Die Ambivalenz von Schönheit und Verfall

Silber – Ausstellung und Katalog mit fotografischen Arbeiten von Günter Starke

Günter Starke

Keine Wortspiele mit Namen! Sagte mein Pädagogikprofessor Jürgen Henningsen immer. Recht hat(te) er, aber was tun, wenn die Namensträger selbst damit spielen? Starke Fotos ist ja schon fast ein Markenzeichen für das, was da beeindruckend aus der Neustadt kommt – mit den Augen von Christine und Günter Starke hinter den jeweiligen Kameras. Mit einer Ausstellung – der ersten im Kraftwerk Mitte, noch auf der Baustelle – zeigt Günter Starke nun, was Fotografie alles sein kann: Anlass zum Nachdenken, zum Lachen, Momente der Erinnerung zu pflegen oder sich in eine andere Welt entführen zu lassen. Das hat, merkt man sehr schnell, nichts mit der digitalen Massenfotografie und viel mit Können sowie harter Arbeit zu tun. Und mit Kunst – denn die kommt  ja vom Können und nicht vom Wollen (denn dann hieße sie ja Wunst).

„Silber“ ist der Titel der Ausstellung, die noch bis zum 30. Juli in der Halle 11 des Kraftwerk Mitte zu sehen ist. Alte Gemäuer, noch in der Renovierung: das ist ein wunderbarer Rahmen. Für die Zuschauer/Besucher zumindest, denn die Ausstellungsmacher/der Künstler sind quasi Alphatester: Wo kann man was wie hängen? Geht das mit dem Licht, klappt das mit der Statik? Es geht. Und macht sich fantastisch, denn die Fotos von Günter Starke spiegeln ja oftmals auch die Ambivalenz von Schönheit und Verfall wider.

Der Ausstellungsraum ist groß und großzügig – wunderbar, denn hier konnte sich Starke bei der Gestaltung der Ausstellung auf rund tausend Quadratmetern austoben. Es gibt auch Farbbilder – aber die habe ich quasi nicht gesehen zwischen all den vielen so viel Farbe ausstrahlenden Schwarz-weiß-Fotografien. Starke, der die Äußere Neustadt seit 1978 fotografisch begleitet (und seit 1980 dort auch lebt), wird ja oft auch als Chronist der Neustadt bezeichnet. Das ist einerseits richtig, aber es schwingt mir in dem Wort Chronist zu wenig Ehrfurcht mit. Es reicht eben nicht, die Knipse einfach hinzuhalten, man muss vorher schon denken – und das eher viel denn ein wenig –, um dann zu wissen, was man tut.

KohleKohlen nennt sich beispielsweise eine Abteilung in der Ausstellung. Eine Installation mit 16 großformatigen Fotodrucken plus „Kohleabrieb, Briketts, Heizzubehör“. Kennt ja kaum noch jemand, Kohle als alltägliches Heizmittel. Wie sie den Alltag bestimmte, zeigen Bilder, die handgemachte Kreide-Aufschriften in Szene setzen. Von „Hir Kohle abl.“ über „Kohlen um die Ecke“ (mit Pfeil) und beliebte Varianten von „Freihalten für Kohlen“ bis zur schlichten Namensnennung (Staab Starke) mit einem Pfeil, der auf ein schwarzes Loch in der Wand zeigt. Das soll es rein, das schwarze Gold… Wenn uns das eigentlich alltäglich-Banale heute berührt, kann man nur festhalten: so lange ist das noch nicht her. Es lohnt sich also, auch heute besonnen zu beobachten und festzuhalten.

Adam und Eva

Mit Adam und Eva, als Hommage à Albrecht Dürer gedacht und doch völlig anders als das bekannte Vorbild, bringt sich Günter Starke als experimentierfreudiger Künstler ins Gespräch. Das umgekehrte Chemigramm ist ein Hingucker, wie es entstand, kann man im Katalog „Silber“ nachlesen, wo Eva (die eigentlich Sina heißt) von ihren Erfahrungen berichtet – und auch von den Überraschungen, die sie und ihr Adam (Mirco) bei dem sich langsam entwickelnden Bild als erste Betrachter erlebten: „Wir bekamen zwar im Vorab erklärt, wie die Bilder im Endeffekt aussehen sollten, aber so richtig vorstellen, was das Resultat bringen wird … das war uns nicht ganz klar.“ Und statt des gedachten verschwommenen Abdrucks kam dann ein faszinierend detailliertes Bild heraus, durchaus mit „unübersehbaren Eyecatchern“.

Frauen vor FamilienFamilien aus Dresden führt Menschen und Räume zusammen: „Ich stellte in meinem Kopf ein fotografisches Raster auf“, schreibt Günter Starke eingangs des Kapitel „Familien“ im zur Ausstellung erschienen Buch Silber und erklärt: „Von den Familien wollte ich vergleichende Fotoserien erstellen: das Bild aller Familienmitglieder; dazu jedes Zimmer, welches der Familie zur Verfügung stand.“ Eine herrliche Erinnerung an die Alltagskultur der DDR! Botschaften und Botschafter zeigt, was nicht zusammen gehört und doch zusammen passt: Montagen mit Aufnahmen von Sprüchen (unten) und dazu assoziierten Portraits (oben). Köstlich, der Mann kann nicht nur fotografieren, er hat auch einen sehr feinsinnigen Humor! Neun Fotokombinationsdrucke haben es in die Ausstellung geschafft – drei mehr, und es wäre ein fabelhafter Kalender!

Die Ausstellung, eine Retrospektive von gut dreieinhalb Jahrzehnten Arbeit, ist noch bis zum 30.7.2016 im neuen Kraftwerk Mitte, Halle 11 am Wettiner Platz 7 zu sehen. Geöffnet Di-Do 16-19 Uhr und Fr-Sa 15-19 Uhr sowie nach Vereinbarung.

SILBER
Fotografische Arbeiten 1978 – 2014
von Günter Starke.
Der Katalog zur Ausstellung im Kulturkraftwerk Dresden-Mitte, Juni 2016
Herausgeber: KUNSTBLATT-Verlag
146 Seiten mit ca. 170 Fotos Duoton, ca. 70 Fotos Color
24 x 27 cm, französische Broschur, Fadenheftung
ISBN 978-3-9815797-3-4
Preis: 29,95 €

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1 Kommentar

  1. Den Kalender gabs schon. Da den allerdings keiner finanzieren wollte,
    hab ich den OnDemand herstellen lassen. Ein Flop, weil der Herausgeber (Cornelsen-Verlag) keine der üblichen verlegerischen Tätigkeiten gemacht hat. Werbung = 0; Ertrag für mich= 0
    Nie wieder !
    Günter Starke

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