Durch den Golkwald nach Zadel

Weinwanderung von Seusslitz nach Meißen (3)

Elbe

Aus dem Brummochsenloch auf die Höhe des Weinwanderwegs hinauf ist es nicht wirklich anstrengend. Aber nach zwei vinophoben Pausen sind auch kleine Steigungen zu spüren. Selbst gewähltes Elend nennt man das – wobei die Pausen in Wirklichkeit gar kein Elend waren, im Gegenteil: Sie waren selbst gewählte Erheiterung!

Der Anstieg durch den Wald ist Balsam für die Nase: Es riecht gut, die Luft ist milde, die Demse (wer Teil zwei verpasst hat: schöne Bezeichnung für unschönes feucht-schwüles Klima) hat hier Eintrittsverbot. Nach kurzer Zeit jedoch öffnet sich der Wald und macht einem Weinfeld Platz. Und wo die Leute Wein anbauen, ist es gemütlich warm! Vor allem aber eröffnen sich tolle Blicke – hinterm großen halboffenen Tor stehen Rebstöcke mit roten und grünen Trauben. Ein Schild verrät: Die Familie Keydel baut hier Goldriesling (gibt’s nur noch in Sachsen, soviel ich weiß), Müller-Thurgau, Weiß- und Grauburgunder, Traminer, Riesling und Spätburgunder an. Aber vor allem der Blick über den Wein hat es in sich: Die Elbe beliebt hier einen großen Bogen zu machen und schlängelt sich also gemächlich durch die sanft hügelige Landschaft. Wir hatten Glück: Ein Dampfer tuckerte elbabwärts und bot dem Auge Halt im Glitzerwasser.

Im WeinbergEine überdachte Holzterasse mit zwei handvoll Leuten weiter unten erregte unsere Aufmerksamkeit. „Du willst doch nicht schon wieder…?“ hub Sylke an und war sichtlich erleichtert, als ich sächsisch klar und präzise „Nu!“ antwortete. „Nu“ kann Vieles heißen, aber es ist immer positiv besetzt. Also hieß es in diesem Fall: Na klar doch! Ich wandte mich also forschen Schritts der Terasse zu und merkte schon, wie besorgt die Leute da oben mich kommen sahen. Nervös, als ob ich ein Meuchelmörder sei, verfolgten sie mein Kommen – aber ich ließ mich nicht erschüttern, erklomm die zwei Stufen und grüßte freundlich: Ob das hier eine private Party sei oder ob zwei durstige Wanderer gegen Entrichtung eines entsprechenden Obulus vielleicht je ein Glas Wein…??? Der Herr, der bislang als einzig Stehender das Wort geführt hatte, rang ein wenig mit sich selbst. Nun ja, es sei – eher privat. Was auch hieß: Wir könnten nichts bekommen. Weder so noch gegen Geld. Aber fotografieren dürften wir, na klar doch, gerne. Ein wenig enttäuscht und doch in einigen Vorurteilen bestätigt zog ich, freundlich „Schade, dann nicht! Ahoj!“ sagend, von hinnen. In Italien, da bin ich mir sicher, wäre das so nicht passiert – da hätten wir jeder ein Glas bekommen. Wahrscheinlich sogar umsonst…

HerbstfeldNun war es ja nicht so, dass wir tatsächlich gerade den Status von Verdurstenden hatten, weswegen wir mit einem kräftigen „Aber egal!“ uns wieder der Archäologie widmeten, die uns auf einem Schild mit dem Burgberg von Löbsaal vertraut machte. Die Burg wurde im 18. Jahrhundert vor Christi gebaut – wir bewegen uns hier auf ausgetretenen Pfaden! Das Dorf Löbsal ist unspektakulär, liegt aber sehr zentral am Kreuzungspunkt etlicher (Wander-)Wege. Vorbildliche Ausschilderung kann auch verwirrend sein: Unser Ziel Zadel war zweimal ausgewiesen – und wir entschieden uns prompt für den falschen Weg: Wir hätten nicht nach „Golk / Neumühle / Zadel“ gehen sollen, sondern nur nach „Golk“. Weil wir’s nicht taten, liefen wir eine (nahezu unbefahrene) Straße entlang, statt auf gemütlicheren und kürzeren Pfaden direkt durch den Wald zu laufen, der hier Golk heißt. Der Golkwald – 180 ha groß und mit Sehenswürdigkeiten wie den „Heidengräbern“ und dem Nonnenstein ausgestattet, könnte also noch einmal ein separates Ziel sein, zumal der „Winzerhof“ auch auf der nicht gegangenen Wegstrecke liegt. Und dieser Winzerhof hängt mit dem L’ami Fritz zusammen… Also schaun mer mal…

Rosa GrützeAber jede Gehpanne hat auch was für sich. Wer weiß, ob wir ohne unseren kleinen Umweg am Friseursalon für Damen & Herren von Karla Grütze vorbeigekommen wären? In altrosa Schreibschrift steht diese Information auf beiger Hauswand. Einladend sieht das nicht aus, aber das ist ja nur ein äußerer Eindruck. Die Dörfler rundum werden es vielleicht sogar schön finden, einen Salon nahebei zu haben – und auch wenn der Name Karla Grütze zu allerlei Wortspielen verleitet, hat das nichts über die Qualität der Scherenkunst zu sagen.

Spieglein Spieglein...Noch ein Kilometer bis Zadel! Das Elbweindorf mit der ältesten urkundlich bezeugten Weinbautradition (Weinbau ist dort seit 1218 nachweisbar) ist eine der besten Adressen für Wein in Sachsen: das Weingut Schloss Proschwitz Prinz zur Lippe – mit dem Weinkeller, einem Restaurant, einem Verkaufsladen und einem Restaurant – findet man hier neben der Kirche. Der Prinz und sein Weingut haben dem Dorf hinter dem Hügel (denn das ist die Bedeutung des slawischen Wortes Zadel!) gut getan, es aus dem Dornröschenschlaf geweckt.

Zweifache DreierprobeIm Freiraum des Vierseithofs sitzen die Weinkennerinnen und Weinkenner. Wir gönnen uns die Dreierprobe mit einem 2008er Müller-Thurgau, einer trockenen Weissburgunder Spätlese, ebenfalls Jahrgang 2008, sowie einer 2007er Rotwein-Cuvee. Irgendjemand überrascht, dass das hier um Längen besser war als alles zuvor Getrunkene zusammen? Wir waren es nicht! Ein Mann am Saxophon sorgte als Alleinunterhalter dezent für Stimmung, das Niveau war dem Trinkgenuss angepasst. Allerdings wurden hier – wie wohl auch andernorts am Tag des offenen Weinguts – um 18 Uhr alle Aktivitäten außer der des Wegräumens eingestellt. Feiern stelle ich mir irgendwie immer anders vor.

Prinzliches TorDer Weg von Zadel nach und zur Karpfenschänke (ein Ortsteil mit gleichnamiger Gaststätte) und weiter nach Meißen führt über den Friedhof der Ortskirche von Zadel und dann durch Weinberge des Prinz zur Lippe. Man erkennt die natürlich an den schmiedeeisernen Toren, die das Lippesche Wappen mit der Rose tragen. Aber man merkt auch sonst, dass die Weinberge hier anders bewirtschaftet werden: Rosen wachsen hier – und sie sind mehr als eine Geste ans Familienwappen, sie sind (auch) aus ökologischen Gründen gepflanzt. Und man sieht abgeschnittene Trauben am Boden: Fleißig rückzuschneiden, um die Qualität des Weines zu verbessern – das machen nur die Großen. Das macht mehr Arbeit, das bringt weniger Wein. Aber dafür deutlich besseren.

[Zur Karte der hier besprochenen Besenwirtschaften in Dresden, Radebeul, Coswig und Meißen]

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