Die Grenze vom Gourmet zum Gourmand ist schnell mal überschritten, aber hey: wir gönnen uns ja sonst auch alles, warum also nicht mal gesittet über die Strenge schlagen und sich rundum pampern lassen? Eine Gelegenheit dazu bahnte sich erstmals im September 2018 an: da erzählte Gerd Kastenmeier am Rande einer Pressekonferenz, dass es im (damals noch geplanten und lange nicht fertigen) neuen Restaurant im Taschenbergpalais einen Chef’s Table geben werde. Direkt am Pass, also der Schnittstelle zwischen Küche und Service, sei ein Tisch für knapp ein Dutzend Gäste geplant, die in einem Degustationsmenü die Bandbreite der Küche kennen lernen könnten.
Bei der Eröffnung des neuen Restaurants sahen wir dann den Tisch erstmals live, und irgendwie entstand die Idee, dort mal einen Abend mit den beiden Chefs Marten Schwass (Direktor des Hotel Taschenbergpalais Kempinski) und Gerd Kastenmeier bei Wein und Degustationsmenü über Gott und die Welt zu reden. Da der Herr Kastenmeier bei solchen Dingen sehr spontan sein kann, meinte er: „Na klar, ich lad‘ Euch ein!“ – was unsereins ja nicht so schnell vergisst. Doch Einladungen sind schnell ausgesprochen, dauern dann aber gelegentlich etwas in der Umsetzung – denn irgendwas ist ja immer. Termine, Urlaub bei diesem oder jenem, und dann auch noch völlig neue Erfahrungen wie Covid und Lockdown. Doch Anfang März passte dann fast alles: die Einladung stand noch, wurde sogar erweitert auf Kolleginnen – dafür hatten die Chefs nicht rundum Zeit. Aber der Gerd, wie der Gastgeber im Kastenmeiers meistens vertrauensvoll von seinen Lieblingsgästen genannt wird, stand für Ansagen und Anekdoten vor und nach jedem Gang am Tisch zur Verfügung.
Der Chef’s Table ist groß, aber man kann ihn prinzipiell (will heißen: wenn er frei ist) auch zu zweit buchen. Hauptsache, man lässt sich aufs Degustationsmenü ein, das es in der kleinsten Form mit sechs Gängen gibt (69 €), das sich aber auch fast beliebig aufstocken lässt. Wir waren ja eingeladen und erlebten im vollen Verwöhnmodus neun Gänge mit Zusatz-Chi-Chi wie Kaviar und Trüffel (99 €). Dazu gibt es eine Weinbegleitung (38 Euro), bei der Gerd Kastenmeier eine sehr persönliche Weinauswahl vorstellt.
Abende wie diese beginnen am besten mit einem Glas Blubber. Muss nicht Champagner, sollte aber gut sein! So wie der Ferrari Spumante Rosé Brut, der mit feinster Perlage und feinem Säurespiel so ist, wie der Abend werden sollte: unkompliziert. Leider hoher Trinkfluss, aber man kann ja nachschenken, damit zum obligaten Küchengruß noch was da ist. Das Amuse kam auf dem Löffel: Avocado-Mango-Salat mit Pulpo. Und wer da dachte: och, übersichtlich! und sich noch reichlich an Brot (Pane Maggiore vom Dresdner Backhaus, immer wieder ein großartiges Vergnügen), Butter, Petersilien-Frischkäse, Olivenöl mit Apfel-Balsamico und geräuchertem Zwiebelsalz nahm, wurde fünf Gänge später mit zu vollem Magen nicht unter drei Jammerrunden bestraft. Merke: die Küche weiß, wie viel noch kommt und portioniert immer richtig!
Prinzipiell gilt so eine Binsenweisheit natürlich auch für die Weinbegleitung, aber ach: am Anfang sind die Gläser immer (immer!) viel zu klein. Man sollte, sagen Restaurant-Gastgeber und Ärzte unisono, lieber viel Wasser trinken. Am besten nach der Formel Weinx2=Wassermenge. Oder so ähnlich. Bei uns gerät das durch Kürzen und Dividieren meist anders rum, aber was hätten wir tun sollen? Wo doch die Weinreise von Italien über mehrere deutsche Anbaugebiete bis nach Südafrika führt und man obendrein dabei Weine entdeckt, die es außerhalb des Restaurants gar nicht gibt – weil sie speziell für das Kastenmeiers gemacht sind? Da muss man doch vor und beim Essen probieren und auf jeden Fall auch noch einen Schluck zur Nachprobe übrig lassen. Oder?
Dass man Austern am besten an einem lauen Abend irgendwo direkt an der Küste dort isst, wo sie gezüchtet werden, ist klar. Es folgen dann ein zwei weitere Möglichkeiten – und man kann, wie der erste Gang bewies, Austern sogar backen. Mit Süßkartoffelpürrée und einer Lauch-Mayonnaise sieht das dann ganz chic aus (fast wie ein kleines Schnitzel!), aber uns Seeleuten: dann doch lieber richtiges Schnitzel! „Eine Art, die Gäste an Austern heranzuführen“, schmunzelt der perfekte Gastgeber, doch ich wette: sobald die Auster in ihrem natürlichen Habitat daher kommt, würde sie mir sofort nach Mehr schmecken, den Zögerlichen aber immer noch nicht (nun gut: ich würde deren Auster(n) mit schlürfen! ). Am liebsten wäre mir dann auch noch, dass die rohe-Austern-Ess-ich-nicht-Menschen auch keinen Riesling mögen, ich wäre auch da opferbereit. Zumal der empfohlene 2019 Riesling vom Weingut Wegeler aus Oestrich im Rheingau in Sachen geschmeidiger Trinkfluss dem Spumante in nichts nachstand. Typisch Rheingau eben!
Rindertatar – kann doch jeder! Naja, fast, vielleicht. Aber das Senf-Eis dazu war schon großes Gaumenkino, und die korrekt dünn geschnittene und dann geröstete Schwarzbrotscheibe gehörte zu den vielen Kleinigkeiten an diesem Abend, die aus dem Einfachen das Besondere machte. Insgesamt ein Gang, den man so in einem auf Fisch spezialisierten Restaurant gar nicht erwartet (und der klar macht, dass es gar nicht immer Fisch sein muss!). Der Wein dazu war der erste aus der Reihe der Kastenmeier-Editionen und kam aus Baden – aus „einer der unterschätztesten Weinbau-Regionen der Welt“, wie die beiden Klumpp-Brüder selbst sagen. Gerd Kastenmeier verbindet mit Markus Klumpp eine lange Freundschaft – und daraus entstand die Kastenmeier-Cuvée Blanc mit 50% Sauvignon Blanc, 40% Riesling und dem Rest Scheurebe. Was daran besonders ist? Da hilft ein Blick auf die Webseite vom Weingut Klumpp, wo es auch einen Blanc gibt – bei dem das Verhältnis Riesling / Sauvignon Blanc 60:30 ist. Der Kastenmeier-Geschmack (er mag Aroma-Rebsorten!) hat sich also auf die Mischung niedergeschlagen. Ich mag nicht schon wieder Trinkfluss schreiben, aber was soll man machen?
An Sashimi kann man ja nix falsch machen, so lange man Top-Ware hat. Und das Kastenmeiers ist ja nicht ohne Grund beim Feinschmecker unter den Top-12-Fischrestaurants in Deutschland genannt (als einziges im Osten, sieht man von einem in Berlin ab). Also: Lachs war frisch und gut, wie auch sonst. Aber nur dafür gehen wir ja nicht ins Restaurant. Wir wollen nämlich überrascht werden! Und das geht bei Sashimi eindeutig mit Nussbutter. Das ist in der guten Küche keine Mischung aus Butter und Nüssen, sondern eine gebräunte Butter, die (wenn man alles richtig gemacht hat) wunderbar nussig schmeckt. Dazu hatte der Aromaweinliebhaber Gerd K. eine Scheurebe aus der Haardt aus dem Keller geholt. Die trockene pfälzische Antwort auf den oft lauten neuseeländischen Sauvignon Blanc vom VDP-Weingut Müller-Catoir ist mit Trauben aus kontrolliertem biologischen Anbau hergestellt und vegan zertifiziert – aber wir hatten doch Fisch und Fleisch satt an diesem Abend, also: egal – und zum Wohl die Pfalz!
Die nächsten beiden Gänge gehören zu den Kastenmeiers-Klassikern, und wenn man es so formuliert, klingt es doch ganz harmlos: es gab Spaghettini sowie Ei mit Spinat und Kartoffelpü. Freilich nicht so wie bei Muttern, sondern etwas gepimpt. Die kleine Nudel (im doppelten Sinn, denn die Portion war handlich klein und die Spaghettini sind deutlich dünner als Spaghetti, schmecken deswegen auch anders) versteckten sich unter reichlich Trüffel, und der Schulspeisen-Hass-Klassiker schmeckte Dank pochiertem Ei, nur leicht angezogenem Blattspinat und Kaviar (Sevruga, der aus einer Zucht in Mutzschen bei Leipzig stammt!) auch irgendwie – anders. Besser! Wer Trüffel und Kaviar für dekadent überbewertet hält, sollte beim Nachkochen zu Hause einfach mehr Butter und/oder Sahne nehmen, das gibt auch guten Geschmack! Was man nicht weglassen sollte, sind die Weine! Bei der Schlotzigkeit der Spaghettini musste es burgunderlastig sein. Auftritt der Hauswein aus Sachsen, in diesem Fall die 2019 Cuvée (64% Grauburgunder, 20% Weißburgunder und 16% Riesling) von Schloss Proschwitz. Dass ein (für den normalen Restaurantbetrieb) schon etwas reiferer Jahrgang jetzt auf der Karte steht, ist eine der Folgen der Pandemie. Das Restaurant war ja seit 2020 gefühlt mehr geschlossen als geöffnet! Aus Gästesicht wahrscheinlich die einzig positive Folge dieser Pandemie, dass die Weine endlich mal dann serviert werden, wenn sie wirklich Spaß machen zu trinken. Das könnte man beibehalten, der Rhythmus ist ja jetzt da! Zum pochierten Ei gab es einen Rosé T3 aus Südafrika, eine Cuvée. „Mein Lieblingsweingut in Südafrika“ nennt Gerd Kastenmeier das Weingut Druk My Niet. Für einen Rotwein haben für diesen Saignée die drei Rebsorten Tinta Amarela, Tempranillo und Tannat bluten müssen. Die Rotweincuvée kann man – der Gerd ist ja auch Verkäufer – bei ihm im Shop in einer seltenen Box kaufen: als Cuvée plus je eine Flasche rebsortenrein ausgebaut.
Zwei Hauptgänge standen uns noch bevor, die boah-ist-das-lecker-Brotesser merkten nun, dass man sich auch bei gut schmeckendem Pane Maggiore besser zurückgehalten hätte. Die Küche versuchte es mit einem Trick und schickte ein Cassis-Sorbet, wahlweise mit Wodka oder Sekt aufzugießen. Wir nahmen den Sekt und erinnern an dieser Stelle gerne daran, dass für das klassiche Trou Normand ein feiner Calvados auch gut gepasst hätte!
Zum Heilbutt (mit wildem Brokkoli und Trüffelrisotto) tranken wir rheinhessisch, und ich kenne eine Kollegin, die allein bei der Namensnennung des Winzers strahlt. Das Strahlen bei mir lag nicht an der Schönheit von Jochen Dreißigacker, sondern am fabelhaften 2018 Chardonnay (auch eine Kastenmeier-Füllung). Die Cremigkeit des Chardonnays aus dem großen Holzfass und die des Trüffelrisottos harmonierten perfekt. Zur geschmorten Ochsenbacke mit Rotweinjus ging’s zurück nach Südafrika, aber nicht zur Cuvée aus der T3-Reihe. Die „Cuvée Kastenmeier“ aus den gleichen drei Rebsorten wie schon beim Rosé und aus dem Jahr 2014 brachte genug Reife mit. „Macht Spaß“, vor allem leicht gekühlt… Denn die Zimmertemperatur, von der man immer redet, lag in den Chateaus ja eher bei 18 Grad (warm wird der Wein allein!).
Feuriges Finale mit Live-Zubereitung der Crêpe Suzette! Da Desserts ja ihren eigenen Magen haben, passten die Crêpes natürlich noch. Außerdem brauchte es doch einen Vorwand, um eine Trockenbeerenauslese zu probieren, einen 2017 Sauvignon Blanc vom Spitzenweingut Tement (Südsteiermark).
Das Menü in der Übersicht
- Brot, Butter, Petersilien-Frischkäse, Olivenöl mit Apfel-Balsamico, dazu geräuchertes Zwiebelsalz.
- Amuse vom Löffel: Avocado-Mango-Salat mit Pulpo
- Gebackene Fine de Claire Auster mit Süßkartoffelpürre und Lauch-Mayonnaise
- Rindertatar, Honig-Senf-Eis, Feldsalat, geröstetes Schwarzbrot
- Sashimi vom Lachs mit Nussbutter auf Wakamee
- Spaghettini mit schwarzem Trüffel
- pochiertes Ei, Spinat, Kartoffelstampf, Sevruga-Kaviar (aus Mutzschen bei Leipzig!)
- Cassis-Sorbet, wahlweise mit Sekt oder Wodka
- weißer Heilbutt mit wildem Brokkoli und Trüffelrisotto
- geschmorte Ochsenbacke mit Rotweinjus
- Crêpe Suzette mit Rahmeis
Die Getränke in der Übersicht
- Ferrari Spumante Rosé brut, Trentino (Italien)
- 2019 Riesling, Weingüter Wegeler,Rheingau (Apfel! Mango!)
- 2020 Blanc, Kastenmeiers Cuvée, Weingut Klumpp, Baden
- 2020 Scheurebe, Müller-Catoir, Pfalz
- 2019 Cuvée, Schloss Proschwitz, Sachsen
- 2021 T3 Rosé, Druk My Niet, Paarl (Südafrika)
- 2018 Chardonnay, Dreißigacker, Rheinhessen
- 2014 Momentum, Cuvée Kastenmeier, Druk My Niet, Paarl (Südafrika)
- 2017 Sauvignon Blanc TBA, Tement, Südsteiermark
Kastenmeiers – das Fischrestaurant im Taschenbergpalais
Taschenberg 3
01067 Dresden
Tel. +49 351 48484801
www.kastenmeiers.de
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