Die Kulturlandschaft zukunftsfähig machen

Besuch der Lembergerland Kellerei Rosswag mit STIPvisite der Steillagen

Rosswager Halde

Die 401 gehört nicht in die Reihe mystischer Zahlen. Anders als beispielsweise die kleine Schwester 42 gibt es auch keine große Geschichte. Noch nicht. Denn es sind 401 Stufen, die man von den Ufern der Enz bis zur höchstgelegenen Rebe in den Steillagen der Roßwager Halde erklimmen muss. Und das könnte doch der Beginn einer wunderbaren Saga werden. Ein Mythos ist es ja jetzt schon, vordergründig hauptsächlich geprägt durch Marketing, aber eigentlich doch viel mehr durch so etwas wie ein Umdenken. Wir stehen in einer der vom DWI ausgezeichneten Top-30-Vinotheken – „da sind wir sehr stolz drauf, aber mehr noch sind wir stolz auf die über tausendjährige Kulturlandschaft da draußen mit den terrassierten Steilhängen!“, sagt Christian Kaiser, Geschäftsführer der Lembergerland Kellerei Rosswag. Und dann schockt er uns gleich mal: „Wir wollen die Kulturlandschaft nicht erhalten!“, sagt er, und bevor sich die Damen und Herren Zuhörenden noch so richtig entsetzt wundern können, setzt er nach: „Wir wollen sie zukunftsfähig machen!“

Rolf AllmendingerMan fühlt sich in Rosswag der Tradition verpflichtet, spielt zeitgemäß in der Gegenwart und schaut optimistisch in die Zukunft. Rolf Allmendinger, der Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft, schlägt diesen Bogen und kommt dabei auch auf den Ort zu sprechen, an dem wir gerade den Begrüßungssekt genießen (Rosé-Sekt, hundert Prozent Spätburgunder und nicht wirklich trocken. Aber er prickelt so schön und ist bei der Hitze am Besuchstag eine schöne Nachmittagserfrischung). Es geht um 200 Jahre altes Holz aus der Gegend, vor mehr als einem halben Jahrhundert geschlagen – das ist jetzt Teil der Theken. „Wir haben noch einen Stapel von diesem Holz gehabt, das jetzt im Zusammenspiel mit Stahl diese besondere Atmosphäre schafft.“

VinothekDie Vinothek ist ein Umbau, wurde im Bestand erneuert. Die Regale sind nicht nur in Sachen Material besonders: jeder Wein hat seinen eigenen Platz. Kühltheke ist wörtlich einmalig, eine Eigenentwicklung. Materialsichtigkeit, Echtheit ist das Thema. Acht Mitarbeiter*innen sitzen direkt über der Vinothek (etwa genau so viele sind nicht dort, sondern im Keller und sind im Außenbetrieb). Ein Raum ist das, der keine Wände hat und auch von unten einsehbar ist – gewollte Transparenz sei das, erfahren wir. Es fördere ein offenes Arbeitsklima und präge den Arbeitsstil. Und wenn’s mal Ernst wird: es gibt ein Besprechungszimmer mit Tür, als Rückzugsort…

Christian Kaiser1200 Einwohner hat Rosswag, und irgendwie hat jeder was mit Wein zu tun, schon seit Generationen. Aber meist „so nebenher, das kann man am Feierabend machen“. Kleine Parzellen sind ein Teil der Struktur: 155 ha, 40 ha terrassierte Steillagen, 250 aktive Mitglieder (360 insgesamt) – 20-25 Ar viele (mehr geht auch nicht in der Steillage im Nebenerwerb), zwei, drei Große mit bis zu 18 ha, dann ein paar mit 5–8 ha. Ist das für die vielen Kleinen noch lukrativ? „Ich sag‘ ja, da kann man noch Geld mit verdienen“, behauptet Christian Kaiser. Dazu erfahren wir dann später mehr in der Steillage, denn es geht um ein besonderes Konzept in eben diesen Parzellen.

Bertram HaakDas Prinzip der Vinothek, Berührungsängste zu nehmen (man kann sich ohne Barriere einen Probierer selbst einschenken), verfolgt auch die Tour Mythos 401. Man kann sich dabei nach eigenem Zeitplan die Landschaft erlaufen und gleichzeitig die Weine der 401-Linie ertrinken. Das funktioniert so einfach, wie man es sich wünscht: in der Vinothek gbt’s das „Mythos 401-To Go Paket“ zu kaufen (kostet für 2 Personen 44 Euro). Dafür bekommt man u.a. ein Mineralwasser, zwei Gläser und vier Weine à 0,25 l im Kühlrucksack. Ein Vesperbrett und ein Messer sind ebenfalls dabei und der gewollte Anreiz, sich in der Vinothek auch noch mit regionalem Käse und Wurstspezialitäten einzudecken – kostet extra, ist aber kein Muss: auch selbst Mitgebrachtes lässt sich auf dem Vesperbrett schneiden. Fünf Umschläge machen die rund vier Kilometer lange Tour zum Spiel: Fünf Umschläge für die fünf Stationen der Tour machen schlau: welchen Wein sollen wir jetzt öffnen? Aber auch: was passiert in Weinberg und Keller?  Wie groß ist eigentlich ein Hektar, von dem man ja immer wieder hört? Wie beeinflusst die Farbe des Lichts den Weingenuss (sehr, hatten wir schon mal im Rheingau)? Gummibärchen fürs Retronasale gibt’s auch an einer Station, die hier natürlich Lembären heißen… Am Ende dieses kleinsten Sommelier-Kurses der Welt muss man Fragen beantworten und bekommt dann statt einer Urkunde eine Flasche aus der 401-Serie.

Bertram HaakBertram Haak, der als Markenbotschafter bei der Genossenschaft arbeitet, kümmert sich um derlei Dinge und Events allgemein. Von denen gibt es reichlich – bessere Kundenbindung als regelmäßige Afterwork-Events vor der Vinothek (Jeden zweiten Freitag im Monat) oder Weinwanderungen durch die Weinberge (eine davon zur Vollmondnacht, eine andere mit dem herrlichen Ttel „Zum Lachen in den Weinberg“) gibt’s ja nicht. Im Weinberg, zu dem wir faulen (pardon: zeitgeplagten!) Journalisten mit dem Bus fuhren und nur einige hundert Meter Laufgefühl in und an der Steillage entwickelten, um dann gleich wieder erschöpft im Liegestuhl ruhend weitere Weine zu probieren. Und völlig unverhofft mitten im Weinberg den Markenbotschafter Geige spielen zu hören. Sehr emotional, das ging steil!

Konzert in der SteillageAber immerhin lernen wir im Bus schon mal was über die Steillagen. Lebendige Weinberge sind das Ziel – und mit dem Projekt Steillagenkollektiv will man es befördern. Es geht dabei um die drei Lagen Rosswager Halde, Felsengärten Mühlhausen und Schloss Kaltenstein in Vaihingen – insgesamt knapp 6 Hektar mit knapp 570 Weinbergterrassen, die von 32 Wengertern bewirtschaftet werden. Sie haben sich dem Steillagenkollektiv angeschlossen und einem Kollektiv-Kodex verschrieben. Der sieht blühende, lebendige Weinberge vor, der Dünger kommt aus einer Biogasanlage. Der Verzicht auf Herbizide und Insektizide gehört dazu – die Anpflanzung von pilzwiderstandsfähigen Sorten (Piwis) soll dabei helfen. Man kann Teilheber werden an einer Terrasse: mit einem Euro pro Tag bzw. 365 /Jahr. Dafür gibt’s neben dem Prahleffekt (wer hat schon Teilhabe an einem Stück vom Weinberg?) und dem Stolzeffekt (Solidarität und Unterstützung der Winzer bei ihrer Arbeit im Hang) auch trinkbare Vorteile: 4x sechs Flaschen aus dem Lembergerland beispielsweise und andere Gimmicks (wie ein Schild an der Terrasse) mehr.

Lembergerland Kellerei Rosswag e. G.
Manfred-Behr-Straße 34
71665 Vaihingen-Rosswag

Tel. +49 7042 / 35960-0
lembergerland.de

[Besucht am 23. Juni 2022]

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Hinweis:
Die Recherche wurde unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).

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