Das Viertel ist angesagt – seit einigen hundert Jahren, wenn auch für unterschiedliche Schichten oder Zielgruppen. Früher war der Jordaan eher ein Arbeiterviertel, heute findet man dort die unvergleichliche Mischung aus Wohnen und Ausgehen, aus Einheimischen und Touristen, aus Kitsch und Kunst. Am besten erläuft man sich das Viertel zwischen den Kanälen Prinsengracht, der Looiersgracht, der Lijnaansgracht und der Browersgracht im freien Zickzack der Gassen, die sich hier der Grachten-Symmetrie des Amsterdamer Zentrums verweigern: Jordaan legt sich quer und ist ein bisschen schräg…
Wir betraten das Viertel über die Brücke Leliegracht gleich hinter dem Anne Frank Haus. Und sofort ist man drin im Vergnügen: Quinta wirbt mit fijne wijnen, absinthe, jenevers und behauptet in aller Bescheidenheit, der beste Ort in ganz Amsterdam für den wirklichen Absinth zu sein. Wir also hinein und erst mal mit dem Inhaber ins Gespräch gekommen, der nach niederländischer Begrüßung und englischer Antwort gleich mal ins Deutsch wechselte. Wir ließen uns in den Abteilungen Absinth und Jenever beraten, wobei es den Jenever – ein Wacholderschnaps – auch zu probieren gab. Hier lernten wir, dass die Reihenfolge „jonge jenever – oude jenever – lekker jenever“ erstens logisch ist und zweitens leider auch was mit dem Preis pro Flasche zu tun hat.
Für die Absinth-Beratung durften wir uns dann hinsetzen! Es folgte eine kleine Geschichtslektion, die nicht wirklich sensationell war, weil das auch alles so oder so ähnlich in der Wikipedia steht. Was dort freilich fehlt, ist die Begeisterungsfähigkeit des Vortragenden, der Schalk in den Augen bei der Begründung des Verbots (alles Machenschaften von Lobbyisten zur Förderung des Weinkonsums) – und die Möglichkeit, sich für den Eigenbedarf ein Fläschen mitzunehmen. Was im Vortrag (vielleicht verständlicherweise) fehlte, war der Hinweis, dass der Amsterdamer Weinhändlerkollege Menno Boorsma mit seiner Klage erreicht hat, das Absinth seit 2004 in den Niederlanden wieder verkauft werden darf.
Der Bummel durchs Viertel macht Spaß, es ist der Beweis, was für schöne Häuser man aus Klinker bauen kann. An vielen Giebeln sieht man Jahreszahlen: 1642, 1763, 1624. Die letztgenannte steht auf dem Fenster des Café Chris, der ältesten Gaststätte des Viertels und eine der vielen, die von sich sagen: die älteste in Amsterdam. Es ist eines der „bruine Cafés“, der braunen Cafés. Die findet man überall in Amsterdam, und es handelt sich keineswegs um Cafés im deutschen Sinne – eher sind es Nachbarschaftskneipen. In allen (aber auch wirklich: allen) unseren Quellen stand: Die heißen „braun“, weil das Mobiliar vom Rauchen im Laufe der Jahre braun geworden seien. Überall steht dann, dass es keine Musik gibt in den braunen Cafès – und das ist, mit Verlaub, großer Quatsch: Im Chris gab’s chilligen Jazz, in anderen von uns besuchten „Braunen“ dudelte es ebenfalls. Auch Klischees wie „Holzfußboden mit feiner Sandschicht“ sind nicht gelebte Praxis, sie lesen sich nur gut.
Auf dem Weg ins Café Chris konnten wir eine andere Spezialität des Viertels erleben: Schmucke Innenhöfe, hofjes auf niederländisch. Bei den hofjes handelt es sich um Witwenhäuser, meistens als Stiftungen (von wohlhabenden Bürgern) für Arme errichtet. Über 200 gibt es davon in den Niederlanden, 47 davon in Amsterdam. Und die Hälfte aller Amsterdamer hofjes befindet sich im Jordaan – da waren die Grundstücke vergleichsweise preiswert. Einige Höfe sind der Öffentlichkeit zugängig, zum Beispiel der Karthuizerhof. Ein schmucker Garten kennzeichnet den Komplex, der 1650 für Witwen und ledige Mütter mit ihren Kindern errichtet wurde.
Zum Mittagsimbiss landeten wir bei einem (offensichtlich recht neuen) Italiener: Mamma Rosetta. Der Chef ist Sohn italienischer Einwanderer, sein Vater war wohl auch schon Koch und ganz wichtig: Die Großmutter. Denn deren Rezepte kochte schon der Vater und nun auch der Enkel. Mama Roisetta ist unten ein alimentari und oben eher ein Bistro, es gibt Ciabatta, Pasta und einige wenige Fleischgerichte (Wildschein und Lamm, immerhin). Angeblich besonders gut sein soll die Lasagne – aber das habe ich erst später zu Hause gelesen. Meine Spaghetti ließen aber erahnen, dass das Gerücht stimmt 😉 – auf jeden Fall war der kurze Ausflug in die Toscana mitten im Jordaan nicht schlecht!
Der unverwechselbare Klang einer typisch holländischen (!) Drehorgel lockte mich während des Besuchs nach draußen. Die Romantik ist ein wenig hin, seitdem Dieselmotoren die Walzen in Bewegung versetzen – aber immerhin lieferte das Prachtexemplar noch ein Jordaan Potpourri. Das ist allerdings keine Aneinanderreihung von Heimatgesängen aufs Viertel, sondern Musik von Johnny Jordaan. Das war ein Amsterdamer Sänger, singender Kellner und zumindest in der Jugend ein wenig unvorsichtiger Mann – er verlor im Alter von neun Jahren bei einer Rauferei ein Auge. Ihm zu Ehren gibt es weiter südlich im Viertel den Johnny Jordaan-Plein in der Elandsgracht – aber das war ein anderer Spaziergang…
Quinta
New Leliestraat 4
1015 SP Amsterdam
Tel.: 020-4270226
Mobil: 06 44028228
www.quinta-wijnen.nl
Geöffnet:
Montag – Freitag: 12.00 bis 18.30 Uhr
Samstag: 10.00 bis 18.30
Sonntag: 12.00 bis 18.30 Uhr
Cafe Chris
Bloemstraat 42
1016LC Amsterdam
Tel: 020-6245942
www.cafechris.nl
Geöffnet:
Montag bis Donnerstag: 15.00 bis 01.00 Uhr
Freitag & Samstag: 15.00 bis 02.00 Uhr
Sonntag: 15.00 bis 21.00 Uhr
Mamma Rosetta
Lindengracht 158
1015 KK Amsterdam
Geschlossen
Tel. 020-7520603
www.mammarosetta.nl
Geöffnet:
Montag – Samstag: 11.00 bis 21.00 Uhr
Sonntag: 12.00 bis 21.00 Uhr
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