Zu den liebenswerten Eigentümlichkeiten von und in Amsterdam gehören die Proeflokaale – das sind dem Namen nach Probierstuben, aber umsonst gibt’s da natürlich nichts. Man könnte auch sagen: Es sind ganz normale Kneipen, gern mit Schwerpunkt auf Genever und Liköre, aber auch Wein oder Bier – wie gesagt: Klingt nach ganz normaler Kneipe. Aber normal sind sie nicht, die Probierstübchen: Sie haben alle einen ganz eigenen, manchmal auch eigenwilligen Charakter. Sie gemütlich zu nennen, wäre sicher sehr deutsch, aber nicht unbedingt immer falsch.
Das Proeflokaal De Ooievaar (Der Storch) liegt mitten in der Stadt quasi gegenüber vom Hauptbahnhof (Centraal Station) und scheint dennoch von Touristen gerne übersehen zu werden. Leer war es aber, als wir dort waren, dennoch nicht: Die Einheimischen wissen offensichtlich die Freundlichkeit des Wirtes zu schätzen. Ich hatte den Eindruck, dass alle Stammgäste waren. Wundern täte es mich nicht, denn De Ooievaar ist ein Platz zum Wohlfühlen, ganz egal ob die Rentner auf ein wijntje (oder zwei? oder drei!) vorbeikommen, ob sie im business-dress bei einem biertje (einem? zwei!) die iPads nach Dienstlichem befragen oder bei einem Cappuccino die Wartezeit auf den Treff mit der Freundin abkürzen.
Dieses Proeflokaal ist bannig klein, auf ihrer Webseite beschreiben die Betreiber sich als eins der kleinsten in den Niederlanden. Aber es gibt alles, was man in einer Bar erwartet, ordentlich aufgereiht steht es in den Regalen, die bis unter die Decke reichen. Dort hängen, an Balken mit sinnreichen Sprüchen wie Als de wijn is in de man dan is de fles leeg (Wenn der Wein im Mann ist, ist die Flasche leer) baumeln Bierkrüge aus Stein. In den Regalen kommt ein subtiler anarchischer Zug zum Tragen: Unter Jenever stehen herrliche Flaschen mit Cognac, und unter dem Schriftzug Cognac warten jede Menge Liköre und Jenever.
Wir probierten: Genever! Erst mal einen (mit der üblichen Bestellweise: weder jonge noch oude, sondern lekker) und dachten nach dem genussreichen Süffeln: Was nun? Was passt? Da der Wirt mit uns deutsch sprach, schilderten wir unser Problem – und er empfahl uns einen anderen Genever, und zwar einen, den wir kannten: Den zeer oude Genever „Loyaal“ aus dem Hause De Ooievaar, der fünf Jahre im Fass gelagert wurde, hatten wir bei unserem Spaziergang durch den Jordaan vom Wein- und Spirituosenhändler Quinta empfohlen bekommen (und mit nach Hause genommen). Dass uns der Geschmack dieses Genevers immer ein wenig wie Whiskey vorkommt, ist übrigens gar nicht so weit hergeholt: In einem sehr schönen Beitrag über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Gin und Genever erklärt Erhard Ruthner, warum – und schreibt bei der Gelegenheit auch noch einen sehr schönen Satz, den ich gegebenenfalls meinem Arzt vorlesen kann: „Diese Urform des Gin stammt definitiv aus Holland und lässt sich urkundlich bis 1269 verfolgen, wo Medizin auf Wacholderbasis Erwähnung findet.“
Mehr Medizin fanden wir in einer ganz anderen Lokalität. Die Probierstube von Wynand Focking liegt zwar auch mitten im Zentrum, aber doch gut versteckt: Der Eingang zur Gasse Pijlsteeg ist mehr oder weniger einem Hotelneubau zum Opfer gefallen. Aber, da ist man nicht so in Amsterdam: Man darf durch die Lobby des Hotels laufen und ist dann jenseits der Glaswand gleich mal ein paar Jahrhunderte zurück auf dem Zeitstrahl und landet im Jahr 1673. Da hat im Haus Nummer 31 Jan Bierman seinen Namen leicht missachtend hier eine Spirituosen- und Likörbrennerei eröffnet. Nach einer langen und abwechslungsreichen Firmengeschichte mit Übernahme der Firma durch eben jenen namengebenden Wynand Focking (so um 1730) sowie der Übernahme der Traditionsfirma durch den Spirituosenriesen Lucas Bols (1954): Fressen und gefressen werden (oder saufen und gesoffen werden?) – so ist das. Bis 1970 gab’s noch Produkte unter dem Etikett von Wynand Focking, dann war erst mal Schicht im Schacht. Doch seit 1993 entsteht Wynand Focking neu: Es gibt das Proeflokaal und ein Museum mit Brennerei – und von daher kommen unter dem Kürzel WF ganz vorzügliche Produkte.
Probieren kann man sie – wo sonst – in der Probierstube. Dort geht es extrem trubelig zu, die Menschen stehen in Trauben vor der hölzernen Theke. Die ist schon deswegen vonnöten, weil der Schnappes hier randvoll in die Gläser geschenkt wird und im Trubel schon mal beim Versuch, eine Haube überm Glasrand zu bilden, etwas daneben geht. Das p.p. Publikum muss sich dann herunterbeugen, um vom Glas zu schlürfen. Praktisch, weil man ja reichlich bekommt und selbst nicht geneigt ist, davon etwas zu verschütten. Und obendrein höflich, weil man sich ja auch vor der Bedienung verneigt!
Diese Bedienung waren bei unserem Besuch zwei Männer, von denen der eine eine Riesenshow abzog. Er schäkert mit den Kundinnen und Kunden herum, er erklärt theatralisch die Unterschiede zwischen den Produkten, er berät, schenkt ein (manchmal auch sich selbst), fotografiert auf Wunsch die Gäste – und behält den Überblick. Zu gut, wie wir fanden, als er uns den zweiten Genever verweigerte. Zwei Gründe, sagte er schelmisch, hätte er dafür: Erstens sei es nach 21 Uhr und eigentlich schon geschlossen. Und zweitens seien wir ja schon einmal dran gewesen: „You’ve had your round!“. Wir könnten ja am nächsten Tag wiederkommen…
Proeflokaal De Ooievaar
Sint Olofspoort 1
1012 AJ Amsterdam
Tel. 020-4208004
www.proeflokaaldeooievaar.nl
Geöffnet: täglich ab 12 Uhr
Wynand Fockink
Pijlsteeg 43
Amsterdam
Tel. 020-639 26 95
www.wynand-fockink.nl
Geöffnet: täglich von 15 bis 21 Uhr
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