Während sich in Thüringens Landeshauptstadt Herr K. von der kleinsten im Landtag vertretenen, einer ehemals liberalen, Partei mit den Stimmen der braunen Nazis zum Häuptling wählen ließ und dies mit standesgemäß breitem Grinsen goutierte, feierten in der sächsischen Landeshauptstadt rund 150 geladene Gäste ihren neuen Grünkohlkönig und beklatschten – bei all dem Jux, der so einer Veranstaltung inne wohnt, mehrfache und vor allem sehr deutliche Bekenntnisse zu Demokratie, gegen Fremdenhass und für Offenheit.
Ja klar: In einigen Gegenden der Republik wird das Gemüse auch als Braunkohl bezeichnet – die Dresdner legen aber Wert darauf, dass ein Grünkohlessen sie zusammen gebracht hat. So war es lange Jahre Tradition, und die vierjährige Pause hat vielleicht geholfen, es auch beim grün zu belassen – Dresden ist da ja nicht ganz unbelastet im politischen Farbspektrum. Grünkohlkönig – das hat ja was Royales. „Die Sehnsucht nach royalem Glanz ist sehr ausgeprägt bei uns“, konstatierte der OB – wobei angemerkt sei, dass ein Grünkohlkönig doch allemal besser ist als ein Brauni-Schlumpf. Aber, wie Dresdens OB Dirk Hilbert deutlich betonte, „zu unserer freiheitlichen, offenen und lernfähigen Demokratie gibt es keine Alternative! Den Traum königlicher Macht sollte man dem Karneval überlassen!“
Der Grünkohl sei letztendlich in Dresden auch ein Migrant, der willkommen aufgenommen worden sei, meinte der Oberbürgermeister – wohl wahr, denn es gibt ja in Sachsen immer noch Menschen, die nie Grünkohl gegessen haben und somit überrascht waren, dass das schmeckt. Und wie es schmeckte: die Küche des Hilton hatte sich dem Thema Grünkohl auf sehr kreative Weise gewidmet. Gleich drei Facetten konnten die Gäste in der Vorspeise kennenlernen: als Grünkohlsalat an Birne und Pumpernickelcrumble, als Grünkohl-Cranberry-Tarte und als Grünkohlsamtsuppe. Im Hauptgang wurde die rosa gebratene Entenbrust mit Grünkohlstrudel und geschwenktem Grünkohl serviert. Die Weine dazu kamen von Schloss Wackerbarth (2018 Grau- & Weißburgunder) und Schloss Proschwitz (2016 Rotwein-Cuvée „Friederike“) und passten – Punkt.
“Das Grünkohlessen nach vier Jahren Pause wieder ins Leben zu rufen, bedeutet für uns, eine alte, sehr beliebte Tradition wieder aufzugreifen“, erklärt der Generaldirektor des Hilton Dresden, Markus Rapatz. „Neben dem kulinarischen Genuss des unterschätzten Wintergemüses war es immer ein impulsbringender und facettenreicher Start ins neue Jahr. Hier treffen sich Persönlichkeiten aus so unterschiedlichen Bereichen, die alle eins gemeinsam haben: Dresden gleichermaßen als vielfältige Destination voranzutragen und weiter zu etablieren.“ Der Presseclubs Dresden e.V. schätzt die Tradition des Grünkohlessens als einen schönen Anlass für die Begegnung und den Austausch in der Stadt. „Die Kommunikation zu fördern ist ein wichtiges Anliegen des Presseclubs“, betont der Vorsitzende Andreas Weller. „Auch mit unseren regelmäßigen Clubabenden wollen wir Gelegenheiten schaffen für Gespräche und die Pflege der Diskussionskultur in Dresden. Das Grünkohlessen war schon immer ein perfekter Rahmen, um sich in entspannter Atmosphäre bei einem guten Essen über Themen auszutauschen, die unsere Stadt bewegen.
Seit 2007 wird während des Grünkohlessens der Titel eines Grünkohlkönigs bzw. einer -königin an eine herausragende Persönlichkeit verliehen. Diese wird für das bisherige Engagement für die Stadt Dresden ausgezeichnet und bekommt gleichzeitig symbolisch die Aufgabe, während ihrer Amtszeit die Stadt weiterhin voran zu bringen und über die Grenzen der Stadt hinaus zu wirken. Diese Majestät wird durch den Vorstand des Presseclubs und das Hilton Dresden ausgewählt. Seit 2016 war die Unternehmerin Viola Klein die Amtsinhaberin. Sie übergab das Zepter nun an den Intendanten der Jazztage Dresden, Kilian Forster. Kilian Forster hat die Jazztage Dresden vor 20 Jahren aus der Taufe gehoben. Sie gelten inzwischen als größtes Jazzfestival in Deutschland, das im Bereich Jazz und Crossover auch im internationalen Maßstab neue Akzente setzt.
Dass sowohl die bisherige Grünkohlkönigin Viola Klein als auch der neue Grünkohlkönig Kilian Forster sich nachdrücklich eher als Botschafter für ein offenes Dresden positionierten (und das nicht nur mit Worten, sondern bei beiden auch engagiert tatenvoll), machte die Veranstaltung zu einer sehr hoffnungsfrohen. Eben doch Grünkohl und nicht Braunkohl in Dresden!
PS:
Bei Bildern vom Grünkohlessen fällt ja auf, dass die Gäste sich Lätzchen umgehängt haben – zumindest die meisten. Ich nicht, denn warum? „Gibt es jetzt im Fine Dining Restaurant Rossini auch Lätzchen zum Essen?“ wollte ich vom stellvertretenden Direktor des Hilton wissen, was er erwartungsgemäß verneinte. Seine Begründung (auf Nachfrage) mag man ja gar nicht schreiben, aber sie ist doch zu schön: „Unsere Gäste haben doch alle richtig essen gelernt!“ Mag also beim nächsten Mal eine jede und ein jeder beim Grünkohlessen selbst entscheiden, ob er oder sie mit ein wenig Nachdenken nicht auch auf den Gedanken kommt, das Babyalter erfolgreich hinter sich gelassen zu haben und ohne Lätzchen essen zu können. Man kann ja schon im Kleinen anfangen, dem scheinbar unbedarften und immer nachdenkensfreien Mitläufertum entgegen zu treten…
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