Sandra Sauer, liest man eingangs des Örtchens Escherndorf auf einem Schild für Touristen, war 1999/2000 die Weinkönigin für Franken – eine von vier Winzerinnen aus dem 375-Seelen-Dorf seit 1950. Beim LagenCup 2020 wurde sie von der Jury aus Sommeliers, Weinhändlern und Weinjournalisten zur „Winzerin des Jahres“ erkoren – erstmals, denn vorher gab’s diese Kategorie noch gar nicht bei diesem Wettbewerb für die besten Lagen Deutschlands, sie musste wohl eigens für Sandra erfunden werden.
Sandra Sauer ist die Kellermeisterin im Weingut ihres Vaters Horst Sauer. Der kümmert sich in der Hauptsache um den Weinberg – aber wenn man beiden gegenübersteht und zusieht, wie der Eine der Tochter und die Andere dem Vater beim Reden zuhört und vor allem mit Mimik reagiert, merkt man: eigentlich scheinen sie das alles irgendwie gemeinsam zu machen. Der so oft zitierte Generationenwechsel vollzieht sich hier langsam (Sandra Sauer kam nach ihrem Studium 2005 in den Betrieb), aber offensichtlich doch nicht ohne Plan. „Veränderungen sind wichtig, dass die junge Generation sich entwickeln kann“, sagt Horst Sauer.
Wir waren – auf Einladung des Deutschen Weininstituts drei Tage als kleine Fachjournalisten-Truppe in Franken unterwegs. Um zum Weingut zu gelangen, mussten wir die Fähre nehmen (der Main schleift hier ziemlich rum und hat sich durch verschiedene Flussläufe eine Insel gegönnt, auf der wir zuvor waren). Sandra Sauer holte uns von der Fähre ab – was deswegen erwähnt werden muss, weil man an so einer Geste schon etwas vom Stil des Hauses erkennen kann. Höfichkeit gegenüber Gästen und Demut gegenüber der Natur, den Weinen – da könnte es Zusammenhänge geben.
Escherndorf ist ein überschaubares Dorf – mit „seit Jahrhunderten konstant 350 Einwohnern und jetzt noch neun selbstvermarktenden Betrieben“ (plus zwei Winzergenossenschafts-Verkaufsstellen), wie wir zur Begrüßung an der Fähre erfahren. Die meisten liegen fein aufgereiht an der Straße mit dem wunderbar passenden Namen Bocksbeutelstraße. Dem Stadtplan am Ortseingang entnehmen wir auch das Motto: „Escherndorf – wo der Lump die Sinne verzaubert“. Der Escherndorfer Lump ist, Weinkenner wissen das, eine der besten Lagen Frankens – vielleicht sogar die beste. Die Winzer des Dorfes wissen das zu nutzen und machen einfach mal wunderbare Weine.
Der Lump ist also, anders als der Name es vermuten lässt bei umgangssprachlicher Betrachtung, eher ein guter Freund. 33 ha ist er groß, und eigentlich hätten gerne alle Winzer (nicht nur die aus Eschernhausen…) gerne ihren Anteil daran, denn es ist nicht nur „eine Lage, die Kraft in die Weine gibt“, wie Sandra Sauer meint – sondern auch eine, in der es der Frost schwer hat (die Sonne wärmt, der Nebel schützt). Diese sonnenverwöhnte Lage bedeutet freilich auch, dass es im Sommer im Lump auch gleich mal zehn Grad wärmer sein kann.
Wir stehen mittlerweile zwischen Berg und Weingut, quasi mittendrin im Geschehen. Hinter uns eine der 194 Flure des Weinbergs – das Ergebnis der alles klein machenden Erbteilung. Der alte Silvaner-Stock hinter uns gehört zu den alten Reben, gepflanzt 1965 – und er sieht gut aus für ein eher herausforderndes Jahr wie 2021. Silvaner macht bei den Sauers mit 40 % den größten Anteil aus, dann folgen Müller Thurgau mit 20 % und Riesling 17% . Scheurebe, Bacchus und Weißburgunder gibt’s auch im Portfolio – Sandra Sauer nennt sie Spielereien. Spätburgunder und (für Franken nicht untypisch) Domina bilden mit 8 % den Rotweinanteil.
Das Weingut Horst Sauer bewirtschaftet im Lump 7,5 ha (von den insgesamt 20 ha, die mittlerweile zum Weingut gehören – die restlichen liegen im Fürstenberg, der den Lump umschließt). Die Hauptrebsorten auf diesem Prachtberg sind Silvaner – wie es sich für Franken gehört! – und Riesling – was in Franken nicht unbedingt so gut läuft. Hier aber schon, und das auch schon immer, wie man so schön unpräzise sagt. In fordernden Jahren wie 2018/19/20 macht der Riesling es den Winzern nicht leicht, sie waren (wie überall) zu trocken. Aber gegen die Wasserknappheit gibt’s Wasser aus dem Main und aus zwei Ortsbrunnen. Ansonsten hilft ein ausgetüfteltes Blattmamagement, die Lage in den Griff zu bekommen. „Silvaner und Riesling aus dem Lump: das ist gewachsene Struktur, das ist Tradition. Die ersetzt man nicht so schnell“, meint Sandra Sauer und möchte, ganz der Tradition verpflichtet, „lieber alles Mögliche im Weinberg tun, um diese Rebsorten so lange wie möglich zu erhalten“.
Das mit dem Klimawandel beschäftigt natürlich alle Winzer. Die Frage ist, wie sie damit umgehen. Horst Sauer, der im Weinberg auf uns gewartet hatte, überrascht mit seiner Aussage: „In unserer Region kommt uns das Klima entgegen. Früher haben wir die Qualität der Natur abringen müssen – jetzt hängt sie am Stock!“, sagt er und schiebt nach: „Wir sind total glücklich, dass es so ist wie es ist!“ Das klingt freilich leichter als der Winzer Sauer (plus Tochter plus Team) es sich machen, denn Horst Sauer ist schon jemand, der sich viele – nein: sehr viele – Gedanken macht beim Weinmachen. „Sich in den Wein zu denken, hat sich komplett geändert in den vergangenen 20 Jahren“, stellt er fest. Da hört meine seie Überzeugung raus, dass Wein zwar ein Naturprodukt ist, er sich aber einen Kopf machen muss – alle Jahre wieder. „Jeder Wein braucht einen Plan, denn ein großer Wein entsteht im Kopf!“, sagt er.
Zur geistigen Kopfarbeit kommt dann auch körperliche Arbeit, und die nicht zu knapp. Natürlich kennen Horst und Sandra Sauer ihre Weinberge aus dem ff („wir haben eine ganz hohe Sensibilität für Natur, für Wetter und das Wachstum Reben und Wein“, sagt Horst Sauer), aber hinter einer so banal klingenden Aussage wie „wir sind ganz nahe an unseren Reben“ steckt letztendlich auch die Erkenntnis, dass man, um den richtigen Zeitpunkt für die Ernte zu finden, im Ernstfall zehnmal durch die Berge rennt, um zu schauen. Zeile für Zeile – bei einer Zeilenlänge von bis zu 120 Meter. Und bei einer Steigung bis zu 60°. Aber nur der (oder die) Wissende kann Entscheidungen treffen, denn „das schlimmste ist, den richtigen Zeitpunkt zu verpassen!“ Die nächste Chance gibt es schließlich erst in einem Jahr.
Der Vorteil des zwei-Generationen-Betriebs ist die Mischung aus (reichhaltiger) Erfahrung und (behutsamer) Erneuerung. „Seit Sandra 2005 ins Weingut gekommen ist, geht die Post ab!“, sagt Horst Sauer. Die Tochter widerspricht da nicht. Allerdings scheint sie auch genau so versessen zu sein wie der Vater (wobei versessen nicht böse gemeint ist, sondern eher den unbedingten Einsatz um Präzision und Klarheit beim Wein meint). In den Weinen steckt eine Mischung aus schon fast philosophischem Denken und harter körperlicher Arbeit. 1977 hat Horst Sauer angefangen (mit 2,5 ha), und natürlich „hat es schon ein wenig gedauert, bis wir unseren Plan gefunden haben“. Heute profitiert er von der langen Zeit als Winzer, lebt auch mit der Erfahrung der Jahrgänge ist es: „man holt sich immer wieder die Jahrgänge aus den Gedanken“, sagt Horst Sauer, und „fragt sich: was habe ich im letzten Regenjahr gut gemacht, was habe ich weniger gut gemacht – und lernt aus diesen Fehlern und baut das Konzept für dieses Jahr.“ 2021 vergleicht er beispielsweise mit dem Jahr 2010 und merkt an, dass es wohl „herausfordernder als vorherige schwierige Jahrgänge“ werde.
Die Arbeit im Weinberg findet ihre logische Fortsetzung im Keller. Klar strukturierte Weine seien ihr Ziel, sagt Sandra Sauer, die im Keller das, was von den Weinbergen kommt, veredelt. Und weil im Weinberg viele kleine Flächen im Berg verteilt sind und so kleinteilig gelesen werde (manchmal werden die Trauben einer Zeile oben und unten hängen gelassen und die in der Mitte gelesen, weil es da nochmal wärmer ist), gibt es auch viele kleine Tanks im Keller. „Ich bin dankbar, dass Sandra es hier so macht, wie sie es macht“, sagt der Vater und betont, dass sie ihre eigenen Wege gehen müsse. „Sie hat schon die Stilistik der Weine geändert“, konstatiert er – aber er findet das gut, denn „Wein muss sich verändern, wir leben ja jetzt in einer anderen Zeit!“ Zeitlos hingegen scheinen die Grundpfeiler zu sein, nach denen man am Lumpen arbeitet. „Du musst als Winzer extrem selbstkritisch sein“, sagen sinngemäß Horst wie auch Sandra Sauer. Sich selbst und das eigene Tun immer wieder hinterfragen, drüber reden – und dann vor allem: machen. Die Botschaft ist: guten Stoff ins Glas bringen. Und den Wein genießen („Es gibt auch Weine, die wollen einfach nur getrunken werden“, sagt Horst Sauer).
Andere wollen zwar auch getrunken werden, aber nicht ganz zu unbekümmert wie die einfachen. Die Energie aus dem Muschelkalk, die in den Weinen steckt, geht auch nach Jahren der Lagerung und Reife nicht verloren. Das VDP-Weingut arbeitet seit 2012 nach den Vorgaben des Verbands und bildet die Qualitätspyramide preislich wie geschmacklich ab. Ein Ziel sei, die Rebsortentypizität heraus zu arbeiten, und das andere formuliert Sandra Sauer so: „Die VDP-Qualitätspyramide muss erschmeckbar sein!“ Bei der Weinprobe im Weingut (die man in der Folge 33 unseres Podcasts „Auf ein Glas“ ab kommenden Freitag nachhören kann) gab es daher neben aktuellen Weinen aus dem Jahrgang 2020 auch zwei gereifte – einen 2012 Escherndorf am Lumpen 1655 Riesling GG und einen 2007 Escherndorf am Lumpen 1655 Silvaner GG – beide Weine VDP Große Lage und aus der Schatzkammer. Kann man also nicht mehr kaufen, was bedeutet, aktuelle Weine kaufen und durchaus mal zehn oder mehr Jahre im Keller vergessen…
–> einen Podcast mit Sandra und Horst Sauer gibt’s auch!
Weingut Horst Sauer
Bocksbeutelstr. 14
97332 Escherndorf
Tel. +49 9381 – 4364
www.weingut-horst-sauer.de
Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).
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