Treffpunkt ist am Rödelseer Tor. Draußen vor dem Tor (Spoiler: das Foto oben ist nicht die Außenansicht!). Es ist das bekannteste und älteste von den drei noch erhaltenen Stadttoren in Iphofen. Da wissen wir noch nicht, ahnen es aber schon: das wird ein Stadtrundgang mit Geschichte. Mit Toren und Türmen. Fachwerk ist auch da, na klar. Könnte kitschig werden. Später, wenn wir Iphofen durch das Einersheimer Tor – das zweite der drei noch erhaltenen – verlassen, um das Weingut Emmerich zu besuchen, ist klar: das ist gar nicht kitschig, sondern gelebt. Zwar von außen wie früher®, aber in der Binnensicht dann doch ganz unaffektiert und von heute.
Eine der Heutigen ist Ruth Holfelder. Sie ist Gästeführerin, und zwar von der leider nicht so häufig vorkommenden Unterart der humorvoll-wissenden und sich nicht in den Vordergrund drängelnden. Also schlendern wir mit angenehm schlau machender Hintergrundberieselung durch die Stadt mit den tausend Fotomotiven – mehr als ein Stündchen Zeit hatten wir nicht, also liefen wir recht zielstrebig die Tor-zu-Tor-Tour. Ich tippe mal: auch bei zwei oder drei Stunden wäre es uns nicht langweilig geworden, und wenn es die eine oder andere Zwischenstation bei einem der über 20 ortsansässigen Winzer gegeben hätte, könnte da auch Tagesausflug drüber stehen.
Wir drohten nicht zu verdursten, weil wir erstens gerade aus dem Weinberg kamen und zweitens wussten, was uns hinterm Tor erwarten würde. Also volle Konzentration auf die Postkartenmotive! Das Rödelseer Tor bietet genug Details für einen Jahreskalender. Das volle Programm mit Fachwerk, schiefen Winkeln, hohlziegelbedachtem Turm, dem namengebenden Tor, einer pittoresken Holzsteige sowie einer Pechnase mit fürstbischöflichem Wappen (was für eine nachdenkenswerte Symbolik!).
Wenn man sich denn dann von diesem ältesten Tor der Befestigungsanlage (erbaut 1455 – 1466) einmal losgelöst hat, geht’s ja gleich nahtlos weiter mit der Stadtpfarrkirche St. Veit. 200 Jahre Bauzeit sind ein Zeichen dafür, dass sich die Iphöfer da ganz schön was vorgenommen hatten. Vorteil: man kann sich von der Spätgotik über die Renaissance zum frühen Barock fortbilden in der dreischiffigen Hallenkirche. Gleich nebenan Iphofens ältester erhaltener Sakralbau, die gotische Michaelskapelle mit dem einzig erhaltenen Beinhaus in Unterfranken.
Natürlich könnte die Vinothek, auch nur wenige Schritte von St. Veit entfernt, ein weiteres Schmuckstück Iphofens sein. Architektonisch ist sie es wohl auch – aber: geschlossen. Pächter gesucht. Und das schon sehr lange. Frag‘ nicht! Wir wären ja eh nicht reingegangen, weil: keine Zeit. Aber den Marktplatz mit Marienbrunnen und noch mehr Postkartenmotiven muss man auf jeden Fall ablichten. Fürs Knauf-Museum bleibt keine Zeit, auch wenn es uns nahe gelegt wurde. Für Einkehr bei Wirsching oder beim Ruck (beide VDP) auch nicht. Also bummeln die Augen an den Hauswänden vorbei und lernen: Der edlen Frankenreben Safft/gibt guthen Muet und newe Kraft. Und, noch wichtiger: Wein, Gips und Holz sind Ipohofens Stolz!
In Iphofen ist’s eng, vor den Toren der Stadt ist viel Platz. Beides hat was – in diesem Fall genossen wir es, im Weingut Emmerich draußen unterm Baum in den Sonnenuntergang hinein die Weite zu genießen. Bei der Durchsicht der Bilder musste ich an einen Text denken, den ich vorbereitend auf der Webseite des Weinguts gelesen hatte: „Wir leben, lachen und lieben, diskutieren und arbeiten hier im Herzen Frankens gemeinsam. Wir, das sind Irmgard und Werner Emmerich sowie Silvia mit ihrem Mann Milan und ihrem Bruder Martin. Während die „Jungen“ mehr und mehr Verantwortung im Betrieb übernehmen, stehen die Eltern mit Rat und Tat zur Seite. Dankbar sind wir für ein tolles Weinguts-Team und ein gutes Miteinander in unserer großen Familienbande.“
Auf dem ersten Foto und auf dem letzten unseres Besuchs sieht man Werner Emmerich – lachend. Und zwar nicht, weil da vor ihm einer mit der Kamera stand, sondern weil er so drauf war. Gelacht haben auch wir viel, gelacht hat seine Tochter Silvia, gelacht hat seine Frau Irmgard. Lachen, Sonnenuntergang und Wein: was für ein Trio! (Um ehrlich zu sein: es gab noch eine kleine Brotzeit, und eine Brennerei gehört auch zum Betrieb. Also eigentlich: Quintett, nicht Trio…)
Seit dem Jahr 2000 sind die Emmerichs im neuen Winzerhof, vorher lebten (und lachten und arbeiteten) fünf Generationen in der Altstadt von Iphofen. „Die Stadtmauer ist aber ein Korsett, das einzwängt!“ Also raus vor die Tore der Stadt, mit mehr Platz. Wie gesagt: der Blick in die Weite hat was, was eine Stadt in Mauern nicht bieten kann.
Werner Emmerich ist übrigens nicht nur Winzer, sondern auch Metzger. Dass man ohne Geschmacksverstärker, ohne Glutamat, ohne Phosphat und Stabilisatoren wunderbare Wurscht machen kann, hat er mitgenommen. „Das Tier wird ganzheitlich verwertet, als Bindematerial nehmen wir die Schwarte. Und gewürzt wird ebenso traditionell mit Pfeffer und Salz, Majoran, Muskat, Piment… Zum Scheurebe-Sekt gab’s selbst geräucherten Schinken: eine tolle Kombi! Und eigentlich viel schöner als ein Drei-Vier-Fünf-Gang-Menü…
9 ha bewirtschaftet er insgesamt, was für drei Familien schon ambitioniert ist – aber deswegen gibt’s im Weingut den Mix mit Hofladen, Gästezimmern, Bränden und ein wenig Wirtschaft. „Unsere Stärke ist die Individualität – wir wollen die Lagen rauskitzeln“, sagt Werner Emmerich. Der Julius-Echter-Berg soll nach Echterberg schmecken, der Kronsberg nach Kronsberg und die Kalb muss wieder anders sein. Der Julius-Echter-Berg bringe wahnsinnig mineralische Weine hervor (die aber auch Zeit brauchen), der Kronsberg sei hingegen der Schmeichler, der Elegante, der Feinfruchtige. Eine Idee hätte er auch schon für einen nächsten Besuch: einen Silvaner-Flight über die Lagen und Jahrgänge. Merke ich mir vor!
Vor 30 Jahren hat Emmerich einen alten Weinberg erworben, der bei der Flurbereinigung verschont wurde – und uralte wurzelechte Reben hat. Dort wächst alter fränkischer Satz. Die ersten Reben wurden um das Jahr 1900 gepflanzt, zweimal wurde der Weinberg erweitert (1935 und 1955) – so richtig jung sind da also gar keine Reben mehr. 0,16 ha ist er klein, aber gut bestückt: Gewürztraminer, Muskateller, Riesling, Elbling und Silvaner ergeben den alten fränkischen Satz. „Wir sind nicht der Betrieb, der Massen ernten muss“, sagt Emmerich und bezieht das nicht nur auf diesen kleinen Weinberg.
Zum Besitz der Emmerichs gehören Streuobstwiesen mit Äpfeln, Birnen, Zwetschgen, Mirabellen etc. „Was wir nicht essen können, wird gebrannt!“ Ein altes Brennrecht haben sie seit Generationen, eine neue alte Brennerei haben sie nach dem Umzug gekauft. „Die sieht aus wie eine Mondrakete!“, sagt Werner Emmerich und beschreibt sie damit ganz gut. Die Rakete und ihr Brennonaut machen Top-Brände. Sohn Martin, ursprünglich natürlich auch gelernter Winzer, hat schon mit dem Opa zusammen gebrannt, jetzt hat er eine Brenner-Ausbildung absolviert (und bestanden…), er weiß also genau, was er tut. „Wir sind hier gut qualifiziert!“ weiß Werner Emmerich. Tochter Silvia, weil’s hier gut passt, hat in Österreich Tourismus und Marketing studiert. Aber viel Qualifikation bedeutet ja auch: man muss was tun, damit der korrekte Lohn an alle gezahlt werden kann!
Hauptstandbein ist und bleibt aber der Wein, und da weiß Emmerich von „einem schönen Erfolg in diesem Jahr“ zu berichten. „Wir laufen immer ein wenig neben dem Mainstream“, sagt der Winzer – und traut sich konsequenterweise eben auch, für den fränkischen Wettbewerb „Best of Gold“ einen dreizehn Jahre alten Silvaner anzustellen. Und genau der errang den 1. Platz „Silvaner Premium“ – ein Julius Echterberg Silvaner aus der Schatzkammer. „Was mir gefallen hat: es ist nicht mehr die Welle, alles jung und frisch zu trinken – man lässt den Weinen Zeit zu reifen! Unsere Weine brauchen einfach Zeit zum Reifen. Es tut den Weinen gut, wenn sie lagern können!“
Matthias „Chez Matze“ Netzke, der mit in der Jury saß, schreibt in seinem Blog: „Natürlich hat man dem Wein die Reife aromatisch angemerkt, und natürlich sind das letztlich im Vergleich mit den vielen angestellten 2020er Weinen Äpfel und Birnen, die wir da in eine Rangfolge bringen sollten. Aber die Emmerich-Selection ist nicht nur ein sehr guter Wein, sondern auch ein Statement. Es ist ja immer noch so, dass die hochwertigsten deutschen Weißweine überwiegend im Jahr nach dem Marktstart getrunken werden. Dabei geht es auch anders. Oh lernet gereifte Weine wieder schätzen, werte Leserschaft!“
Stimmt. Und wo er kann, unterstützt der Winzer das auch: Der Jahrgang 2018 sei jetzt gut im Verkauf, der 19er komme gerade. „Das ist, was wir wollen, dass sich die Leute auch Gedanken machen und reifere Weine schätzen!“
Silvia Emmerich kann Fragen stellen! Riesling oder Scheurebe? Wieso denn oder? Wir trinken also zuerst: Riesling. Und lernen dabei viel. Beispielsweise über den Klimawandel, erzählt am Beispiel des Iphöfer Kronsberg. Das ist eine ziemlich große Lage (172 ha laut weinlagen-info), aber die alten Bezeichnung der engen geographischen Bezeichnungen bleiben in der Winzerkommunikation bestehen: man ist im Pfaffensteig, im Steinweg, Frontal, in der Kammer, etc. Der Riesling kommt aus dem Pfaffensteig. Da standen früher mal Bacchus und Müller-Thurgau. Werner Emmerich erinnert sich: „1984 haben wir am Pfaffensteig als einzige einen Kabinett geerntet – einen Bacchus. Alle anderen hatten nur einfachen Qualitätswein.“ Er sagt das aber nicht, um zu zeigen wie toll er damals schon war, sondern – weiter zuhören! – was dann klimatechnisch abging: 2000 gab’s Bacchus Beerenauslese oder Bacchus Auslese. Also haben sie im folgenden Jahr früher geernet. Da gab’s dann ’ne Spätlese. Um in den niedrigalkoholigen Kabinettbereich zu kommen, ernteten sie schließlich im August. „Und der Müller-Thurgau hat die gleichen Spirentien gemacht – wir haben Müller-Thurgau Auslesen geerntet – aber wer will das denn?“ Rhetorische Frage, kein Mensch. „Das war für uns das Zeichen, das der Klimawandel so weit fortgeschritten war, das für diese Lage das Klima zu heißt geworden ist!“ Also raus mit Bacchus und Müller-Thurgau! Riesling und Weißburgunder folgten: die richtige Entscheidung nennt Emmerich das.
Weingut Emmerich
97346 Iphofen
Einersheimer Str. 47
Tel. +49 9323 / 875 93-0
www.weingut-emmerich.de
Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des DWI (Deutsches Weininstitut).
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