Guten Tag, liebe Freunde von Einhart Grotegut. Wundern Sie sich bitte nicht, wenn gleich die Musik aus der Dose losgeht. Das hat schon seinen Sinn, und ich sag Ihnen sogar welchen. Dann…
Jethro Tull: Warchild
[von hier an: Stimme aus dem Radio-Lautsprecher]
Das war Jethro Tull, und der Titel „Warchild“, Krieg des Kindes, steht nicht ganz ohne Grund am Anfang dieser Ausstellungseröffnung. Sie haben hoffentlich schon Gelegenheit gehabt, sich umzusehen und sicher festgestellt, dass wir heute das große Vergnügen haben, einen etwas anderen Grotegut kennenzulernen. Einen, der das, was er in den vergangenen Jahren gemacht hat, weiterentwickelt hat und der seiner Kunst eine neue Dimension gegeben hat: Grotegut spielt mit dem Feuer. Und zwar nicht im kleinen Maßstab – das hatten wir schon vor einem halben Jahr feststellen können, dassß er es mit seinem Flammenwerfer-Feuerzeug nicht länger nur der Pfeife gibt, sondern auch seinen Bildern.
Angekokelte Bilder, Löcher mittendrin, das war neu. Grotegut, der aus Vergänglichem Neues zu schaffen versteht, forciert seitdem aktiv den Alterungsprozess. Er hilft der Natur kontrolliert nach, beteiligt sich als Pyromane und Feuerwehrmann (eine auch in der Wirklichkeit außerhalb aller Kunst sehr beliebte Kombination), indem er seine Feuer totschlägt. Die Asche, aus der alles ward und zu der alles wird, findet prompt Verwendung, vermischt sich mit Farben und Erden, bricht auf, zieht Spuren. Das Feuer, so möchte man meinen, hat die künstlerische Arbeit der vergangenen Jahre von Einhart Grotegut auf den Punkt gebracht. Die Bilder, die seit dem Herbst vergangenen Jahres entstanden, schienen vielen so gesehen der vorläufige Höhepunkt der grotegutschen Arbeit. Doch weit gefehlt: Es sollte noch eine Steigerung geben.
Jethro Tull: Locomotive Breath
Wir normalsterblichen Arbeiter, Angestellte und Beamten kommen ja schon mal gerne in Kontakt mit so einem richtig lebenden Künstler, bewundern sein Oevre, freuen uns über die Art und Weise, wie eben nur Künstler das Leben zu genießen scheinen.
Pustekuchen. Künstler werden meist erst richtig reich, wenn sie tot sind, sehr zur Freude der Erben. Die meisten Künstler waren, sind und werden wohl immer sein: richtig arme Socken. Ausnahmen bestätigen da eher nur die Regel. Die meisten, zumal die nicht mehr ganz so jungen und mithin die mit Familie, führen ein Doppelleben und arbeiten, um sich ihre Kunst zu leisten. Man gönnt sich ja sonst nichts… Grotegut, die meisten wissen es, ist gelernter Architekt – freischaffend, aber natürlich nicht wirklich unabhängig: Er hat halt nicht einen Arbeitgeber, sondern mehrere, was die Sache im Geflecht der gesellschaftlichen Beziehungen nicht leichter macht. Erfreulicherweise für das Familienbudget ist Grotegut mit seiner museumsgestalterischen und bauarchäologischen Arbeit so gut ausgelastet, dass für die künstlerische Arbeit nicht immer die gewünschte Zeit frei bleibt. Das liegt natürlich auch daran, daß er sich zwar auf Gebührenordnungen beruft, aber eher etwas länger arbeitet, um eine Sache rund zu bekommen. Die Ästhetik und das Künstlerische legt man ja nicht ab wie ein Jackett bei 30 Grad im Schatten. Dennoch verzeichnen Beobachter bei Grotegut im vergangenen Jahr eine Periode enormer Schaffenskraft: Vor ziemlich genau einem Jahr eine Ausstellung in Kamenz, im Frühjahr eine auf der Burg in Stolpen, seit Ende April und noch fünf Tage eine in der Galerie des Kempinski Hotel Taschenbergpalais Dresden, nun diese: Und immer wieder sah man Neues. Wie macht er das bloß?
Auf diese Frage gibt es zwei Antworten.
Die eine:
Sie lässt sich mit dem politisch ursprünglich nicht vorbelasteten Begriff Freizeit umschreiben. Diese Zeit hat Grotegut immer dann, wenn nicht gerade ein Auftraggeber seine kreative Arbeitskraft verlangt. Dann hat er Muße, im Atelier Neues zu probieren und Bewährtes fortzuentwickeln. Was für Musen es neben der ihn bei all seinen Vorhaben unterstützenden Familie bedarf, damit´s ein echter Grotegut wird, sei hier verraten: Die Pfeife liegt immer in Reichweite, und meistens läuft Musik. Als ich einmal fragte, was denn so sein Favorit im Atelier sei, antwortete Grotegut: Jethro Tull. Deswegen machen die hier den Pausenclown.
Jethro Tull: Bourée
Die andere Antwort auf die Frage Wann und Wie ein Bild entsteht hängt zusammen mit der Gemütsverfassung eines Künstlers im Allgemeinen und Einhart Groteguts im Besonderen. Wenn der sich aufregt, dann tut er das erstens gründlich, zweitens langandauernd und drittens folgenreich. Denn aus lauter Ärger bahnt sich etwas seinen Weg. Andere hauen auf den Tisch, betrinken sich oder machen anderes dummes Zeug. Grotegut geht ins Atelier und hat gute Ideen. Parallel zu den Geschwüren und Herzbeklemmungen, die man sich über Politiker, Entscheidungsträger und andere Mitmenschen holt, kommen bei Grotegut hervorragende Kunstwerke heraus. Oft sind es sogar die besseren, weswegen man als Freund schon in der Zwickmühle steckt: Soll man sich noch mehr solche Entscheidungen wie die wünschen, die zu den Skulpturen führte, die wir hier heute sehen und dabei die Gesundheit des Künstlers riskieren? Oder wollen wir den rundum fitten Grotegut und geben uns mit dem zufrieden, was er bis dato geleistet hat?
Jethro Tull: Living in the past
In den vergangenen Monaten entstehen im wahrsten Sinne des Wortes elementare Bilder und Skulpturen: Zu den gewöhnlichen Werkstoffen Wasser und Luft und der schon eher ungewöhnlichen Erde als Groteguts Markenzeichen kommt das Feuer hinzu. Das Feuer, das sich durch die Menschheit zieht als Zwitter – mal heiß ersehnt, gewünscht wie nichts auf der Welt, dann aber verflucht, weil es eben nicht nur wärmt und unentbehrlicher Helfer ist, sondern auch gnadenlos zerstören kann. Flammen vereinen immer Anziehung und Abschreckung, sie bewegen uns, lassen uns nicht kalt. Wenn Sie die Wort-Assoziationskette auf der Einladung gelesen haben, ist Ihnen neben einem kleinen Tippfehler des Setzers sicher auch das Nebeneinander von Positivem und Negativem aufgefallen – und die Liste ließe sich noch ausgiebig verlängern.
Und das Feuer in der Kunst? Bei Grotegut griff das Feuer schnell um sich wie bei einem lodernden Flächenbrand. Vor Jahresfrist noch analysierte Joachim Menzhausen, dass Grotegut „die Wirkung des Feuers einsetzt, um den Ausdruck der Vergänglichkeit zu verstärken“.
Mit den Skulpturen ist er nun weitergegangen: Er verlässt nicht nur die bis dahin eindeutig bevorzugte Zweidimensionalität, sondern er nutzt das Feuer nun auch mehr zum Schaffen von wirklich Neuem. Aus alten Balken entstehen nur durch den Einsatz einer Art überdimensionalen Bunsenbrenners Figuren, die an afrikanische Mystik erinnern. Die hier gewählte Art der Präsentation mit raschelnden Folien und wie Flamme flackerndem Licht unterstützt den Eindruck. Lassen Sie sich also entführen – vielleicht sind Sie dann ja auch Feuer und Flamme.
Vielen Dank.
[Rede zur Ausstellungseröffnung 26. August 1998 im Dresdner Kulturrathaus: Einhart Grotegut – Feuer und Flamme]
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