Wurgwitz. Mit u, nicht mit ü. Idyllisch gelegen zwischen Dresden und Freital (wozu es politisch gehört). Vor etwas mehr als 280 Mio. Jahren offenbar eher ungemütlich („Schwere Gewitter toben über das Land, Sturzbäche ergießen sich von den nahen Erhebungen des heutigen Erzgebirges und bringen auf ihrem Weg entwurzelte Bäume mit.“ – Quelle war nicht mehr existente Seite wurgwirtz.de). Und da wollt ihr hin? fragten wir vor einem Jahr die Sommelière Nadine Butter und den Küchenmeister Stephan Fröhlich, als sie von den Plänen eines Umzugs der Brasserie Ehrlich weg aus dem Dresdner Stadtteil raus aufs Land berichteten. Nun gut, das Wetter hat sich beruhigt, und auch sonst hat sich einiges getan. Frau Butter ist jetzt auch Fröhlich, weil verheiratet, und die Brasserie auf dem Land ist näher als man denkt. Es fehlt halt, für uns verwöhnte Städter, nur die Bushaltestelle für den gefahrlosen Heimtransport nach einem Genussabend mit Weinbegleitung.
Wir hatten es lange nicht geschafft, mal nach Wurgwitz zu fahren – und auch in den Kochsternstunden passten unsere freien Termine nicht mit denen der Brasserie überein – volles Haus fast immer! Also vereinbarten wir kurz nach dem Menüwettbewerb einen Termin und bekamen, weil wir es uns so gewünscht hatten, dennoch das Menü der Kochsternstunden. Dort kosteten drei Gänge 35 € (inkl. Weinbegleitung 50 €), vier Gänge 42 € (inkl. Weinbegleitung 61 €) und fünf Gänge 49 € / 72 €.
Die Brasserie liegt zentral in Wurgwitz, wer unter der Sommerlinde (1625 anlässlich des 100. Jahrestages des Augsburger Religionsfriedens gepflanzt!) bzw. gleich in ihrer Nähe parkt, ist quasi schon da. Unübersehbar steht am hellen ockergelben Haus, wo wir hin müssen – und da, wo wir nicht rein sollen, ist zwar eine Tür, aber nur für die Köche. Die bemerken uns also schon bevor wir sie sehen und können schon mal Gas geben oder, wenn sonst grad nix los ist, zur Begrüßung raus kommen und bei Erstbesuchern das Haus zeigen. Draußen (wo man ja erst mal ist) gibt’s einen Garten (30 Plätze): wann wird’s mal richtig Sommer? Auch draußen: die Terrasse mit zwölf Plätzen, aber die betreten wir von drinnen, denn sie grenzt an das Restaurant (20 Plätze). Das alles ist fein kuschelig und lässt sich mit dem kleinen Team offenbar bewältigen.
Wir waren ja schon im April da, da saß es sich im Restaurant deutlich kuscheliger als irgendwo draußen. Und da wir nach den Kochsternstunden dort waren, wussten wir ja schon: Wir sitzen im Restaurant mit – gemäß Votum der 3.657 Menü-Bewerter – der besten Servicekraft und dem zweitbesten Koch des Wettbewerbs – und dem allerbesten in der Kategorie Restaurants in Wurgwitz, wie die viel belächelten Kollegen sicher geschrieben hätten. Für seinen Gruß aus der Küche – einer Schweizer Kasschnitte mit Essiggemüse – hätte Stephan Fröhlich aber allen Ernstes den Sonderpreis „Amuse geules zu Hauptgerichten!“ verdient. Denn was da an Geschmacksbömbchen in der kleinen Schüssel zusammenkam, erfreute den Gaumen und machte deutlich Lust auf mehr. Dieses Lust auf mehr galt übrigens auch für den Jahrgangssekt aus dem Rheingau, den wir zur Begrüßung bekamen: ein Assmannshäuser Pinot Noir Sekt von der Sektmanufaktur VAUX aus dem Rheingau – ein kirschiges Experiment mit deutlichen Tanninen. Irgendwie anders als gewohnt, aber spannend und gut! Und er passte dann auch prima zur Vorspeise, statt eines erwarteten Süßweins: Lauwarmes Entenleber-Brioche, Knusperhaut, Portwein-Äpfel, Selleriesalat. Alles serviert auf einer Glasscheibe, die über einem Stammsegment zu schweben schien: Sah gut aus und störte den Genussvorgang nicht (da hatten wir andernorts schon andere Dinge durchmachen dürfen).
In Sachen verspielte Teller war’s das (aus meiner Sicht: erfreulichweise), aber es blieb abwechslungsreich beim Drumherum. Der Eye-Catcher beim nächsten Gang war ein kleines Tischfeuer, angezettelt von Nadine Fröhlich-Butter, am Lodern erhalten durch – einen Gin. Der Lyonel kommt aus Weimar, ist Bio und hat 50% vol. Alc., weswegen er hübsch brennt. Ungebrannt schmeckt der Lyonel natürlich nach Wacholder, hat aber auch was vom Kardamom – und gibt das natürlich ab an seine Brennunterlage. Die war, um den Gang einmal komplett zu nennen, Flambierter Königssee Saibling, Lyonel Gin, Kaviar-Orangen-Sud, Rüblicreme. Tolle Idee und klasse Geschmack, und zwar in allen Bestandteilen mit leichtem Vorteil bei uns – für die Rüblicreme. So viel Intensität (vielleicht auch wegen der herabgetröpfelten Gin-Geschmacksnoten) muss man einfach mögen! Was trinkt man zu so einem Gang? Ich wäre ja auf den Gin verfallen, aber den gab’s nicht. Statt dessen ein Glas aus der großen Flasche: Formidable, in Franken beim Weingut Bickel-Stumpf gemacht und ein trinkfreudiger leichter Hauswein, der Spaß macht und auch zum nächsten Gang serviert wurde.
Dieser Gang hieß Nussige Salbei-Ravioli, Zitronenöl, Babyspinat, Dresdner Berle und brachte mit der Dresdner Berle schon wieder was zum Gucken. Die Nadine kommt mit einem Trüffelhobel und Rubbel-die-Katz reibt sie Späne über Babyspinat und Ravioli. Dass es sich nicht um Trüffel handelt, sondern um die Dresdner Variante der Edelknolle, merkt man an der Menge. Aber: lieber viel und lecker als wenig und nichtssagend. Wir tauchen zuallererst einmal unsere Nasen in die Duftwolke über dem Teller, geben der Redewendung eine Nase ziehen eine bürgerliche Wendung und genießen dann peu à peu diesen Mix aus Frische, Würze und Erdigkeit. Der Wein dazu: formidable!
Prinzipiell könnte man an dieser Stelle des Menüs ja schon so ein kleines Sättigungsgefühl verspüren. Das muss der Koch geahnt haben: er schickte ein Basilikum-Limetten-Sorbet, das als kleiner Aufräumer funktionierte und obendrein den Gaumen kitzelte und für den Hauptgang bereit machte. Der musste es in sich haben, denn es gab vorweg das Angebot gleich zweier begleitender Getränke zur Wahl: einen Wein (Côtes du Rhône E. Guigal) oder ein Bier („Heile Welt Bräu“ India Pale Ale aus dem Erzgebirge). Wir wollten uns gerade aus lauter Neugier für das Pale Ale entscheiden, als Nadine Fröhlich-Butter aus dem oder ein und machte und wir beides probierten. Ja mei, was soll ich sagen? Wir hätten uns beim entweder-oder fürs Richtige entschieden, denn so ein frisches IPA ist nicht nur für den Kopf (Schwein? – Bier!) in Ordnung, sondern auch für den Gaumen. Denn hinter Zartes und Würziges vom Eichelschwein, Bratensaft, Ofenkraut, Kartoffel-Zwiebel-Stampf verbargen sich unter anderem die (Zitat Nadine F.-B.: „sensationellen“) Bratwürste vom „Johannes aus Ansbach“, die allein schon fabelhaft genug waren und geradezu nach Hopfen schrien. Soweit das Würste können, schreien. Was sie auf jeden Fall können: Verführerisch schmecken. Da lohnt der Weg von Ansbach (rein wursttechnisch) und von Altmockritz (rein gastmäßig) nach Wurgwitz. Die Würste waren zweifelsfrei der würzige Teil der Fleischabteilung im Hauptgang, das Zarte indes hatte auch deutlich Geschmack und war supersaftig. Der Stampf dazu gehört zu den besten der Region – und ausreichend (nach dem Servieren zugegossener) Bratensaft machte uns glücklich.
Apropos glücklich. Zu den anerkannten Seelenwärmern gehören die Desserts von Stephan Fröhlich. Sie sind süß-sahnig-knackig und verteilen sich auf unnachahmliche Weise in alle möglichen Löcher, die die anderen Gänge des Abends offenbar nur für diesen Zweck zurückgelassen haben. Die Karamelisierte Birnentarte, Lavendel-Honig-Eis, Bauernrahm, Meringuebrösel als Variante einer Tarte Tatin reiht sich ein in die schon am alten Brasserie-Ort probierten Desserts! Neu für uns der dazu gereichte Wein: eine 2015 Blume Riesling Spätlese vom Weingut Braunewell aus Rheinhessen, die ein feines Spiel zwischen salziger Mineralität und Süße zu einem würdigen Begleiter des Desserts machte.
Brasserie Ehrlich
Wiesenweg 1
01705 Freital OT Wurgwitz
Tel. +49 351 / 30934232
www.brasserie-ehrlich.de
Öffnungszeiten (bitte reservieren)
Do – Sa ab 17.30 Uhr
So und Feiertag 12 – 15 Uhr
Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.
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