Die Bosel ist ein imposanter Berg – man sieht ihn auf dem Weg nach Meißen aus dem Auto oder vom Schiff und möchte eigentlich immer mal gerne da oben rauf. Bei dem Wunsch bleibt es, meistens: Viele Dresdner(innen) kennen die Bosel – wenn auch nicht unbedingt mit Namen, aber doch wenigstens vom Ansehen her. Aber da oben nuff? Or nöö…
Früher war das anders. Da war die Boselspitze ein beliebtes Ziel für schwangere Jungfrauen. Das waren Frauen, die nicht verheiratet aber dennoch schwanger waren. In ihrer Not – und die war so ein Umstand vor hundert Jahren noch! – stürzten sie sich in den Tod: Gerne von der Boselspitze, weil es von da so schön gerade runterging. Wer ob solcher Geschichten den Kopf schüttelt, kann sich erstens daran erfreuen, dass es im Umgang miteinander mittlerweile etwas weniger befremdlich zugeht und sich zweitens darüber wundern, dass es auch heute noch offensichtlich genug Selbstmordkandidaten gibt, wenn auch aus unterschiedlichsten Gründen: Eine eigene Webseite widmet sich dem Thema, und wer die Seite sich im Quelltext ansieht, findet auch die Worte Boselspitze und Selbstmord…
Die Geschichten rund um diese optisch imposante Bergspitze sind also alles andere als einladend. Der Weg hinauf und ganz normal per pedes wieder herunter lohnt sich aber dennoch – weil dieser Abschnitt des Sächsischen Weinwanderwegs abwechslungsreich und schön ist. Obendrein werden weinaffine Wanderer belohnt: Gaststätten, Besenwirtschaften, Winzer liegen quasi am Wegesrand!Wir beginnen da, wo wir Teil eins der Wanderung beendeten: in Meißen. Direkt an der Elbe gibt es (am rechten Ufer – unweit des Bahnhofs) einen Parkplatz, der – dass es so etwas noch gibt! – sogar kostenlos zu benutzen ist. Wer mit der S-Bahn kommt: Diese Stelle ist drei bis vier Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt.
Von hier aus hat man über den Fluss eine wunderbare Sicht auf den Burgberg mit Dom und Albrechtsburg. Schiffe sieht man freilich eher selten – die Elbe ist nicht der Rhein, viel ist hier nicht los. Wobei diese Bemerkung wirklich nur fürs Wasser gilt: Der Weg, der uns ins Spaar-Gebirge führt, ist anfangs ein wenig unschön: Man teilt ihn sich mit den Radfahrern. Und die sind vor allem am Wochenende erstens in Massen und zweitens immer viel zu schnell unterwegs. In der Hackordnung stehen Fußgänger eindeutig weiter unten und müssen schon mal beherzt zur Seite huppen. Unter der Woche allerdings hat man weitgehend seine Ruhe. Nach einigen hundert Metern trennen sich eh die Wege: Weinwanderer ab in die Berge, Radler weiter die Elbe entlang!
Wir also in die Berge! Es gibt eine erste Anlaufstelle, das Bauernhäusl. Wir wurden mit einem beherzt-freundlich-abweisenden „Was haben Sie denn noch vor?“ begrüßt – und wenn der Mann nicht so nett geguckt hätte, hätten wir den Kaffee schon wieder vor dem ersten Schluck Wein aufgehabt. Aber unserer Bitte, um 14 Uhr doch nur ein Schlückchen Wein vom Fass haben zu wollen, kam er nach: Ein Müller Thurgau war’s, von der Winzergenossenschaft. Deren Weine leiden ein wenig (ein wenig?) darunter, dass unter den 1.800 Mitgliedern eben auch Hobbywinzer sind, die ihre Trauben dort abliefern – und ob da alles immer allerbeste Qualität ist, kann man gerne anzweifeln. Andererseits würde es ohne die Hobbywinzer, die zu Zeiten der DDR die Weinberge pflegten so gut sie eben konnten, in dieser Gegend vielleicht gar keinen Wein oder auf jeden Fall weniger davon geben. Unser Müller war spritzig, der Preis OK, der Mann dann doch nicht so raubeinig wie er klang. Alles wird gut!
Unterhalb des Bauernhäusls führt der Weinwanderweg am Kronenberg an Reben der Winzergenossenschaft vorbei. Vier fleißige Männer zogen gerade eine Trockenmauer hoch – das typische Landschaftsbild bleibt so erhalten, die wärmespeichernde Funktion der Steine kommt dem Wein zugute. Um die Ecke herum taucht dann – immer noch in der gleichen Weinbergslage Meißner Kapitelberg – der Untere Domprobstberg auf. Ein sehr gepflegter Weinberg. Oben tuckert ein Winzer mit seinem Minitrecker zwischen den Reben her und spritzt, ansonsten ist es ruhig hier.
Unten steht unter einem Holzdach die älteste und größte Holzpresse Sachsens: Gebaut zwischen 1750 und 1800, 1989 von Hobbywinzern vorm Wegwerfen gerettet, zehn Jahre später gundlegend saniert – heute eine Sehenswürdigkeit. An der Presse informiert ein Schild und nennt nette Zahlen: „1889 wurden unter anderem gekeltert zehneinhalb Eimer weißer Wein und vierundzwanzigeinhalb Eimer roter Wein (ein Eimer entsprach nach alter sächsischer Rechnung 67 Liter).“ Mehr als doppelt so viel Rotwein als Weißwein!
Weiter geht’s ein Stück durch schattigen und wohl riechenden Wald. Der Weg ist steinig wie man das von Römerstraßen kennt (also nur die Älteren werden sich erinnern…). Aber egal, denn das Ziel ist die Juchhöh. Hatte ein Aussichtspunkt je einen schöneren Namen? Wohl kaum. Und auch nur wenige Stellen geben schönere Blicke frei. Kein Wunder: Die Juchhöh ist mit 192 Metern über NormalNull der höchste Punkt des Spaargebirges – die Boselspitze liegt zehn Meter tiefer. Das Spaargebirge, durch das wir nun schon ein geraume Zeit wandern, ist das kleinste in Sachsen: drei Kilometer lang, 200 Meter breit. Niedlich!
Natürlich wächst hier auf dem Kapitelberg auch Wein – und nicht nur irgendeiner. Der Kapitelberg gilt als eine der besten Lagen in Sachsen. Es ist eine veritable Steillage, und wer hier Wein macht, ist ein glücklicher Mensch – denn der schmeckt! Von oben hat man einen schönen Blick über die Reben hinunter auf die Elbe – und mit ein wenig Glück tuckert sogar ein Dampfschiff dort lang: Romantik pur!
[Teil 2 dieser Wanderung | Alle sächsischen Weinwanderungen]
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