. Bei unserem Besuch mitten im Sommer lernten wir das touristisch attraktive Delft zusätzlich als sehr regenfreundliche Stadt kennen – es pladderte fast immer, mit einigem unerwarteten Himmelblau. So ist das, wenn man als Tourist kommt: musste nehmen, wie es kommt.

Im Vorfeld hatten wir recherchiert, dass man mit dem Auto kommend am kostengünstigsten etwas außerhalb parkt. Wir fanden unseren Platz nicht in einem der kostenpflichtigen Parkhäuser, sondern nur scheinbar unattraktiv gelegen etwas außerhalb auf einem unbewachtem Platz. Der Weg in die Altstadt war aber erstens gar nicht so lang, keine zwei Kilometer. Außerdem gibt es einiges zu sehen, Abteilung Kanal & Schleuse & Klappbrücke einerseits sowie typisch holländische Häuser inklusive Hofjes andererseits. Und zurück kann man weitestgehend eine andere Strecke wählen, so dass es nicht langweilig wird.

Hofjes

Die für die Niederlande so typischen Hofjes hatten wir ja schon in Amsterdam kennen gelernt. Ursprünglich Wohnareale von Reichen für Arme (über Stiftungen), sind sie jetzt meist gut erhaltene architektonische Zeugen der Vergangenheit – und da die kleinen Höfe meist offen sind, mit ihren Gärten auch Oasen der Ruhe. Einen eigenen Spaziergang zu den Delfter Höfen kann man auf Delta, der journalistischen Platform der TU Delft, nachlesen (die Architekturlehrerin Willemijn Wilms Floet hat ein ganzes Buch drüber geschrieben). Bei uns waren die Hofje van Pauw und die Hofje van Gratie eher Beifang auf dem Weg in die Stadt.

Hofje van PauwElisabeth Pauw war die Tochter eines Bürgermeisters und später die Ehefrau zweier Bürgermeister – nacheinander, nicht zugleich. Die Familie war wohlhabend und stiftete 1707 die Hofje van Pauw – mit einer Innenfläche von 708 Quadratmetern ein ziemlich großer Komplex. Man betritt den Hof durch ein Torhaus mit einer Regentenkammer, in der sich früher die Verwaltung des Hofes traf. Diese Art Entrée mit einem Tor unten und dem Regentenzimmer oben, weiß Willemijn Wilms Floet, wurde in Leiden entwickelt. Natürlich sieht die Fachfrau auch Dinge, die an uns spurlos vorüber gegangen sind: „Im Tor haben Sie eine weitere Tür. Wenn Sie auf den Boden schauen, sehen Sie links und rechts zwei graue Steine, die sich im Tor wiederholen. Das spiegelt das Licht. Wunderschön gestaltet.“ Immerhin bemerkten wir die blinden Nischen, über die sie sagt: „Du kommst an einen mysteriösen Ort, weil du vier blinde Nischen hast. Zwei davon haben Tore mit einem Zaun an der Vorderseite zum Garten. Der Hof selbst hat insgesamt acht Doppelhäuser von etwa zehn Metern Tiefe. In dem für einen Hof riesigen Garten blickt man auf die Rückwand des nächsten Hofes: die Hofje van Gratie.“

Hofje van GratieDie Hofje van Gratie sind älter, sie wurden ursprünglich 1575 von Pieter Sasbout für alleinstehende Frauen gegründet. Weil das Artilleriedepot der Stadt expandieren wollte, musste der Hof 1660 weichen, er entstand neu am jetzigen Standort  Van der Mastenstraat. Man sieht das 1967/68 originalgetreu restaurierte Ensemble mit seiner klaren Struktur (grüne Türen und Fensterläden im Erdgeschoss, hohe Kamine) nur von der Straßenseite, denn man kommt nicht rein und sieht folgerichtig nicht die überdachte Gemeinschaftsgalerie mit den Küchen der Häuser auf der Gartenseite. Ein Foto wert sind die Familienwappen der Hofregenten über der Tür des mittleren Hauses.

Oude Kerk und Prinsenhof

GemeenlandshuisSo richtig mooi weer hatten wir ja schon bisher nicht gehabt, alles grau in grau und nirgendwo blau (und das in Delft!) – aber schlimmer geht immer, denn dann begann das, was die Holländer het regent pijpestelen nennen. Bindfäden sagen wir, wenn es so unangenehm regnet – obwohl die ja trocken sind. Also huschten wir eher missmutig an der Oude Kerk vorbei (Fotos nach oben machen sich gar nicht gut, wenn es regnet), nahmen den Prinsenhof Delft nur knapp zur Kenntnis und sahen das Gemeenlandshuis von der anderen Seite des Kanals Oude Delft. Der Stadtpalast mit seiner bunten Fassade ist seit 1645 Sitz des Wasserverbandes Delfland, eines der ältesten Wasserverbände des Landes. Weil es immer noch pladderte, musste ein kurzer Blick zurück übern Oude Delft zur Oude Kerk reichen, um festzustellen: ja, der Turm ist wirklich schief. Quatsch ist natürlich, Delft deswegen das Pisa des Nordens zu nennen – das haben die Delfter gar nicht nötig! (Wobei: als wir mal in Pisa waren, hat es auch viehisch geregnet. Sollte Pisa etwa das Delft des Südens sein?)

Stads-koffyhuis

Oude Delft | Oude Kerk Stads KoffyhuisFür uns viel wichtiger war, dass es von der Brücke, die ein halbwegs symmetrisches Bild mit Kanal und Kirche zulässt, nur noch ein Katzensprung zum Stads-koffyhuis ist. Diese Gaststätte hatte uns unserer Vermieter empfohlen, und auch online erfahren wir, dass es sich lohnt: „Es ist kein echter Geheimtipp mehr, denn Stads-koffyhuis serviert die besten Sandwiches von ganz Holland.“ (Quelle nicht mehr erreichbar…) Keine Ahnung, ob es die besten sind (ich mag derlei Superlative ja nicht…), aber gut war’s und trocken sowieso und auf den Toiletten hätte man wegen Delfter Keramik die Kamera dabei haben sollen… Nett war auch, dass in den Servietten eine lustige Anweisung fürs Essen versteckt war. Man muss dann allerdings die Serviette rechtzeitig öffnen, sonst wird das nichts mit dem kenntnisreichen Essen!

Die Rast hatte sich unterm Strich mehrfach gelohnt, denn es hat geschmeckt, wir blieben vom Regen verschont und außerdem war der – oh Wunder – nach dem Bezahlen sogar kurz gar nicht mehr da. Kleine blaue Flecken im Himmel ließen hoffen, aber nicht lange. Naja, da bleiben die Bilder wenigstens im gleichen Stil der 50 shades of grey.

Street Art

Street ArtIn der kleinen Gasse Kloksteeg fällt das riesige Wandbild auf. Micha de Bie hat es entworfen und gemalt. Die Typen, die man sieht, sind Delfter – „nicht alle finden es superschön. Aber was passiert: Man redet miteinander und sagt sich, was man denkt.“, hat Micha de Bie in einem Interview gesagt. Also unsere Aufmerksamkeit hatte er, und wenn – wie es geplant zu sein scheint – derlei Street Art auch an anderen Orten in Delft zu sehen ist, könnte das ja ein ganz eigener atemberaubender Stadtspaziergang werden… Okay… da gibt’s ja schon was! Wir sahen die Nummern 6, 7 und 10 von 11. Das Wandbild in der Kloksteeg ist die Nr. 7. Nummer 6 in der Kromstraat entstand 2005 nach dem Original des französischen Malers Claude Monet, geschaffen von Shaun Herron. Und die Nummer 10 in der Jozefstraat ist das Ergebnis des Projekts: „Delft ist Gold, Sie sind Gold“. Goldene Klinker mit Name oder Abkürzung eines Namens verewigen die Klinker-Käufer (obwohl man sie ja auch bei aller Vorsicht dennoch mit den Füßen tritt…)

Koornmarkt und Beestenmarkt

Koornmarkt BrasserieBanale Feststellung: bei Sonne sieht eigentlich alles nochmal viel schöner aus. Wir waren geneigt, den bisher gegangenen Weg einfach rückwärts abzulaufen, um das Gesehene bei anderem Licht zu betrachten – schlugen dann aber doch andere Pfade ein und gelangten über den Wijnhaven (herrliche Adresse, oder?) zum Koornmarkt mit seinen herrlichen Giebelhäusern. Grachten, Grachten, überall Grachten. So kann man mitten in der Stadt am Wasser lang und hat auch durchaus was zu sehen, wie zum Beispiel das Terrassenboot der Brasserie ‚t Straatje van Vermeer. Die gehört übrigens zu einem Hotel mit interessantem Konzept: man kann dort auch (also nicht nur, es gibt auch ganz normale touristische Vermietung) so genannte Scheidungszimmer buchen: „Stehen Sie vor einer Trennung, stehen Sie vor einer Scheidung oder befindet sich Ihre Beziehung in der Brüche? … Damit Sie sich voll und ganz auf sich und die Zukunft konzentrieren können, bieten wir Ihnen unsere Hotelzimmer an. … Kurzfristig ist Wohnraum oft schwer zu bekommen, daher ist unser Konzept eine perfekte Zwischenlösung. Sie mieten ein Hotelzimmer für mindestens 1 Monat, danach ist das Zimmer wochenweise buchbar, aber auch wochenweise kündbar.“ Spannende Idee (und ich frage mich, ob man, um einen Monat zu bleiben, einen Trennungsschein benötigt?)!

De BeestenmarktZum Nachdenken blieb keine Zeit, die Phase kleiner blauer Himmelsflecken ging abrupt zu Ende, es ging eine dunkle Wolk herein und beliebte sich zu ergießen. Glücklicherweise war’s nur ein paar Schritte zum Beestenmarkt, dem alten Viehmarkt. Die Geschichte des Platzes in aller Kürze: 1449 bis 1595 Franziskanerkloster (also noch kein Platz), nach dem Abriss bis 1972 Platz der Delfter Viehmärkte, dann 21 Jahre lang Parkplatz. Mit einem Zeitgeistwechsel entstand dann in den 1990er Jahren der Markt als Unterhaltungszentrum, den die umliegenden Gastronomiebetriebe bespielen (2018 waren es derer elf, entnehme ich der Wikipedia). 24 alte Platanen spenden im Sommer Schatten, aber da die Wirte das Wetter kennen, gibt es auch großformatige regendichte Schirme. Ein bunter Keramik-Taurus des Künstlers Rob Brandt erinnert an die Zeit als Viehmarkt.

Markt, Nieuwe Kerk, Rathaus

KirchtürmeAuf dem Weg zum Markt mit Rathaus und Nieuwe Kerk wolkt es wieder ab, so dass wir die drei Kirchtürme (zweimal Maria van Jessekerk, einmal Nieuwe Kerk) schon mit blauem Himmel und fotogenen Wolken sehen. Die Maria van Jessekerk war die erste katholische Kirche, die nach der Reformation im Stadtzentrum wieder aufgebaut wurde. Die neugotische Kirche ist in Form eines Kreuzes gebaut.

Nieuwe KerkDie Nieuwe Kerk war die zweite Kirche in Delft – weswegen die eine dann Oude Kerk und diese eben Nieuwe Kerk genannt wurde. Sie hat einen schönen hohen Turm, exakt 108,75 Meter hoch. Nach dem Domturm in Utrecht ist er der zweithöchste Kirchturm der Niederlande – das (also die Höhe, nicht der zweite Platz) ist auch ein Fluch. Der Stadtbrand von Delft am 3. Mai 1536 nahm vermutlich durch einen Blitzschlag im Turm der Nieuwe Kerk seinen Anfang. Er legte einen großen Teil der südholländischen Stadt Delft in Schutt und Asche, hunderte von Gebäuden gingen in Flammen auf, darunter das gesamte Stadtarchiv. Auch die wiedererrichtete Turmspitze wurde durch einen Blitzschlag zerstört (1872). Man kann die Nieuwe Kerk, ein Werk der Backsteingotik besichtigen und den Turm besteigen. Sehenswert: 16 Buntglasfenster und die Grabkammer des niederländischen Königshauses – 45 Angehörige der Dynastie sind hier beigesetzt.

RathausAm anderen Ende des Marktes – mit 120 mal 50 Metern einer der größten historischen Marktplätze Europas – steht das Rathaus. Der Markt entstand im 12. Jahrhundert, er hat im Laufe der Jahrhunderte regelmäßig sein Aussehen verändert (bei der bislang letzten Renovierung 2004 verschwanden die dort parkenden Autos vom Platz, neue Bäume wurden gepflanzt: Holland halt). Was geblieben ist von Anfang an: Der Wochenmarkt am Donnerstag.

MarktplatzDas Rathaus im feinsten Sommernachmittags-Gegenlicht (man kann es uns nicht Recht machen: keine Sonne ist doof, Sonne im Gegenlicht auch nicht so dolle…) ist sichtbar nicht mehr das mittelalterliche. Der 1620 errichtete Renaissance-Bau von Hendrick de Keyser steht vor dem spätgotischen Turm (Nieuwe Steen) aus dem 13. Jahrhundert. Früher war da ein Gefängnis, heute kann man den mittelalterlichen Kerker mit Folterinstrumenten freiwillig zu besichtigen. Ob das Zimmer, in dem man sich trauen kann, im Kerker-Teil liegt oder im neueren, haben wir nicht heraus gefunden…

Hinter dem Rathaus liegt de Waag, die frühere öffentliche Waage. Die war wichtig, um allzu offenkundige Schummeleien beim Handeln zu vermeiden. Die Händler mussten alles, was schwerer als zehn Pfund war, auf der Waage der Stadt kontrollieren lassen. Die Waage wurde noch bis 1960 genutzt. Nachnutzer war bis 1995 ein Theater, und seit 1996 befindet sich darin das Stadtcafé De Waag.

Unsere regengeprägte Tour durch Delft:

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