2018 wurden wir ja noch gefahren, im Planwagen – was durchaus reizvoll war. Aber gemäß der Devise „Nur wo du zu Fuß warst bist du auch wirklich gewesen“ (Goethe, steht so im Dresdner Verkehrsmuseum an der Wand) wollten wir doch auch mal die Steillagen erlaufen. Natürlich mit Besuch der (jüngst erneut ausgezeichneten) Winzergenossenschaft Felsengartenkellerei Besigheim. Beim Leistungstest der Winzergenossenschaften des Fachmagazins Weinwirtschaft errang sie einen guten vierten Platz in dem Wettbewerb, an dem 54 Winzergenossenschaften aus Deutschland (sowie 44 aus Frankreich und 42 aus Italien) mitgemacht haben.
Wo wir schon Goethe zitiert haben, da sollte auch Schiller zu Wort kommen. Allerdings nicht der Goethe-Freund Friedrich, sondern der Hans-Georg. Der ist der Geschäftsführer der Besigheimer und hatte uns beim Besuch 2018 schon mit Sätzen wie „Vor dem Herbschten versöhnt man sich mit der Familie – man braucht sie als Erntehelfer!“ gefallen. Damals erzählte er von einer Rückleitung, die Trauben bei der Annahme zurück zur Begutachtung bringt, wenn der Winzer mit der Einstufung nicht zufrieden ist. 2018 sagte er uns: noch nie gebraucht! In diesem Jahr war seine Antwort: Einmal. Hat aber dem Winzer aber auch nicht geholfen, weil der Vorstand sich der Bewertung der Trauben durch die aufwändige Technik anschloss.
Die Genossenschaft hat 1.400 Mitglieder, davon sind 800 im Weinbau aktiv und bewirtschaften rund 750 ha. Das ist fast so viel wie das gesamte Anbaugebiet Saale-Unstrut umfasst (und ein Drittel mehr als die Sachsen haben). „Damit sind wir eine der großen Genossenschaften in Württemberg“, sagt der neue Vorstandsvorsitzende der Genossenschaft, Joachim Kölz. Er war der Wunschkandidat der Besigheimer Genossenschaft und ist in der Gegend kein Unbekannter: zwölf Jahre lang war Kölz Bürgermeister von Bietigheim-Bissingen, bevor er am 1. Feburar 2022 bei der Felsenkellerei anfing.
Von den 800 aktiven Wengertern sind nur wenige Vollerwerbswinzer, die Masse macht Wein im Nebenerwerb – „wobei die Grenzen fließend sind“, wie Joachim Kölz berichtet. Er schätzt (ohne exakte Zahlen im Kopf zu haben), dass „vier bis fünf der größten Winzer wohl ein Drittel der Fläche bewirtschaften“. Eine große Herausforderung sei, die Kulturlandschaft – vor allem die Steillagen – zu bewahren. Was dabei helfe, sei die Strategie der Felsengartenkellerei, die auf Qualität abhebt. Rund 50 ha seien für Premiumanbau vorgesehen. „Wir versuchen, einen möglichst großen Anteil des Weins im Premiumsegment einzusortieren.“ Für die Premiumlinien Fels und Faszination müssen sich die Winzer bewerben, und es gibt strenge Vorschriften (Ertrag, welche Blätter wann entfernen, etc.). „Die Winzer müssen viel leisten, erhalten aber deutlich höheren Betrag für die Trauben“ (Kölz).
Die Genossenschaft wiederum hilft mit modernster (und teurer) Technik. Was die möglich macht, kann man am Beispiel der Traubenannahme zeigen. Die Trauben werden sanft entbeert und auf den Lesetisch gelegt, bis zu 8 Tonnen pro Stunden schafft die Anlage. Zwei Kameras erledigen dann den Job und trennen gute von schlechten Beeren. Die eine Kamera macht’s im Infrarotbereich und misst auch in der Beere die Öchsle-Grade – und die andere Kamera schaut nur nach der Optik außen rum. Die Kameras (bzw. die bildverarbeitenden Programme) entscheiden, ob die Beeren ein gutes Töpfchen werden oder ins Kröpfchen kommen.
Ein Spazergang (clicken öffnet mehr)
Auch die kleine Wanderung durch die Felsengärten war eher ein Spaziergang – lang genug für gute Eindrücke von der Landschaft (und Eindrücke heißt ja bei Journalisten meist auch: Bildmaterial!). Wir laufen einen multiplen Wanderweg, wie die Schilder uns signalisieren: Trollinger-Wanderweg, Weinlehrpfad und Radrundweg der Felsengartenkellerei und noch drei andere. Schilder am Wegesrand sind ja eh die Enzyklopedie des langsamen Wanderers. Das nächste verrät uns: „Die körperreichen, trockenen Weine der Edition Fels bestechen durch ausgeprägte, vielfältigen Fruchtaromen und zartem Schmelz. Das ertragsreduzierte Lesegut stammt aus besten, mit überwiegend alten Reben bestockten Weinbergslagen.“ (Fehler jeglicher Art direkt vom Schild.) Es geht, wer hätte es gedacht, um Trollinger von einer Premium-Rebfläche.
Wir sind (noch’n Schild…) in einem Teil des Naturschutzgebiets Hessigheim und haben von der Felsengartenkellerei den Blick aufs Hörnle genossen, der hier ja vorbildlich ist: Wein an den Hängen und dann ein Felsen, der da einfach mal senkrecht empor ragt. Obendrauf komplettieren Bäume das Bild. Wie gut, dass uns nun das Schild verrät: „Zwischen Ingersheim und Besigheim durchbricht der Neckar den „Hessigheimer Satel“, wo er die Schichten des Oberen Muschelkalks durchschnitten hat und die Gips- und Salzlagen des Mittleren Muschelkalks auslaugt.“ Ich versuche ja immer, solche Sätze zu verstehen, um bei der Abschlussprüfung am Ende der Wanderung schlau dazustehen – aber übrig bleibt am Ende meist nur: nichts. Oder so’n Dummfug wie der Neckar als böser Auslauger…
Das Schild ist übrigens viel größer als für diesen einen zitierten Satz, man lernt auch einiges über Fauna und Flora. „In Baumhöhlen brütet der Wendehals“, lese ich, und sofort fällt mir ein Fernsehidol meiner Jugend ein: Bernhard Grzimek. Das spricht man „Dschimmek“ und sollte wissen, dass der damalige Leiter des Frankfurter Zoos durch seinen Film „Serengeti darf nicht sterben“ und seine Viertel-nach-Acht-Sendungen im Fernsehen (da gab’s nur das eine Programm) bekannt wurde. Seine Stimme und Intonation hat sich tief ins Bewusstsein eingeprägt, also lese ich mit seiner Stimme im Kopf stumm weiter: „…und der Steinschmätzer sitzt gerne auf den Schutthalden unterhalb der Felsen.“ Ob da auch das Wimper-Perlgras wächst oder gar der Scharfe Mauerpfeffer? Wie schön das doch wäre!
Natürlich freuen sich die Genossenschaftler (und die mit ihnen zusammen arbeitenden Touristiker) darüber, wahrgenommen zu werden. Aber manchmal wird’s dann doch zu viel: der Weg durchs Naturschutzgebiet musste quasi rationiert werden, er ist jetzt eine Einbahnstraße – damit die vielen Wanderer nicht weiter durch systematisches Ausweichen den Weg immer mehr verbreitern und auf Pflanzen und Tieren rumtrampeln. Wir liefen also brav auf den ausgewiesenen Pfaden und genossen die Landschaft mit Felstürmen, Blümchen und Aussicht auf den Fluss. Fast wie im Elbsandsteingebirge, nur in kleiner (aber dafür mit Wein in unmittelbarer Nachbarschaft – in Sachsen ist in dieser Hinsicht ja Trennkost angesagt: entweder Felsen oder Wein).
Sekt am Breitengrad 49 (clicken öffnet mehr)
Am Ende des Einbahnwanderpfads gelangt man auf den Wurmbergweg. Der hat Treckerbreite und führt direkt oberhalb der zum Neckar abfallenden Weinberge entlang. Früher® war das auch mal nur so ein Pfad (entnehme ich, natürlich, einem Schild am Wegesrand), aber mit den Treckern kamen die Begehrlichkeiten. Auf alten Fotos (die Tafel!) sieht man die Menschen bei der ursprünglichen Arbeit – ein stetes Steillagen-Auf-und-Ab nicht nur bei der Lese.
Der Wurmbergweg wurde Ende der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gebaut – ist also noch gar nicht so lange her. Aber von wegen „früher war alles besser“ – nix da: die 124 betroffenen Grundstücksbesitzer des geplanten vier Meter breiten und 1120 Meter langen Wegs mussten das Gelände kostenlos abgeben und durften obendrein sich noch an den Kosten beteiligen. Wenn das nicht Stoff für grandiose shitstorms ist! 1968 war der Weg dann fertig (im Sinne von fertig gestellt), Anfang diesen Jahrhunderts war er fertig (im Sinne von fix und…), so dass er 2008/2009 generalsaniert werden musste. Nun läuft und fährt es sich chic, und unser kleiner Spaziergangstrupp profitierte eindeutig von der Möglichkeit, dass Fahrzeuge hier lang dürfen: während wir oben durch die Felsen gelaufen waren, hatten sich unten über den Weg Damen von den Vertriebs- und Eventabteilungen mit einer zur rollenden Weinbar umgebauten Ape auf den Weg gemacht, den Laufmüden Erfrischungen zu reichen. Also Wasser sowieso, aber auch Sekt beispielsweise.
Eigentlich ist es ja in mehrfacher Hinsicht ein schwäbischer Champagner, aber sowas darf man als Inverkehrbringer (schönes Wort, gell?) um Himmels Willen nicht schreiben – Journalisten sind da freier. Warum ist er das? Neunundvierzig Grad heißt er, weil Besigheim auf dem 49. Breitengrad liegt. So wie auch Ay, die Partnerstadt von Besigheim. Die Gegend um Ay nennt man Champagne – das Haus Moët & Chandon hat dirt über 100 Hektar Rebfläche, und immerhin noch 21 Hektar gehören Bollinger! Der Neunundvierzig Grad der Felsenkellerei ist ein Jahrgangssekt (2017 hatten wir, ist derzeit auch im Verkauf) aus Grundweinen der Sorten Pinot Meunier, Pinot Noir und Chardonnay, die in traditioneller Flaschengärung versektet wurden – mit 18 Monaten auf der Feinhefe. Hätte man aus der Ape nicht vermutet, machte aber ungeheuer Spaß! Nicht furztrocken, belebende Säure, feine Perlage – zu einem echt schwäbischem Preis (in Ay zahlt man sicher das drei- bis fünffache. Plus die Fahrtkosten hin&zurück).
PS: Wenn man auf Google Maps schaut, wo das alles so ist, findet man den bemerkenswerten Hinweis, dass der Breitengrad 49 vorübergehend geschlossen sei. Unter uns: der ist immer da. Man muss ihn nur spüren…
Felsengartenkellerei Besigheim
Am Felsengarten 1
74394 Hessigheim
Tel. +40 7143 / 8160-0
www.felsengartenkellerei.de
Öffnungszeiten des Weinverkaufs in Hessigheim:
Mo–Fr 8.30 – 18 Uhr,
Sa 9.00 – 16 Uhr,
So 12– 17 Uhr (Ende März bis Sonntag vor Heiligabend)
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