Zu viele Flaschen…

Große Weinauswahl

„Das neue Restaurant AnnA versteht sich als ein urban-legeres, aber trotzdem stilvolles und geschmackssicheres Restaurant. Eine sehr authentische, unkomplizierte Küche spielt mit frischen regionalen Thüringer Produkten.“ So steht’s auf der Webseite des Restaurants, das zum Hotel Elefant in Weimar gehört. Nach Umbauarbeiten, dem Fortgang des langjährigen Kochs Marcello Fabbri (und damit automatisch dem Verlust des Sterns, den das alte Anna Amalia seit 2003 als erstes Restaurant in Thüringen hatte) und der Wiedereröffnung des (wieder laut Webseite, wir hätten es sonst nicht bemerkt) „im Stil der 20er und 30er Jahre neu gestalteten“ Restaurant AnnA statteten wir dem Restaurant erwartungsfroh einen Besuch ab.

Es ist eingedecktNatürlich hatten wir reserviert. Allerdings war kein Tisch für uns reserviert: „Wählen Sie sich einfach einen aus!“ Bis auf einen waren die guten Plätze am Fenster vergeben – da hatten wir ja noch mal Glück. Wir nahmen das mal als einen Teil von urban-leger zur Kenntnis, notierten Brotkrümel unter unserem Tisch (was wir dann doch eher als ländlich-leger einstuften) und freuten uns auf das Essen. Die Karte weist sechs Vorspeisen auf, die hier Vorneweg heißen (12 – 18 €), gefolgt von fünf Hauptgängen, die hier Hauptsache heißen (28 – 36 €). Nach vier Desserts (im AnnA: Nachtisch, 9 – 14 €) gab es dann noch die kleine Rubrik JW Überraschungsmenü in drei oder vier Gängen (49/59 €). Ohne unsere Vorrecherchen hätten wir uns nun sicher gefragt, wofür JW steht? Für janz wild vielleicht? Aber wir hatten ja (nicht in der Speisekarte, sondern im Netz) gelesen, dass Johannes Wallner der neue Küchenchef des Restaurants AnnA ist…

Gern hätten wir ein Drei-Gang-Menü ohne Überraschung gegessen, aber: das gab’s nicht. Und die Überraschung ist auch so konzipiert, dass man wirklich erst beim Einsetzen erfährt, was da auf einen zukommt. Kann man ja machen – aber irgendwie empfanden wir das als zu bevormundend. Also bestellten wir einzeln, vorsichtshalber (weiß man denn, wie groß die Portionen sind?) erst einmal ohne Dessert. Und das war auch gut so, wie wir bald merken sollten.

Speisen und GetränkeWobei es ja ganz nett losging, mit gutem Brot, Butter, Crème, Öl und Salz. Wein hatten wir – aus der wirklich ganz grandiosen Weinkarte – auch schon bestellt, und zwar ein Glas (0,1 l für 6 €) 2017 Thüngersheimer Johannisberg, Scheurebe VDP.ERSTE LAGE trocken vom Weingut Bickel-Stumpf (Franken). Unsere Servicekraft brachte: eine 2017 Scheurebe trocken vom Weingut Bischel (Rheinhessen).

Mit einem die Landung ankündigenden „soooo…“ flogen unsere Vorspeisen ein: Tatar von der Sättelstädter Lachsforelle & Spargel (16 €). Ein hübsches Bild mit einem Lachsforellentatarhalbmond und einer Spargelstückenkugel. Wir erinnerten uns: Küchenchef Johannes Wallner war vor seinem Engagement in Weimar Chef im Sternerestaurant Clara in Erfurt. Da hüpft das Herz der Vorfreude doch hoch! Also führt man die erste Gabel mit dem Lachstatar mit verschlossenen Augen in den Mund – und erwacht aus dem Traum: das schmeckt ja nach nichts? Oder schlimmer noch: wässrig? Offenen Auges fanden wir dann, was wir auch geschmeckt hatten: Paprika. Klitzeklein geschnittenen roten und gelben, aber reichlich viel. Ob das die authentische, unkomplizierte Küche sein sollte, die man uns versprochen hatte? Uns war’s zu unkompliziert – und wir halfen mit Salz (half schon gut) und etwas von der Crème vom Brotteller nach (auch nicht schlecht). Allerdings kam ich mir dabei ein wenig so vor, wie beim Nachbessern eines Picasso mit dem Pinsel und der Farbe aus dem eigenen Tuschekasten…

„Wie hat’s geschmeckt?“, fragte unsere Servicekraft. „Oh, eher geschmacksneutral…“ antworteten wir höflich-zurückhaltend, worauf die Antwort „Danke!“ lautete, ergänzt um “ Ich werd’s der Küche ausrichten“. Eine Antwort aus der Küche kam freilich nie.

RauchmelderserviceAls unangekündigte Showeinlage erschien dann mitten im Service ein Herr im roten Hemd, der nun tatsächlich Erinnerungen an die 20er Jahre evozierte. So wie weiland die Laternenanzünder rumliefen, kam er mit langer Stange und fuchtelte zwischen den Tischen an der Decke herum. Vorbildlich kümmerte er sich um die Rauchmelder, die müssen schließlich auch hin und wieder gereinigt werden. Und es wäre doch schade, wenn die speisenden Gäste das nicht mitbekommen! Wir waren tief beeindruckt und applaudierten im Geiste rhythmisch vor uns hin.

Zum nächsten Gang bestellten wir ein Glas (0,1 l für 9 €) 2017 Golmsdorfer Gleisburg Chardonnay, Breitengrad 51, von Wolfram Proppe (Thüringen). Der Service kam dann mit einem Chardonnay vom Weingut Böhme & Töchter. Nur konsequent, dachten wir und fragten uns, wer hier eigentlich die Weinauswahl vornimmt. (Wir fragten uns auch, wie viele nicht so genau auf die Flasche schauen und dann hundertprozentig falschen Wein trinken…) Den richtigen Wein zu suchen und zu finden bedurfte es dann zwei Damen aus dem Service – aber sie wurden fündig. Vielleicht haben sie ja zu viele Flaschen in der AnnA?

Was der Weinservice kann, beherrschte der Speisenservice auch, wenn auch nicht ganz so perfekt: Auf der Karte stand (und so hatten wir’s bestellt) Landei 62 °C & Kalbsherz, Fenchel, Sonnenblumenkerne (18 €), das uns als Landei mit Zunge angekündigt wurde. Nun sah das auf dem Teller zwar aus wie Herz, aber unsere Nachfrage, ob es nicht auch Herz sein könne, hinterließ ein fragendes Gesicht und die Aussage „Da muss ich mal fragen…“ Dieses Mal gab es sogar eine Antwort: jaja, das sei in der Tat Herz.

SchnitzelAm Platz gegenüber gab es Kalbsschnitzel & Kutzlebener Spargel, kleine Kartoffeln, holländische Soße (36 €). Mit hoher Erwartungshaltung, weil wir auf dem Weg ins Restaurant auf dem Markt an einem Stand mit Spargel aus Kutzleben vorbei gekommen waren – herrlicher Spargel. Und dann kamen vier kleine, schlaffe, dunkelbraun gebratene Stänglein, die sich schamhaft unter dem Schnitzel versteckten. Nein, halt: der Spargel war ja schon tot, der konnte sich gar nicht selbst verstecken: der Koch hat ihn versteckt. Spargel unterm Schnitzel ist ja die klassische loose-loose-Situation: der Spargel gart nach und wird so schlaff, dass man ihn formen kann, die Panade des Schnitzels wird vom Sprgeldunst weich und verliert ihre Knusprigkeit.

Die holländische Soße trennte sich schon in der Kanne voneinander, also korrekt: Butter und Ei konnten oder wollten nicht miteinander. Auf dem Teller flockte die Sauce dann binnen kurzer Zeit komplett aus. Das war insofern kein Problem, als dass die Kartoffeln deutlich das Aroma vorgekochter, zur Seite gelegter und warm gemachter Kartoffeln verströmte. Neue frische Kartoffeln können ja eine Köstlichkeit sein. Könnten…

Beim Abräumen des nicht wirklich leer gegessenen Tellers fragte die Bedienung brav, ob es geschmeckt hätte. Sie fand es Okay, dass wir nein sagten, hörte sich die Begründung an und versprach’s der Küche zu sagen. Die äußerte sich dieses Mal wieder nicht, und wir fragten uns, ob an diesem Mittag überhaupt jemand in der Küche vom Restaurant AnnA war?

Beim Begleichen der Rechnung verkündete der Service stolz und wiederholte es auch mehrfach, dass man das Schnitzel von der Rechnung genommen habe.

Da waren wir wirklich dankbar.

Restaurant AnnA
im Hotel Elephant
Markt 19
99423 Weimar

Tel. +49 3643 802 639
www.hotelelephantweimar.de/restaurant

[Besucht am 9. Mai 2019]

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