Restaurantführer sorgen ja gerne für Gesprächsstoff, und unter diesem Schlagwort waren die STIPvisiten seit 2011 ja auch meist ganz fleißig, die Ergebnisse der Anderen zusammen zu fassen. Im vergangenen Herbst haben wir uns, einer Eingebung unbekannter Art folgend, dem allgemeinen Trommeln verweigert. Wir wollten uns aufsparen, auf irgendwas Besonderes warten, worüber zu schreiben sich dann wirklich lohnen würde. Und siehe da, es hat sich gelohnt: Disy, laut Untertitel „Das Magazin der Dresdner Gesellschaft und Umgebung“, erschien jüngst und beschert uns laut Titel „Dresdens 75 beste Restaurants“.
Wir besorgen uns das Heft, dass laut Webseite „überall im Handel erhältlich“ ist, bei einem Freund, nachdem es weder im Bahnhof (wo es ja sonst alle wichtigen Publikationen gibt) noch in zwei Zeitschriftenläden zu haben war, und blätterten erstaunt durchs Heft. Im Editorial begrüßt uns Chefredakteurin Anja K. Fließbach mit selbstreflektorischem Eigenlob („Wir sind in erster Linie einmal uns selbst verpflichtet und unseren Werten. Und, da wir echte Journalisten sind, die das noch so richtig von der Pike auf gelernt haben, der Wahrheit.“
Wahrheit? Finde ich gut! Und erquicke mich auf den ersten zehn Seiten an nichtdresdner Prominenz (Lichter, Zacherl, Rach & Co). Anschließend folgen 75 erste Plätze. Genau so viel Kategorien hat die Disy-Redaktion erfunden, um nur Sieger zu präsentieren. Lustige Dinge sind dabei heraus gekommen, wie zum Beispiel die Rubrik „Echte Italiener“ (Ristorante Ausonia 1, 66 von 84 Punkten). Es gibt natürlich noch andere Italiener, sogar echte, in Dresden. Das Ausonia 2 zum Beispiel (77 von 84 Punkten. Huch?!), oder das Ristorante Il Grottino da Salvatore (64 von 84 Punkten und damit „Bester Italiener in Dresden“. Hä?!), Enotria da Miri („Bestes Ambiente“, 68 von 84 Punkten. Aha!). Die „beste Pasta Dresdens“ gibt es übrigens bei einem unechten Italiener, nämlich in der Villa Marie (69 von 84 Punkten).
Die besten „frischen Fischspezialitäten“ gibt es laut Disy leider nicht im besten Fischrestaurant (Kastenmeiers, 68 von 84 Punkten), sondern bei Farinelli, übrigens auch ein echter Italiener (72 von 84 Punkten, also sechs mehr als der allerbeste echte Italiener). Der Kastenmeier-Bericht hat die nette Überschrift „Unser 528. Testbesuch“, und beginnt mit dem Satz: „Nein, ein Restaurantkritiker darf nicht schwindeln.“ Es war nämlich nur der gefühlte 528. Besuch. Die der Wahrheit verpflichteten Journalisten, die ihren Job schließlich von der Pike auf gelernt zu haben vorgeben, beschließen den Bericht ebenfalls mit alternativen Fakten: „Gefühlt ist das Kastenmeiers nach den Dresdner Sternerestaurants das teuerste Lokal in Dresden. Aber recherchiert haben wir das noch nicht. Es fühlt sich nur so an.“
Zum Thema gefühlte Wahrheit gehört wahrscheinlich auch, dass die Disy-Redakteure bei der Frage nach einer Restaurantempfehlung („und das kommt oft vor“) das „schönste Restaurant in Dresden“ empfehlen, obwohl das Enchilada nur eine Empfehlungsrate von 5/6 hat und lediglich 74 von 84 möglichen Punkten erreicht. Neun andere Restaurants haben allerdings 6/6 Empfehlungspunkten, acht von denen auch mehr Gesamtpunkte (zwischen 76 und 82 – Zählirrtum vorbehalten). Lustige Ergebnisse wie die Verleihung eines ersten Preises für die „Beste Polenta“ in einem Tapas-Restaurant, das erstaunlicherweise hauptsächlich Tapas anbietet und wohl eher zufällig am Tag des Testerbesuchs auch mal Polenta auf der Tageskarte hatte, sollen sicher ein Scherz sein. Da musste ich lachen.
Nicht so lustig ist der Umgang mit Apostrophen. Die werden ja heutzutage gerne mal falsch gesetzt, aber wenn nun schon vor einem Plural-s so ein Deppenauslasszeichen gesetzt wird, spürt man beim Lesen die Profis von der Pike auf.
Leseprobe: „Es gab Sonntag’s Rodizio für nur 14,90 Euro. … Auf der umfangreichen Steakkarte stehen klassische Premiumcut’s wie Rinderfilet oder Entrecôte, aber auch neu entdeckte Cut’s, welche es sonst kaum in Dresden gibt. Diese gelten in den USA bereits als echte Geheimtipp’s und sind es nun auch bei uns.“ Für diese Leistung vergeben wir als Sonderpreis exklusiv den 1. Platz in der Rubrik „Katastrophale Apostrophe“.
PS: Warum auf dem Titelbild oben links „Partner der Landeshauptstadt Dresden“ steht, haben wir nicht recherchiert. Gefühlt empfinde ich es als eine Anmaßung und gegebenenfalls Irreführung der Leser.
PS2: Warum die Grafikerin bei gefühlt (!) der Hälfte der Texte die Lesbarkeit mit weißer Schrift auf unruhig hellem Holzbildhintergrund ins Schmerzliche vermindert, möge ihr Geheimnis bleiben.
PS3: Es gibt im Heft auch drei Restaurants aus der Kategorie „die Sie besser meiden sollten“. Die Lateiner hätten zu diesem auf dem Titel groß angekündigten Aufmerksamkeitserreger wohl gesagt: si tacuisses…
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