Manchmal wird’s gemischt. Und das ist schön. Lustig ging’s zu und irgendwie familiär. Das aber nicht etwa bei einer Familienfeier (bitte jetzt keine sarkastisch-bösen Anmerkungen!), sondern an langer Tafel mit rund 30 anderen Leuten, die man am Anfang des Abends gar nicht kennt. Und dann werden diese 30 von elf anderen bekocht, bedient und unterhalten. Was für ein Verhältnis – fast wie im Luxussegment der Gastronomie! Aber wir sind nicht in einem besternten Gourmettempel, sondern im Restaurant von Gräfe’s Wein & fein in Radebeul, in dem der wirkliche Luxus die Qualität der Waren ist. Eingeladen hatten, im Rahmen der Kochsternstunden, die Winzer der Gemischten Bude. Das sind (wir machen’s wie beim Film: in der Reihenfolge ihres Auftritts an diesem Abend) Matthias Gräfe– sowas wieder spiritus rector der Bude, nicht wirklich Winzer, aber dann doch auch mehr als Weinhändler. Wenn der Begriff nicht in jüngster Vergangenheit ein wenig von einem obskuren sich selbst so nennenden winemaker missbraucht worden wäre, könnte man ihn einen veritablen Weinmacher nennen. Dazu dann gleich mehr.
Die anderen Mitglieder der Gemischten Bude sind dann echte Winzer, haben wenig bis sehr wenig Rebflächen und machen sehr individuell ihre eigenen Weine. In der Gemischten Bude sind sie, weil sie bei aller Eigenständigkeit mehrere Dinge eint: sie wollen zusammen Spaß haben, sie wollen sich gegenseitig helfen – und gemeinsam die Qualität ihrer Weine optimieren. Zur Abteilung Spaß gehört, dass sich Stefan Bönsch, Lutz Gerhardt, Andreas Kretschko, Frédéric Fourré, Bernd Kastler (zusammen mit Enrico Friedland) sowie der schon erwähnte Matthias Gräfe gedacht haben: Eigentlich könnte doch jeder mal sein Lieblingsgericht mit einem der eigenen Weine pairen, wie man das neudeutsch so schön nennt – also den passenden Wein zum Essen aussuchen. Gute Idee! Ein Rahmen war dann auch schnell gefunden: die Kochsternstunden. Da macht Gräfes Wein & fein eh mit (Berichte der vergangenen Jahre) und hat einfach zwei Termine abgegeben an die Gemischte Bude (mittlerweile sind es drei geworden, weil die anderem beiden so schnell ausverkauft waren).
Sechs Weinaffine, sechs Weine – und sechs Gerichte: ergibt das ein Menü (bei der Gelegenheit: 69,00 € inkl. Getränke)? Na klar! Denn zwischen den winzereigenen Vorlieben und dem Abendessen in der Hauptstraße von Radebeul gibt es ja die Küche des Wein & fein. Dort werkeln Nicolle Kirsten und Birka Schabehorn und bringen die Essensideen der Winzer in Form. Handwerkliche Arbeit und Inspiration führen dann zum gewünschten Ergebnis: die Gäste am Tisch sagen so Sachen wie lecker oder auch toll oder, die Verwegenen, geil. Und dann die Antwort auf die Frage: welcher Wein passt denn nun dazu? Und zwar konkret, nicht so wie häufig auf belanglosen Rücketiketten zu lesen („zu Fisch und hellem Fleisch, aber auch zu Käse“). Nein, es war eine Zuordnung im kleinstmöglichen Bereich: dem Winzer schmeckt’s. Und was machen die Gäste? Sie genießen zum Abendbrot sächsische Weine, die skandalös gut schmecken.
Los ging’s mit dem Wein des Nichtwinzers Matthias Gräfe: Seit 2013 gibt es den Prinzenwein – immer eine Cuvée, die mit Weinen und im Keller von Schloss Proschwitz entsteht. „Weltweit sind Cuvées anerkannt, bei uns denken die Leute immer gleich an Panscherei!“ flappste Matthias Gräfe. Er mag aber diese Zusammenführung sich ergänzender Wein-Charakteristica – und weil er es mag, macht er es, in diesem Jahr zum vierten Mal. Die Kunst der gelungenen Vermählung im Prinzenwein scheint gelungen, aus Müller-Thurgauvon der Lage Seußlitzer Heinrichsburg, Scheurebe und Riesling wurde ein Wein mit enormem Trinkfluss. Tausend Flaschen vom Prinzenwein wurden für Gräfe’s Wein & fein gefüllt– wir tranken aus den Nummern 297, 298 und 299 (nein, nicht aus allen!). Und ließen uns mit einer Strudelvariation auf den Geschmack des Abends ein. Einer war mit Edamer, Tomaten, Olivenöl und Fenchel gefüllt, der andere lediglich Strudelteig, aber eine offene Schale mit Kaninchen und der dritte Strudel kam ganz ohne Teig aus: ein äußerst geschmacksintensives Tabouleh mit Quinoa, Couscous, Bulgur, Broccoli, Chili, Koriander, Minze, Dill und reichlich Körnern oben drauf und drum herum. Zwei (be-)merkenswerte Erkenntnisse gab’s dazu: die eine, dass man Kaninchen wirklich auch gut (weil saftig und mit Geschmack) hinkriegen kann. Die andere, dass so ein Tabouleh prinzipiell was sehr sehr Feines ist und dieses mit dem Prinzenwein die genialste Geschmacksverbindung einging. Außerdem gab’s die Zugabe-Erkenntnis: Ein Glas Prinzenwein reicht nicht, um diese Geschmacksvielfalt zu begleiten.
Stefan Bönsch wollte eigentlich immer schon mal Saure Eier zu seinem Riesling probieren. Denn er mag beides wie verrückt. Bönsch sagt, er sei der Winzer der Gemischten Bude mit dem größten Zuwachs an Rebfläche– wenn man die Statistik nur pointiert genug liest, hat er seine Fläche vervierfacht. Allerdings reden wir von nahezu homöophatischen Flächenmaßen, denn es ging bei 0,2 ha los und ist (nullzwo mal zwei…) bei 0,8 ha. Das große Ziel: irgendwann einmal eine eins vorm Komma. Mehr dann aber auch nicht, denn „klein und fein ist meine Devise“, sagt der Küfermeister, der zehn Jahre bei Wackerbarth im Keller gearbeitet hat und 2011 seinen Meister machte. Neben Riesling gilt seine Traubenliebe einem Wein, den es hierzulande noch nicht so arg doll gibt: dem Grünen Veltliner. „Ich hoffe, ihn hier platzieren zu können!“ – Und die sauren Eier? „Das ist das Gericht meiner Kindheit, gab’s immer bei der Lieblings-Oma!“ Damals ohne Riesling, aber der, so der Herr Bönsch, passe ja eigentlich immer. Seiner von der Radebeuler Lössnitz sei eher säurearm und würde „wunderbar“ zu den Eier schmecken. Wir probierten und vermochten nicht zu widersprechen.
Lutz Gerhardt vom Weingut Haus Steinbach hat rund ums Weingut 1,2 Fläche mit Reben. So eine geschlossene Anlage hat ja was – beim Weinbergpicknick der Gemischten Bude konnte man Romantik pur live erleben. Die meisten seiner Weine verkauft Lutz Gerhardt in seiner Weinwirtschaft und bei Events – meist und gerne im Zusammenspiel mit Flammkuchen. Zum Abendessen der Gemischten Bude steuerte er einen Weißburgunder bei, der zu Risotto mit Forelle serviert wurde. Weißburgunder ist die Hauptsorte im Haus Steinbach, dieser war ein 2015er – denn von frühen Abfüllungen hält Lutz Gerhardt nicht viel. „Ich bin ein Spätfüller!“ sagt er – vor Mai/Juni gehe da nichts. Gelernt hat Gerhardt den Weinbau übrigens nicht als Beruf (er kommt aus der IT-Branche), sondern vom Vater und, seitdem der sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat, vermehrt von den Kollegen der Gemischten Bude. „Das ist meine Schule!“, meinte er. Gute Schule, denn zum sehr cremigen (und farbenfrohen!) Risotto mit der saftigen Forelle ging der richtig gut – vielleicht sogar besser als pur getrunken!
Weil er woanders Weine vorstellen musste, war an diesem Abend Andreas Kretschko nicht dabei. Da konnten wir nur glauben, was seine Wegbegleiter (Stefan Bönsch: „Als wir uns kennen lernten, war ich der Lehrling und er der Praktikant bei Wackerbarth!“) und Buden-Mitstreiter (Matthias Gräfe: „Der Andreas ist nicht nur einer der bestaussehendsten Winzer, sondern auch ein Fleischtyp. Also gibt es heute Tatar!“) so erzählten. Während Bönsch seinerzeit bei Wackerbarth im Keller arbeitete, war Kretschko dort Außendienstleiter. Er weiß also, wie es ist, 90 ha zu bewirtschaften. Er weiß aber auch, wie das mit Flächen von insgesamt einem Hektar so geht (und, lieber Stefan B.: der HerrKretschko hat mit 0,1 ha angefangen. Da hat er doch auch ganz schön zugelegt, oder?), die in Meißen und Radebeul zu finden sind. Der Kretschko-Wein ist eigentlich ein Kretschko-Gräfe-Wein, denn die Cuvée „Offroad“ ist laut Etikett ein Kretschko & Gräfe Projekt. Was ist drin? Riesling (85[) und Solaris (der Rest). Oha, sagen da die Puristen: Solaris? Eine Neuzüchtung aus dem Jahr 1975, ein so genannter PiWi (pilzwiderstandsfähige Sorte). Und dann auch noch von eine vom Goldenen Wagen, eine der besten Lagen der Gegend! Warum nicht? sagen die Genießer und finden den Wein eher knackig-frisch-duftig. Kretschko, der seine Etiketten immer mit drei Assoziationen zum Wein schmückt, titelte zum Off Road: Mineralität. Knick & Knack. Freak Out. Das Kalbstatar kam ohne allem, was man so erwartet und passte von daher schon rein philosophisch zum Wein. Aber natürlich war das nicht nur gewürfeltes Kalbsfilet, sondern (unter anderem) auch Chili, Limette und Avocado. Schärfe. Caipi. Schmelz.
Nun aber Schluss mit den Kleinstwinzern. Auftritt Frédéric Fourré, der Franzose – nein: falsch. Der Pariser! – unter den sächsischen Winzern. Wenn wir von Größe sprechen, müssen wir differenzieren, und zwar exakt. „Zweikommafünf Hektar!“ sagt er, weil man ja drüber reden muss. Wow, 2,5. „Aber davon nur 500 m2 meine eigenen, der Rest ist dazu gepachtet!“ Ok, alles ist eben relativ. Die dritte Größenvariable gleicht Fourré ganz geschickt aus. Neben Matthias Gräfe macht es sich einfach besser, zur Ansprache an die Gäste auf einen Stuhl zu steigen, um halbwegs zu Geltung zu kommen (der Autor dieser Zeilen bevorzugt zur Begrüßung auch immer gerne Treppen-Situationen!). Frédéric Fourré macht im Elbtal durchaus eigenständige Weine, mit eigener Charakteristik. Sein „Tu les mérites“ ist ebenfalls eine Cuvée, vier Sorten sind drin. Weil du es dir verdient hast: zur Hälfte Grauburgunder, das Gerüst des Weins. Die andere Hälfte drittelt sich in etwa: weiß gekelterte Spätburgunder, Scheurebe, Riesling. So eine Melange braucht ihre Zeit, dieser Wein liegt seit einem Jahr in der Flasche – „ich würde mir mindestens sechs Flaschen kaufen und jedes Jahr eine probieren!“ empfiehlt Fourré. Unter uns: er würde sie sich nicht kaufen, sondern zurücklegen. Sind ja seine. Und jede Wette: es wären mehr als sechs Flaschen! Nachvollziehbar wäre das, zumal wenn der Winzer, Sommelier und Koch Frédéric Fourré zum Tu les mérites einmal Ente mit Chicorée kocht. Beim Gemischtbudenkochsternstundenabend erledigte Nicolle Kirsten diese Aufgabe – aber offensichtlich hart am Original, denn der Pariser Daumen reckte sich in die Höhe. Und das vollkommen zu Recht! Denn das muss ja so nebenbei einmal gesagt werden: die Frau Kirsten ist ja eigentlich Kulturwissenschaftlerin und nicht Köchin. Man wünschte sich mehr solche praxisnahen begabte Kulturwissenschaftlerinnen!
Vom Winzergespann kastler-friedland war Bernd Kastler vor Ort. Auch er hatte was Heimisches mitgebracht, und zwar doppelt. Einmal natürlich den Wein, einen 2015er Kerner Auslese vom Radebeuler Steinrücken. Der Kerner ist ja auch ein gerne verkannter Wein, oft leider auch so blöd gemacht, dass man es ihm gönnen möge, verkannt zu sein. Aber Kenner können Kerner, der 1929 aus (rotem) Trollinger und (weißem) Riesling durch den Rebzüchter August Herold gekreuzt wurde. Der Schwabe Kastler und der Sachse Friedland, die zusammen 2 ha Wein in Radebeul bewirtschaften und den Kerner am Radebeuler Steinrücken anbauen, erwiesen sich (nicht nur, aber auch) beim Kerner als Könner: Ein saftiger Wein mit fein ausbalanciertem Verhältnis von Restzucker und Säure – und ein sehr angenehmer Begleiter zum Ofenschlupfer, einer Süßspeise aus Schwaben mit altbackenem Weißbrot und Äpfeln und allerlei mehr, was das schmackhaft macht. Für Details fragen Sie Frau Nicolle.
Gräfe‘s Wein & fein
Hauptstraße 19 D
01445 Radebeul
Tel. +49 351 8365540
www.graefes-weinundfein.de
Das Kochsternstunden-Menü der Gemischten Bude fand/findet statt am 10. / 24. und 31. März 2017.
[Besucht am 10.März 2017 | Zu den Restaurantkritiken für Dresden und Umgebung]Hinweis:
Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden. Und mit den Mitgliedern der Gemischten Bude befreundet sind wir auch.
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