Die 30-Euro-Frage zuerst: welches ist das größte Silvaner-Weingut der Welt? Richtig: das Juliusspital. Zusatzfrage: Ist das eine Überraschung? Natürlich nicht, denn wenn ein Weingut etwa 180 ha Rebfläche hat und das zweitgrößte Deutschlands überhaupt ist (nach Kloster Eberbach, 238 ha im Rheingau und an der Hessischen Bergstraße), dann ist die Wahrscheinlichkeit ja groß, in Franken den meisten Silvaner zu ernten. Eigentlich reicht es ja, das größte Silvanerweingut in Franken zu sein – dann ist man es auch gleich in Deutschland, Europa, der Welt und, wie es aussieht, auch im ganzen Universum.
Auf 72 ha wächst der Silvaner vom Juliusspital, die aber keineswegs zusammen liegen. Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper – der fränkische Trias – als Boden geben dem Silvaner (wie auch anderen Rebsorten) jeweils ihren eigenen Geschmack und Charakter. Wie schön, wenn ein Weingut den Main entlang immer mal wieder eine gute Lage bewirtschaftet! Die Belohnung für die richtige Antwort bei der 30-Euro-Frage könnte ja beispielsweise ein 2018 Silvaner Großes Gewächs vom Julius-Echter-Berg sein – Keuper als Terroir und ein Berg, der in Sachen Wein und Spital nach einem nicht ganz unbedeutenden Mann benannt ist: Julius Echter von Mespelbrunn. Freilich ist der 61. Bischof von Würzburg auch nicht unumstritten – das alles zu lesen, kostet mindestens soviel Zeit, wie es braucht, eine Kiste Doppelmagnum besten Silvaners zu genießen. Wer hier und da anfängt, ahnt, wie es weiter geht.
So, was wissen wir bislang? Juliusspital: Hat was mit Julius Echter zu tun. Und mit Silvaner. Aber wir starten ganz anders, denn was präsentiert uns Tanja Strätz, Vertriebsleiterin im VDP-Weingut Juliusspital, zur Begrüßung? Sekt! Juliusspital Rosé brut. Zartrosa mit feiner Perlage fließt er ins Glas. Gemacht ist er aus den beiden Pinot-Sorten Spätburgunder und Schwarzriesling. Zwei Jahre lag er auf der Hefe, was ihm schmeckbar gut bekommen ist. „Ziel ist, dass dieses Sektding einen besseren Stellenwert bekommt“, bringt Tanja Strätz die Anstrengungen in Berg und Keller locker auf den Punkt. Das klappt ja bei vielen deutschen Winzern mittlerweile ganz gut – was sie in traditioneller Methode herstellen, ist geschmacklich eher die Tendenz Champagner als Secco.
Zum Winzersekt gibt’s die ersten Informationen, harte Fakten: Das Juliusspital sei eigentlich ja gar kein Weingut, sondern eine Stiftung – mit Ewigkeitsauftrag. Die Stiftung soll sich um die Armen und Kranken kümmern. Das Weingut helfe, die Stiftung zu finanzieren – Motto: „jeder Schluck ist eine gute Tat!“.
Die Betriebsfläche des Weinguts beträgt 180 ha, davon werden über 140 ha in drei Weinbergsgruppen quer durch Franken bewirtschaftet. Das hat Vorteile (es hagelt nicht immer an der selben Stelle, es gibt nicht immer Starkregen überall zugleich). Aber: es zu bewirtschaften, sei nicht einfach. Bis zu 140 Mann sind bei der Lese unterwegs, die Kelter ist dann das Nadelöhr. Und der Keller befindet sich mitten in Würzburg! „Die Grenzen des Wachstums haben wir erreicht – es wird eng auf dem Gelände“, erfahren wir von Tanja Strätz. Einfach mal kürzer treten geht nicht: gestiftete Ländereien dürfen nicht verkauft werden, steht in der Stiftungsurkunde.
Der Weinkeller liegt komplett unter dem Juliusspital. Seit 1576 gibt es ihn, doch Raubritter sieht man da heute nicht mehr – dafür aber alte Holzfässer. Der Himmel von Würzburg befindet sich unter der Erde ist eine Erkenntnis, die sich einem beim Gang durch den Keller leicht erschließt. Doch vor dem Keller sehen wir die Stiftungsurkunde von 1576. Weil damals kaum jemand lesen konnte, mussten Bilder sprechen (ist heute ja nicht viel anders, oder?). Also gab es – als Portalrelief des Juliusspitals – die Steinerne Stiftungsurkunde, geschaffen von dem noch der mittelalterlichen Gotik nahestehenden Würzburger Meister Hans Rodlein. Heute hängt die Tafel im Mitteldurchgang des Fürstenbaus und hält noch ein für das Franken-Marketing wichtiges touristisches Highlight bereit: man sieht sowas wie einen Bocksbeutel. Das wäre dann der erste seiner Art, festgehalten im fast amtlichen Bild. (Warum die Leute beim Draufzeigen auch immer Drangrabbeln müssen, erschließt sich mir nicht – aber man findet den Bocksbeutel so einfacher, weil ja auch alter Stein unter den immerwährenden Fingerzeigen leidet.)
Im Keller mit den über 220 großen Fässern gibt es immer wieder solche mit Schnitzereien. Das hat Tradition, nicht nur in Franken. Irgendein Anlass findet sich immer, sich ein schönes Fass schnitzen zu lassen. Das Sonderfass 2000 mit dem Thema „Alter und Wein“ hat Harald Kastlunger aus Brixen in Südtirol geschnitzt, weil am 7. Februar 2000 der 1. Bauabschnitts der Sanierung des Senioren-, Pflege- und Pfründestifts fertig gestellt wurde. Das 3.960-Liter-Fass ist 2,30 m lang, 2,08 m hoch und 1,43 m breit, es wiegt ca. 1.200 kg. Hergestellt ist es aus bester Spessart-Eichenqualität mit feinster und gleichmäßigster Holzmaserung in der Fassfabrik Rieger, Bietigheim-Bissingen. Das alles ist kein generisches Wissen, sondern brav abgeschrieben vom Zettel, der neben dem Fass informiert.
So ein Keller soll natürlich nicht nur hübsch sein, sondern ist eigentlich ja zum Weinmachen da. Es gibt auch Stahltanks (die 70er/80er Jahre sind nirgendwo spurlos vorüber gegangen) – und die seien, sagt Tanja Strätz, ja auch in Verbindung mit Reinzuchthefen für die Gutsweine gar nicht mal so schlecht. Aber als VDP-Betrieb wolle man für den oberen Teil der Pyramide (Erste Lagen und Große Gewächse) Herkunft betonen. Natürliche Hefe und Sauerstoff helfen, dem Wein die Identität zu lassen. Die große Kunst draußen sei es, das Beste des Jahrgangs zu machen und im Weinberg auf beste Qualität zu achten. Die Kunst im Keller sei es, die Finger davon zu lassen. Das berühmte kontrollierte Nichtstun. Kühlplatten in den Holzfässern seien das einzige Zugeständnis, so dass man die spontane Gärung ein wenig über die Temperatur steuern könne.
Auf dem Weg zum Probierkeller geht’s leicht hoch, der Keller wird prompt wärmer – und wird folgerichtig als Rotweinkeller genutzt. – Die Probe beginnt dann mit einem Riesling: 2020 Würzburger Abtsleite, VDP.Erste Lage. Die Abtsleite sei „der verlängerte Arm vom Würzburger Stein, eine hitzige Lage, direkt am Main. Aber sie hat nicht die Hitze der Stadt. „Sie bringt Freundlichkeit ins Glas!“
Bei den Stichworten Freundlichkeit und Hitzigkeit könnte man doch vielleicht mal kurz über den Bocksbeutel reden, jene Flasche gewordener Ziegenhodensack, worauf man in Franken so stolz ist. Diese klassisch rundgelutschte Flaschenform, die sich den normalen Regalen so schön in die Quere legt, sei zwar einerseits identitätsstiftend für Franken, galt aber andererseits als angestaubt, so rein imagemäßig. Also fragte man einen Designer, ob er da was machen könne?
Nun gibt es zwar prinzipiell keine dumme Fragen, aber als Ausnahme kann man diese Frage schon einstufen und sie als ziemlich dumm bezeichnen: natürlich kann ein Designer immer was machen – sagt er zumindest, denn sonst hätte er ja seinen Beruf verfehlt. Ob das Ergebnis der Überlegungen dann erstens hübscher (liegt immer in den Augen der Betrachter) und zweitens auch im Alltag praktikabel ist (frag nicht!), steht auf einem anderen Blatt. Wie auch immer, es gibt seit 2015 den neuen Bocksbeutel, von dem die Weinwerbung sagt: „Der neue Bocksbeutel überzeugt mit seinem schlanken sowie modernen Design.“ Der Designer heimste Designpreise ein – und kassierte natürlich, es sei ihm gegönnt, großzügiges Honorar. Die Glasfabriken mussten neues Werkzeug bauen – und die Winzer zahlen in Folge von all dem mehr Geld.
Was ist an den neuen Bocksbeuteln schöner als an den alten? Keine Ahnung: passen immer noch nicht ins Normregal, sehen von weitem immer noch aus wie ein alter Ziegensack – und vor allem: was drin ist, ist doch entscheidend! Das sagen sich auch etliche Winzer und bleiben bei der alten Form, und nicht immer sind das die schlechtesten Winzer. Nie hat es mehr Spaß gemacht, die Spruchsammlung von altem Wein in neuen Flaschen oder neuem Wein in alten Flaschen bei einem Glas Silvaner zu diskutieren!
Zum Beispiel beim 2020 Würzburger Stein, VDP.Erste Lage. Silvaner ist natürlich die Leitrebsorte in Franken, eine Selbstverständlichkeit. „Wir machen Silvaner in allen Spielarten“, sagt Tanja Strätz – von leicht & easy bis Spitzenqualitäten vom Lieblingsweinberg, dem Würzburger Stein. Er ist die Flanke, die die Stadt begleitet – mit Steigungen bis zu 60%.
Der Würzburger Stein bringt es als größte zusammenhängende Einzellage Deutschlands auf 88 ha. Ist das schön, wenn man so viel Platz für guten Wein hat, wo doch schon unser aller JWGoethe notierte: „ich bin verdrießlich, wenn mir mein Lieblingsgetränk abgeht“. Nun ja. Eigentlich könnte alles vom Stein gemäß VDP-Richtlinie Großes Gewächs werden. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Für eine Qualitätsstufe darf nur eine Lage angemeldet werden, so will es der VDP. Also gibt’s mittlerweile ein Filetstück. Wo die steilsten Stücke sind, wo die beste Ausrichtung ist. Und siehe da – das ist eigentlich der Original-Stein, der jetzt als geschützte Ursprungsbezeichnung Steinberg heißt. Da kommen die Großen Gewächse her. Die GG haben eine Spontangärung in 500-l-Tonneaus hinter sich und sind natürlich noch verschlossen und viel viel viel zu jung. Da hilft Luft Luft Luft ein wenig – aber ansonsten ist so ein Großes Gewächs selbstredend eher ein Langstreckenläufer.
Aber man muss ja nicht immer nur die Spitze trinken, weiter unten in der Qualitätspyramide des VDP kann man durchaus auch fündig werden. Ortsweine sind im Juliusspital 10-Euro-Weine und damit „die heimlichen Preis-Leistungssieger“, wie Tanja Strätz es formulierte. Auch hier wird im Weinberg (Stichwort Ertragsreduzierung) und im Keller (Ausbau im Stahltank, längeres Hefelager als im Gutswein von der Basis der Pyramide) sorten- und lagentypisch gearbeitet. So bringt der Würzburger Muschelkalk mehr Gradlinigkeit und mehr Mineralik ins Glas, während Weine aus Iphofen (dickere, fettere Bodenauflagen) mehr Stoffigkeit versprechen und weicher, runder sind.
Weingut Juliusspital
Klinikstraße 1
97070 Würzburg
Tel. 0931 – 393 1400
www.juliusspital-weingut.de
Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).
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