Alte Häuptlingsburg mit großartigem Park

Aufgebaut und abgebrannt und wieder aufgebaut: Kurze Geschichte von Schloss Lütetsburg

Schloss Lütetsburg (Aufnahme 2007)

Die Geschichte der Lütetsburg ist eine des Aufbauens und Abbrennens. Der junge Herr Lütet war wie die gesamte Häuptlingsfamilie Manninga in Folge der beiden schweren Sturmfluten in der Nordsee am 9. Oktober 1374 und ein Jahr später vom 8. bis zum 10. Oktober 1375 (Dionysiusfluten) heimatlos geworden: Das (wohlhabende) Dorf Westeel im Bereich der Leybucht wurde nach mehreren Deichbrüchen weggespült. Glücklicherweise war das Häuptlingsgeschlecht der Manninga nicht arm, sie waren Herren von Westeel, Pewsum und Bergum. Außerdem gehörte ihnen seit 1212 an der Koordinate 53°36′ N / 7°16′ O ein Uthof (Außenhof). Den ließ Lütet I. Manninga zu einem Steinhaus ausbauen, was den Namen Lütetsburg für Schloss und Ortschaft erklärt.

Nicht ganz so einfach st das übrigens mit den Daten zur Flut. Wir haben in diesem Blog ja schon mehrfach das Fehlen von Internet, Fernsehen und Zeitung für das gesamte Mittelalter beklagt, immer muss man sich da auf sich teils widersprechende Quellen berufen. Sogar Ubbo Emmius, weiser Theologe, Historiker, Pädagoge und Gründungsrektor der Universität Groningen (Niederlande), verlegt im gleich folgenden Zitat die Flut aufs Jahr 1373 – aber auch Emmius war ja kein Zeitzeuge, denn er wurde ja erst 173 Jahre später geboren. Aber seine Karte ist schön, und der Text bis auf den wahrscheinlichen Irrtum im Jahr auch sehr anschaulich:

„Am 9. Oktober 1373 (!) erfolgte eine große Überschwemmung, wie sie seit Menschengedenken nicht gewesen war, welche sich über die ganze friesische Küste erstreckte und den Einwohnern zu schwerem Unglück gereichte. Denn sie bedeckte das ansehnliche Dorf Westeel, in einer fruchtbaren Gegend fast 2000 Schritte im Süden von Norden gelegen und gegen Aufgang der Sonne Osten schauend mit einer solchen Menge Wassers, dass alle Gebäude mit der Kirche niedergerissen und zerstört wurden, ja ein Teil des Bodens verschlungen ist und Menschen und Tiere verschwanden.“

Lütetsburg lag damals direkt hinter dem ältesten Deich – den man sogar heute noch erahnen kann, denn die alte Landstraße von Norden nach Hage liegt etwas höher als das Umland. Deiche zu Landstraßen, das hat doch was. Wie die erste Burg aussah, weiß man übrigens nicht – fehlendes Instagram, you know. Was man hingegen weiß, ist das ungefähre Zerstörungsdatum: Anfang Juni 1514. Da marodierten nämlich die Landsknechte der Schwarzen Garde in der Gegend, bezahlt von den Feinden Ostfrieslands während der Sächsischen Fehde. Das war, wie üblich, eine verworrene Geschichte von Macht haben wollen, ausgetragen natürlich auf dem Rücken der Bevölkerung. In einem schon etwas älteren Beitrag fand ich übrigens die bezaubernde Überschrift „Ostfriesen wollten keine Sachsen werden“…


Unico Manninga ließ Schloss Lütetsburg von 1557 bis 1576 neu aufbauen – die Vorburg mit ihren drei Flügeln stammt aus dieser Zeit. Viel hatte der Häuptling dann aber nicht mehr vom neuen Heim, er starb 1588 und mit ihm das ganze Häuptlingsgeschlecht. Seine Tochter (und Erbin) war mit dem Reichsfreiherrn Wilhelm zu Inn- und Knyphausen verheiratet. Lütetsburg kam so in den Besitz der späteren Grafen und Fürsten zu Inn- und Knyphausen. Und die (beziehungsweise den einen oder anderen Nachfahren) kennt man ja: Weinliebhaber schwärmen vom ein oder anderen Wein vom Draiser Hof: Baron von Knyphausen ist ein VDP-Weingut mit 12 ha Rebfläche in Erbach. Hauptsächlich Riesling, was sonst, aber auch so feine Sachen wie einen Gemischten Satz und einen roten Riesling. Und den anderen, den man kennt, ist der Musiker Gisbert zu Knyphausen. Kann man sich anhören

Schloss Lütetsburg 2007_4209Doch zurück nach Lütetsburg. Die wieder aufgebaute Burg wurde um 1680 umfangreich saniert, das Schloss alterte in barocker Schönheit bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag 1893 vor sich hin. An jenem Tag stürzte ein Weihnachtsbaum inklusiv brennender Kerzen (Echtwachs, nehme ich mal an) um. Daraus entwickelte sich ein enormer Brand, der das Schloss zerstörte. Das Schloss wurde im Renaissance-Stil wieder aufgebaut, aber nach nur knapp 50 Jahren zerstörten Kriegsbomben 1943 das Schloss in weiten Teilen.

Ein Großbrand im März 1956 zerstörte den noch bewohnbaren Teil von  Schloss Lütetsburg. Zu der Zeit wohnte ich noch in Norden und es gibt rudimentäre Erinnerungen an diesen Brand, auch an das Gerede der Leute. Die Kopie eines Artikel vom 24. März 1956 des Norder Kurier schildert das Drumherum (und ist en schönes Zeitbild, wie das so war früher® mit der Nachrichtenbeschaffung):

In pausenloser Folge strömten am Donnerstagnachmittag Hunderte und Tausende von Fußgängern, Radfahrern und Kraftfahrzeugen nach Lütetsburg, als sich mit Windeseile die Nachricht vom Brand des Schlosses verbreitet hatte, Bis in die späten Abendstunden hielt das Kommen und Gehen der Schaulustigen an, die das grausige Schauspiel mit eigenen Augen sehen wollten. Polizeibeamte waren aufgeboten, die dafür sorgten, daß es auf der Durchgangsstraße nicht zu Verkehrsstockungen kam und die Feuerwehrleute bei ihrer aufopferungsvollen Arbeit nicht behindert wurden. Um 22 Uhr raste noch immer der Feuersturm durch das Schloß, und wie eine Glocke hing der Widerschein des Feuers über dem Sitz des Fürstenhauses, weithin die Katastrophe verkündend. Selbst um Mitternacht hüllte die glosende Glut das Gebäude noch in ein gespenstisches Licht. Bis um 1 Uhr arbeiteten unablässig die Motorspritzen der Feuerwehren, und die Brandwachen lösten sich bis zum Anbruch des neuen Tages ab. Gestern Vormittag setzte der Strom von Menschen wieder ein, die den Platz des feurigen Schauspiels sehen wollten.

Luftaufnahme Schloss und Park Lütetsburg – Foto von Matthias Süßen, [Quelle], CC BY-SA 4.0
Schloss Lütetsburg wurde in den kommenden Jahren bis 1962 auf den Grundmauern der Anlage von 1517 wieder aufgebaut. Aus dem Turm der Vorburg kann man aufs Wasserschloss sehen – eine Besichtigung der bewohnten Burg ist nicht möglich. Dafür steht der etwa 30 ha große Schlosspark (der größte private Englische Landschaftsgarten Norddeutschlands) allen offen, die den sich lohnenden Eintritt von (2021) 2 € zu zahlen bereit und in der Lage sind.

Lütetsburg SchlossparkRund fünf Kilometer Wege führen durch den Park, den Edzard Moritz zu Innhausen und Knyphausen 1790–1813 durch den Oldenburger Hofgärtner Carl Ferdinand Bosse und dessen Sohn Julius Friedrich Wilhelm Bosse anlegen. Langweilig wird’s nicht, denn es gibt geschlängelte Wasserläufe, Brücken, Seen, rund 60 verschiedene Rhododendron-Sorten (darunter Azaleen, laubabwerfende und immergrüne sowie duftende und einige Wildarten). Natürlich stehen da auch jede Menge Bäume. Rotbuchen, Kastanien, Eichen oder Trauerweiden kennt man ja – hoffentlich –, aber nordamerikanische Hickorybäume, Atlas-Zedern aus Nordafrika, Mammutbäume aus China oder japanische Kaiser-Eichen laufen einem ja nicht täglich übern Weg, um einmal ein hübsch schräges Bild zu bemühen.

Lütetsburg Schlosspark 2021 Manninga Berg_5307Einen richtigen Berg gibt es auch. Also Berg unter besonderer Berücksichtigung ostfriesischer Verhältnisse. Wir erklommen ihn natürlich und fanden am Gipfelkreuz den Hinweis, dass wir den Manninga Berg erklommen hatten, der es auf stolze elf Meter über Null bringt. Der Berg, der manchmal auch Unico-Hügel genannt wird, ist natürlich künstlich angelegt. Die Arbeiter hatten den Erdaushub für die Gräben und Seen einfach zu einer der höchsten Erhebungen Ostfrieslands zusammengetragen und das Ergebnis nach Häuptling Unico Manninga benannt…

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