Dreimal ist Friesenrecht

Ergötzliches Tractat über den Thee – mit Gebrauchsanweisung

Teezeremonie Juist

Drei Dinge auf dieser Welt
sind höchst beklagenswert:
das Verderben bester Jugend
durch falsche Erziehung,
das Schänden bester Bilder
durch unverständiges Gaffer
und die Verschwendung
besten Tees durch falsche Behandlung.
Li Chi—Lai
(12.Jhdt.)

Es gibt Kreaturen, die bereiten Tee zu, als ob sie von friesischer Trinkkultur noch nichts gehört hätten (vgl. den Beitrag eines gewissen Ali tann Vris, Aurich an anderer Stelle [„Tee-Ei beleidigt Ossi-Ehre„]).

Damit endlich der Tee die gleiche Ehre erfährt wie die gleichzeitig mit ihm in Ostfriesland eingeführte Kartoffel, schicke ich (geschätzter jährlicher Teeverbrauch: 400 Liter…) dem Rezept eine kulturhistorische Abhandlung voraus. [Eine eigene Mischung feinen Tees für zwei Personen lag der Erstpublikation bei: „wer nichts mehr hat, hat wenigstens Tee“ (Chinesisches Sprichwort).]

Bevor die Ostfriesen Tee tranken, gab es dort hauptsächlich Bier. Jenes hatte allerdings einen ähnlichen Nachteil wie Wein: es machte dun (das ist niederdeutsch und heißt hoch-vulgär ‚besoffen‘). Nun bemerkte schon Tschung-Mung vor mehr als 1414 Jahren sehr richtig: „Tee ist besser als Wein – denn er ruft keinen Rausch hervor!“ Und als die Ostfriesen davon Wind bekamen, reagierten sie prompt: Sie ließen vom Bier ab und tranken den sowieso billigeren Tee. Friedrich II. versuchte zwar, seine jetzt nüchternen und daher wahrscheinlich kritikfähigeren friesischen Untertanen wieder vom Tee abzubringen‚ aber selbst ein Brief an das „Administratoren-Kollegium“ (Ostfriesische Landschaft) überzeugte die trinkfreudigen Tee-isten nicht. Dass in dem Schreiben der Verbrauch von Tee als „übermäßig“ bezeichnet wird, mag übrigens seine Richtigkeit haben. Dass aber man „den schädlichen Folgen nicht tatenlos zusehen“ könne, zeigt überdeutlich, welch großer Ignorant Friedrich II. war.

Ihro Majestät Regentschaft ließ die Friesen übrigens ebenso cool wie eine Kontinentalsperre gut eine Generation später zu napoleonischen Zeiten: Schmuggler waren hochangesehene Persönlichkeiten – brachten sie doch Tee!

Während die Ostfriesen auf ihren Teegeschmack kamen, wuchs das Geschäft mit den trockenen Blättern. Mit wechselnden politischen Verhältnissen wurde den Teetrinkern eingeredet, was für einen Geschmack sie haben sollten: Bis 1900 wurde fast nur China-Tee getrunken, dann kam langsam auch Java-Tee auf den Markt. Zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg schmeckte Java- und Indien-Tee am besten, heutzutage reden viele Händler davon, dass „für das deutsche Wasser“ Assam- und Ceylon-Tees und bitteschön keine anderen in Frage kommen. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich in Sachen Tee erzkonservativ bis progressiv bin: Tees aus China, Java, Indien (und da speziell Assam) und Ceylon (heute richtiger: Sri Lanka) kommen getrennt und auch in Spezialmischung in die Kanne!

Damit sich der Leser, der so oft „geneigt“ genannt wird, auch einmal kräftig ärgert, ein Wort zu den Teepreisen um die Jahrhundertwende. Die ostfriesischen Krämer boten meist vier Sorten Tee an, die pro Viertel 45, 50, 55 oder 60 Pfennige kosteten. In der Regel bekam man für 65 Pfennig 1/4 Pfund Tee und 1/2 Pfund Kandis, wobei der Preisanteil des Kandis exakt 15 Pfennig betrug…

In alten Zeiten war die Teezubereitung ein Zeremoniell‚ dass sich auch in Redensarten widerspiegelt: Angefangen beim „Bliev man noch eben to’n Köppke Tee“ oder dem „Water sust all“ über die Feststellung, dass der Tee gut geraten sei („Tee as Ölje is dat, nich?!“) bis zur Redensart „Nu man erst ofwachten un Tee drinken“.

Für einen richtig leckeren Tee nimmt man frisches Wasser‚ wobei sich Regenwasser am besten eignet – aufgefangen wird es in „Regenbaken“. Im Teeketel wird das Wasser zum Kochen gebracht – kurz vorher übrigens darf man nicht vergessen, den Teepott heiß auszuspülen. Nun kommt Tee in die Kanne: Pro Tasse, so die goldene Regel, ein Löffel – und einer zusätzlich für die Kanne. Diese Faustregel habe ich für meine Teezubereitung etwas modifiziert: In die kleine Kanne mit 1/2 Liter Inhalt kommen drei Löffel Tee, in die große Kanne mit 1 Liter Inhalt gut fünf Löffel. Benötige ich zwei Liter, so kommen in die große Kanne genau neun Löffel Tee.

Mittlerweile dürfte das Wasser nun kochen: Es wird sprudelnd über den lose in der Kanne liegenden Tee gegossen. Wer Tee in einem Tee-Ei brühen will, macht sich strafbar und wird mit dem Friesenbann belastet. Hat der Tee gezogen – empfehlenswert sind bei Blatt-Tees fünf, bei Broken Tee etwa vier Minuten – so wird er umgegossen in eine ebenfalls vorgewärmte zweite Kanne. Für dieses Prinzip gelten meine Teemaße – wer’s anders machen will, braucht eigene Erfahrungswerte. Zu Uromas Zeiten war es sowieso anders: Da wurde der Tee angesetzt mit halb voller Kanne und nach drei bis fünf Minuten soviel Wasser dazugetan‚ wie man für’s erste Einschenken brauchte. Anschließend kam wieder Wasser auf den in der Kanne verbliebenen Tee – und das ging so etwa dreimal gut, danach schmeckte der Tee nicht mehr so recht.

Was nach der eigentlichen Teezubereitung kommt, hat sich so gut wie gar nicht verändert; zuerst ist es wichtig, dass man Kluntje (Kandiszucker) in die Tasse gibt, dann den Tee eingießt und zum Schluss die Sahne auf die Teeoberfläche gleiten lässt. Das hat optische, auditive und praktische Gründe: Die Sahne bildet eine Blume („wulkje“ genannt), der Kluntje knistert und knackt und: Man erreicht eine Geschmacksvielfalt, die man einer kleinen Teetasse so ohne weiteres gar nicht zugetraut hätte. Zuerst ist der Tee durch die kalte Sahne oben nicht mehr so heiß, dafür aber auch relativ bitter. Weiter unten wird er zwar wärmer, aber auch immer süßer…

Feste Teezeiten kennen die Ostfriesen nur bedingt. Man sagt zwar, dass morgens nach dem Aufstehen, dann so um elf Uhr („Elführtje“ – entspricht nur mit anderer Uhrzeit dem anglophilen five o’clock tea)‚ um 15 Uhr und zwischen 20 und 21 Uhr die festen Zeiten seien. Meine Zeiten sind da weitaus unkomplizierter: Zwischen Aufstehen und Schlafengehen eigentlich jederzeit.

Gegessen wurde übrigens früher nicht zum Tee – dafür war (und ist) er nämlich viel zu lecker! Zur letzten Tasse gab’s meistens was: wenn man bedenkt, dass der letzte Aufguss sowieso nicht mehr so stark war und bei weniger guten Hausfrauen eher wie Schüddelwater oder Offsupsel schmeckte, eigentlich eine zuvorkommende Idee…

Wenn jemand nicht gerade eine Teenös war und gern und viel Tee konsumierte, so war nach der dritten Tasse Schluss: „Dree is Ostfreesen Maneer!“ Ob man genug hatte, signalisierte man deutlich, indem die Tasse mit der Öffnung nach unten auf die Untertasse gestellt wurde. Heute stellt man den Teelöffel in die normal aufgerichtete Tasse, was auch den Vorteil hat, das die nicht ganz aufgelösten Kluntjes nicht alle herausfallen.

Während jetzt nebenan das Stichwort „Thee“ aus dem „Bilder-Conversations-Lexikon für das deutsche Volk“ (Leipzig 1841: F. A. Brockhaus) sicherlich dafür sorgt, dass in dieser Spalte kein Mensch mehr weiterliest, hier noch einige Informationen über Tee-Herkunftsländer‚ Haupterntezeiten, Teeverarbeitung und Teewirkung aus heutiger Sicht.

Mengenmäßig der meiste Tee kommt bei uns aus Indien (mit den Anbaugebieten Assam‚ Darjeeling‚ Nilgiri u.a.)‚ aus Ceylon/Sri Lanka (mit den Anbaugebieten Uva‚ Dimbula und Nuwara Eliya), aus Indonesien (Java und Sumatra) und erst dann aus China. Da die Chinesen sich selbst einen guten Tropfen Tee ab und an gönnen, bleibt natürlich für den Export nicht so viel übrig. Es ist jedoch keineswegs so, dass chinesische Tees schlechter schmecken als all die anderen – im Gegenteil: Wer einmal Keemun Tee „Chuen-Ch’a“ oder einen aromatischen Yünnan getrunken hat, der weiß das anregende Getränk aus dem Ursprungsland des Tees zu schätzen. (China-Tees sollte man allerdings, da sie so fein sind, allenfalls mit Kluntje‚ nie jedoch mit Sahne trinken!)

Obwohl Tee das ganze Jahr über getrunken wird, gibt es bei der Produktion witterungsbedingte Pausen in einigen Anbaugebieten. Im nördlichen Indien wird beispielsweise zwischen Januar und April nicht gepflückt – danach gibt’s allerdings im Mai/Juni den begehrten first flush, dem (eigentlich logisch!) der second flush folgt (Juni/Juli). Weniger feiner Regentee (eine Folge des Monsuns) von August bis Oktober ist nicht die wahre Teetrinkerfreude‚ die sich erst im November/Dezember wieder mit den äußerst aromatischen autumnals einstellt.

In Ceylon wird zwar ganzjährig geerntet, doch auch da treten wechselnde Qualitäten auf. Spitzentees gibt’s in Uva von Juli bis September, im Westen der Insel von Dezember bis März. Daran sind, natürlich, die beiden Monsunperioden schuld. Auch Java kennt Wetter‚ so dass der Tee hier ebenfalls Geschmacks- und Qualitätsvarianten bietet: Besonders gut soll er von Juli bis September sein, wobei allerdings zu bemerken ist, dass im Oktober/November und April bis Juni tolle tips (Blattspitzen) den Java–Tee krönen.

In China wird dreimal gepflückt. Die beste Pflückzeit nennt man auf gut Englisch first crop, sie liegt zwischen Mitte April und Mitte Mai. Danach geht’s weniger schmackhaft weiter mit der second crop (Mitte Mai bis Anfang Juni), darauf folgt in Südchina noch einen Monat lang ein third crop für „keine Feinschmecker“.

Nach der Ernte wird der Tee verarbeitet – ein Prozess mit vier Stationen: Beim Welken wird dem grünen Tee Feuchtigkeit entzogen, wodurch das Blatt weich und geschmeidig wird. Das muss es auch sein, denn im zweiten Gang soll der Tee sich rollen: So werden Zellen aufgebrochen, der Zellsaft kommt mit Sauerstoff in Verbindung, Tannin und ätherische Öle werden freigelegt. Das Treffen mit dem Sauerstoff wird fälschlicherweise „Fermentation“ genannt, obwohl da gar nichts gärt‚ sondern vielmehr oxidiert. Dabei verliert das Blatt seine grüne Farbe und wird rot – so rot, wie später in der Kanne das wieder feuchte Blatt aussieht! Zum Schluss wird der Tee getrocknet, aus dem kupferroten wird schwarzer Tee.

Damit ist der Tee zwar fertig, doch es gilt das Radio-Eriwan-Modell: Im Prinzip… Was fehlt, ist die Sortierung nach Blattgröße und Aussehen. Das sind Merkmale, die sich dem Endverbraucher in so schönen Abkürzungen wie FOP (Flowery Orange Pekoe) oder BOP (Broken Orange Pekoe) kundtun. Orange hat übrigens nichts mit Apfelsine zu tun, sondern soll vielmehr wortgeschichtlich mit dem niederländischen Königshaus der Oranier zusammenhängen.

Dass Tee nicht nur schmeckt, sondern auch wirkt, wusste man schon um 1700 (siehe links!). Heute weiß man nicht nur, dass Tee keine Kalorien hat, dafür aber Fluor für die Zähne und Vitamin B 1 für den Geist. Heute weiß man auch, dass Tee in den ersten zwei Minuten anregendes Tein abgibt und in den drauffolgenden drei Minuten beruhigendes Tannin. Eine bisher nicht bis ins letzte Detail erforschte Wirkung hat übrigens eine bislang hier noch nicht erwähnte Teesorte‚ die vor allem in windigen Gegenden gern getrunken wird: der Rumtee…

Aber über den müssen wir ein Andermal nachdenken!

(Aus:
Ulrich van Stipriaan’s
Compendium der nahrhafftesten Speisen & vorzüglichsten Genüsze
sowie Beschreybung derselben in Wort und Bild.
Selbstverlag. Münster 1979)

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