Unterwegs im schönen Tal

Gomerisches Tagebuch (13)

Wolkenbedrohung mit Lichtblick_7505

Lange Zeit habe ich mich gefragt, warum wir den Rother Wanderführer wie eine Bibel mit uns rumschleppen, wo doch die Wanderwege auf La Gomera so wunderbar vorbildlich ausgeschildert sind? Die Antwort gab endlich die Tour 41 „Von Vallehermoso zum Marichal-Stausee“ – denn dort haben die Autoren endlich mal Pfade beschritten, die nicht vom offiziellen Wegenetz erfasst sind. Und während mich die Bemerkungen von Klaus und Annette Wolfsperger häufig zum Schmunzeln gebracht haben („aussichtsreiche Höhenbummelei“ verspricht z.B. Tour 31, allerdings gilt es 1000 Meter Höhenunterschied zu bewältigen…), beschreiben sie hier alles nahezu genau so wie es dann war. Naja, wenigsten fast.

TerrassenkulturDie Tour war von uns als leichter Sonntagsspaziergang gedacht, entpuppte sich dann aber doch als eine ganz ordentliche Wanderung an einem Sonntag, die alles in sich hatte, was uns so erfreut. Startpunkt ist ein Dorf unweit von Vallehermoso, das den schönen Namen Banda de las Rosas trägt. Es ist mit dem PKW zu erreichen, wobei der Fahrer / die Fahrerin gelegentlich gute Nerven haben muss auf der einspurig schmalen steilen Straße, um den Gegenverkehr an den passenden Stellen zu bewältigen. Durchaus aus Eigennutz und mit der angeborenen Höflichkeit lässt sich aber immer ein Begegnungs- bzw. Ausweichplätzchen finden. Schwieriger ist auf so einer Straße mit direkt daran geklatschten Häusern schon die Suche nach einem Parkplatz, aber auch den findet man im Dorf.

Die Wanderung geht mit einem offiziellen Weg (PR LG 8, wem’s hilft) los und endet eine Minute später mit einem inoffiziellen Köter, der das typische Wechselspiel von lautem Kläffen und begierigem Blick auf die Wanderwaden gibt. Immerhin erzeugt das Kläffen ein verhaltenes Echo, scheint also ein tolles Tal zu sein, was sich hinter dem Höllenhund eröffnet. El Perro hat auch ein Herrchen, das – oh Wunder – nach dreimalig vergeblichem Zurückpfeifen seines kleinen Lieblings sogar die Beobachterstation am Fenster des Hauses aufgibt und den potentiellen Wadenbeißer auf den Arm nimmt. ¡Hola! und ¡Gracias!, nun aber weiter (Honig hätte man dort auch kaufen können, wahrscheinlich sogar beim gleichen Mann, aber die Lust war mir auf den Hund gekommen).

LandschaftspornoVon da an geht’s bergauf: 300 Meter, sehr gemütlich. Vor allem: nur eine Menschenseele weit und breit, ein Gomero, der in einem Rucksack irgendetwas sammelt. Was es in Massen gibt, sind ah-und-oh-Blicke. Landschaftspornos, weiß Sylke, habe ein Fotograf das mal genannt. Nun gut, dann bin ich halt Porno-Fotograf. Mit Schäfchenwolken, Vordergrund und Bildaufbau.

Roque CanoDominierend, wenn man sich gerne mal umschaut oder nach links sieht, ist der Roque el Cano. Sein massiver Schlot leuchtet in der Sonne (wenn sie scheint und er nicht im Schatten der Wolken liegt). Es geht immer weiter hoch, dreihundert Meter sind zwar nicht viel, für einen Sonntagsspaziergang aber ausreichend. Außerdem nutzt ein Teil des Wegs das menschliche Hebelgesetz dergestalt, dass so eine Art Treppe es angeblich leichter machen soll. Nun ist es aber so, dass (Sie können wählen, ich nehme mal als Beispiel:) das linke Bein sich hebt, bis es etwas über Stufenhöhe angelangt ist. Bis 33 Grad ist das noch ok, aber diese hier machten ein rechtwinkliges Anheben des Oberschenkels nötig, bis der Fuß weiter unten korrekt in der Luft hängt. Ein leichtes Vorwärtsschlenkern des Schienenbeins samt dran hängendem Fuß sorgt dafür, dass der Fuß (Version links) Halt findet. Nun muss über einen komplizierten Mechanismus das linke Bein durchgedrückt werden, wobei das irgendwie daran hängende Gewicht (einige Kilo zuviel und als add-on noch der gefüllte Rucksack mit Regenklamotten, Futterpack und Foto-Utensilien) angehoben werden müssen. Das für kurze Zeit frei schlenkernde rechte Bein inklusive Schiene und Fuß hat jetzt die Wahl: entweder es stellt sich neben den linken Kumpel oder, in der Regel effizienter, es übernimmt die aktive Rolle und sucht selbst den Weg nach vorn. Vorne bedeutet aber auch: wieder hoch, das Spiel beginnt von neuem.

KammwegSicher hat schon mal jemand ausgerechnet, was die ideale Stufenhöhe zum Treppensteigen ist. Wer immer es war, wo immer er (oder sie) es veröffentlicht hat: die Natursteigplaner auf La Gomera haben das Traktat nicht gelesen. Will sagen: die Treppen auf PR LG 8 sind viel zu hoch, sie bedeuten richtig Arbeit. „Gut so!“ sagt die Hausärztin und referiert an dieser Stelle über die Zusammenhänge von Bluthochdruck, Ausdauer, Kondition, Gesundheit im Allgemeinen und im Besonderen. Aber natürlich ist sie nicht dabei und kommt quasi nur als Gedankenblitz mit auf die Insel. Und ohne ihre zweifelsohne richtigen Auslassungen muss ich nochmal sagen: der Weg ist teilweise arg ungemütlich.

Cruz de la CuestaNach einem Stück Kammweg ohne weitere Schwierigkeiten (will heißen: er ist breit genug – doch zu dem Thema an anderer Stelle und auch später mehr) erreicht man das ausgeschilderte Zwischenziel „Cruz de la Cuesta“. Das ist ein Baumholzkreuz und vor allem Punkt der Entscheidung: rechts weiter, um auf der (unbefahrenen) Piste via Los Loros zurück zum Parkplatz zu gelangen, oder links herum – einen gänzlich unausgeschilderten und nur von den Wolfspergers beschriebenen Weg entlang?

Natürlich links rum!

Marichal-StauseeAuch dieser Weg folgt zuerst der erwähnten Piste. Sie führt zum Marichal-Stausee, der klein und unscheinbar in der Landschaft liegt. Wenn man ihn erreicht hat, wird’s etwas abenteuerlich, denn es geht an einer Palme recht steil bergab und dann mehr durch als neben ein Bachbett weiter herunter. „Mitunter stark verwachsen“ steht im Wanderführer, was den Schmerz reichlich unzulänglich beschreibt, der einem da an einem heiligen Sonntagnachmittag hinzugefügt wird. Die Verwachser haben nämlich sehr gerne Dornen und sind extrem anhänglich. Sie ratschen über Arm und Hände, sie kletten sich an der Jacke fest und machen auch nicht halt vor unliebsamen Gegenden wie dem so genannten Schritt. Also eigentlich kratzen und kletten sie überall da, wo man’s nicht gerne hat. Belohnt wird derlei Mühsal – wie immer bei guten Wanderungen – durch geile Blicke. Und wenn man sich erst mal ans Pieksen und Bluten gewöhnt hat, ist es auch lustig, durchs Gehei zu strolchen, nur mit dem Kopf raus zu gucken und irgendwann den Punkt zu erreichen, an dem man das Bachbett verlässt, um wieder einer Art Weg zu folgen.

Die mit dem Gestrüpp tanzt_7483Langweilig wäre nun, einen ausgelatschten Spazierweg vor sich zu haben. Statt dessen erwartet man irgendetwas Schmales, wo es links oder rechts steil runtergeht. Vielleicht noch mit Abrutschgefahr nach vorherigem starken Regen? Gerne doch, bitte sehr, haben wir. Bei Wegen, die dem schwindelnden Wanderer zu keck erschienen, haben wir das bei der Wanderung von El Guro nach El Cercado erprobte Rezept des Händchenhaltens erneut erfolgreich angewandt. Ich trottete also hin und wieder wie ein geblendeter alter Gaul hinter der trittsicheren schwindelfreien Sylke hinterher.

Treppendorf DächerInsgesamt war’s sehr schön, wieder mit Sonne und El Cano. Urplötzlich sahen wir die andere Seite von Banda de las Rosas: Ein Treppendorf ist das, nur nicht so bekannt wie La Calera beispielsweise. Auch nicht so pittoresk, dafür aber urtümlicher und voll eigenem Reiz, wenn man die Mischung aus gewachsener Langeweile und träumerischer Romantik mag. Die wenigen Menschen, die einem hier begegnen, sind jedenfalls sehr freundlich, und manchmal wünschte ich mir schon, etwas mehr spanisch zu können…

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