Ganz großes Kino

Vegetarisches fine dining: Nicht Fisch Nicht Fleisch eröffnet im Dresdner Süden

Gastraum

Die Idee ist naheliegend, aber dennoch nicht ganz ohne: ein Casual Fine Dining Restaurant, in dem es nur vegetarisches Essen gibt – und das auch nur mit der Möglichkeit eines Menüs (in vier, fünf oder sechs Gängen). Ob das in Dresden klappt? Den Versuch starten Robert Müller und Anja Sperling (kennen vielleicht einige Dresdner*innen vom Café Milchmädchen) jetzt etwas außerhalb der Szenerestaurant-Viertel – aber nahe zur TU Dresden – in einem Gewölberestaurant im Dresdner Süden. „Nicht Fisch Nicht Fleisch“ heißt das Restaurant, was zwar etwas sperrig über die Lippen kommt, aber eben das Programm ganz gut beschreibt.

Offiziell geöffnet hat das nfnf ab dem 4. Oktober, am 2. gab es eine interne Eröffnung. Zu der waren wir eingeladen (mussten also nicht zahlen, was aus Transparenzgründen unbedingt erwähnt werden muss). Für eine seriöse Restaurantkritik sind derlei Abende ja keine gute Grundlage, denn erstens ist man ja injeladen, zweitens wissen Küche und Kellner exakt, was auf sie zukommt – und drittens muss sich andererseits ja noch alles einspielen. Aber für erste Eindrücke und Überlegungen reicht’s ja – und ich gebe gerne zu: um das Konzept und das Restaurant überhaupt bekannt zu machen, muss man ja drüber reden.

EingangsbereichDer Begriff Gewölbekeller impliziert ja: es geht treppab. Korrekt. Aber bevor wir runtergehen, riskieren wir einen Blick auf die Terrasse neben dem Haus: die ist groß und wird im kommenden Jahr bei entsprechendem Wetter bis zu 42 Gästen Platz bieten. Genau so viele passen unten rein, also los: auf jeder zweiten Stufe der Treppe steht eine Laterne – das macht schon mal einen guten Eindruck. Kommt man rein, steht man vor einer Bar. Dahinter als Barchefin: Katharina Robitzki, die in diesem Jahr deutsche Gewinnerin der Bartenders & Baristas Challenge der spanischen Kultmarke Licor 43 war und Mitte Oktober zum internationalen Finale nach Madrid reist.

Barchefin Katharina RobitzkiEntsprechend groß ist das Angebot von Drinks, die sich nahtlos ins Menü einfügen – und zwar mit oder ohne Alkohol gemixt, was besonders bei der alkoholfreien Essensbegleitung für geschmackliche Abwechslung sorgt (es gibt auch zwei alkoholfreie Weine von namhaften Winzern/Herstellern – aber bei alkoholfreiem Wein fremdel ich ja auch nach ausgiebigem Probieren immer noch, weil die Geschmackserlebnisse nicht mit meinen Vorstellen von Wein zusammen passen…). In einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung wurde Katharina Robitzki jüngst mit diesem schönen Satz zitiert: „Barfrau ist der kreativste Beruf in der Gastronomie neben Köchin. Sommelier ist spannend, aber der Wein ist fertig. Man kann ihn nur noch lüften lassen oder nicht.“

Von der Bar aus kann man den Weg wählen: es gibt einen kleinen Raum zur Rechten und einen großen (mit gaaanz kleinem zusätzlichen Separée) zur Linken. Wir saßen links und waren’s zufrieden. Die Ausstattung ist – pardon für das Allerweltswort, aber das war das erste, was nicht nur mir spontan einfiel: – geschmackvoll. Weiße Ziegel machen den Raum hell, auf den Tischen stehen Kerzen und liegen Tischsets aus Kork – Robert und Anja waren ein Jahr lang an der Algarve, das prägt und wird sich auch im Geschirr widerspiegeln. Licht kommt sowohl indirekt als auch direkt von chicen Lampen (ein besonders tolles Lampenkunstobjekt entdeckt man auf dem Weg zur Toilette!).

Nun aber zum Essen! Das gibt’s im Regelbetrieb abends als monatlich wechselndes Degustationsmenü. Auf der Karte stehen exakt die sechs Gänge, die man maximal bestellen kann:

  • Aubergine / Tomate / Büffelmozzarella / Olive Buttermilch / Basilikum *
  • Mais / Kürbis / Mango / Ei *
  • Meerrettich / Zwiebel / Senf / Apfel / Pumpernickel
  • Buchweizen / Karotte / Rote Bete / Salsa Verde
  • Sellerie / Kartoffel / Kräuterseitling / Pastinake / Petersilie / Kirsche *
  • Lavendel / Mandel / Orange / Schokolade *

Besteck auf BänkchenDer Preis für das volle Programm beträgt 104 € – womit sich das Restaurant selbstbewusst in die obere Kategorie der Dresdner fine dining Restaurants einsortiert. Die Frage, ob das für ein Essen ohne Fisch und Fleisch berechtigt ist, stelle ich nicht: es ist ja mehr noch als das Produkt die Zuwendung und die Machart, die bezahlt wird (und auch die Mitbewerber machen preislich keinen großen Unterschied für Menüs mit oder ohne). Die großen Sprünge zwischen den vier, fünf oder sechs Gängen überraschen aber schon (die *-Gänge oben gehörten zum  4-Gang Menü, das 69 € kostet. Das 5-Gang-Menü kostet 87 €). Preislich angepasst ist die (nicht näher auf der Karte definierte) Getränkebegleitung: 45 € / 55 € / 65€.

VorspeiseNun aber wirklich zum Essen! Zur Begrüßung schickt die Küche selbst gebackenes Fenchelbrot mit Orangenbutter. Einfach, aber gut – bzw. sehr gut, so als Start in den Abend. Der erste richtige Gang klingt wie eine Art gepimpte Caprese, aber es steckt da weit mehr hinter als nur Tomaten und Mozzarella. Auf einem Auberginenpürée liegen – am linken Tellerrand arrangiert – konfierte Tomaten (in Olivenöl mit Salbei und Rosmarin), ein Crunch aus Croûtons, kandierter Olive und Kapern. Und auf dem restlichen freien Teller zeigt sich ein Saucenspiegel aus Basilikum-Buttermilch. Alles bestens abgestimmt, mit Wow-Momenten bei den Tomaten (ach, sooo können Tomaten schmecken?!) und der Basilikum-Buttermilch (ungewohnt-erfrischend).

Suppe wird angegossenDas Maissüppchen mit Mango-Polenta, gepickeltem Kürbis, Curry-Popcorn und Mango-Drops enthielt zwei Zutaten, bei denen ich in der Regel eher skeptisch bin: Kürbis (dazu noch, wie dieser, gepickelt) und Polenta. Persönlicher Geschmack, ist so. Aber: Hier hätte ich am liebsten Nachschlag gerufen, denn die Polenta – nicht ganz so weich, sondern mit etwas Biss – ergänzte das cremige Maissüppchen hervorragend (wahrscheinlich lag’s an der Mango in der Polenta), und die Kürbisstückchen steuerten die nötige Säure bei. Popcorn geht ja immer, wenn man’s mag – und sind ein naheliegender Grund, diesen Gang mit ganz großes Kino zu beschreiben.

HauptgangAn unserem Tisch saß ein Veggi-Skeptiker – man könnte auch schreiben: ein bekennender Fleischesser. Bis hierhin hatte er sich dreimal überrascht gezeigt, von wegen Orangenbutter (was da alles geht!), der so ganz anderen Tomaten-Mozarella und der alle Geschmacksbereiche der Zunge ansprechenden Suppe. Der Lackmus-Test aber sollte das Steak sein, das es nicht gab im Hauptgang: würde er es vermissen? Spoiler: nein, hat er nicht. Jedenfalls spruch er so, mit einer Mischung aus Skepsis und Überraschung im Gesicht. Wie konnte das passieren? Ganz einfach: weil der Kräuterseitling die Rolle des kleinen Steaks perfekt übernommen hat. Und die Kirsche die der Sauce. Und wenn die Küche dann noch Petersilie zu Schwämmchen macht, geht sogar Grünzeug!

Bis dahin war unsere Getränkebegleitung (auf Wunsch) Wein – sehr trinkflussanregend ein Weiß-und Grauburgunder aus Rheinhessen und eine Rotweincuvée aus dem Alentejano von Dorina Lindemanns Quinta Plansel. Am Nebentisch hatten sie frisch gezapftes Bier – es gibt im Restaurant drei Sorten vom Fass, die Nachbarn lobten das belgische Grimbergen blanche. Und ja, was ich da auf deren Webseite lese, klingt gut:  „Das Grimbergen Blanche vereint die Aromen von Zitrusfrüchten, Gewürznelken und Koriander und weist Noten von Getreide und Vanille auf. Milde Bitterkeit, ausgeglichen durch eine leicht säuerliche Note; Aromen von Zitrusfrüchten, Bergamotte, Koriander und gelben Früchten verleihen dem Bier einen fruchtig-würzigen Geschmack.“

Drink zum Dessert DessertZum Dessert aber gab’s für alle was von der Bar. Katharina Robitzki erklärte bereitwillig am Tisch, was sie da zusammengemixt hat – in einer alkoholfreien Version (Grundidee: Rhabarbersaft mit selbst gemachtem Feigenessig)  und in einer mit Alkohol drin: Ananassaft, Citadelle Gin, weißer Port, Limette, Kokosmilch – unter anderem. Dann aber auch und vor allem: Zeit, denn von der Kokosmilch muss sich die Molke absetzen – 24 bis 48 Stunden dauert das. Und der optische Höhepunkt (wie auch eine perfekte geschmackliche Ergänzung: Gewürze außen am Glas! Togarashi – sieben Gewürze, leicht scharf und eine gute Ergänzung zum Glasinhalt. Lustiges Zungegeschlecke für die Gewürzerfassung inklusive… Zum Drink gab’s das Dessert, bei dem erstens alles passte und zweitens die geflämmte weiße Schokolade nachhaltig in Erinnerung blieb!

So angetan wie wir vom Essen waren, so sehr grübelten wir im Nachhinein über den Wein – beziehungsweise dessen Kalkulation. Einfaches muss nicht preiswert sein ist ja ein gern gespieltes Motto, aber wenn man schon Portugal-affin ist, dann hätte man sich ja auch in Sachen Preisfindung mehr Anregungen mitnehmen können. Einen Wein, der im Einkauf sehr einstellig ist, mit 600 % Aufschlag auf der Karte zu finden, macht keinen Spaß. Wohl denen, die sich auskennen und gleich was Gutes aus Österreich nehmen – diese Weine sind (grob gerechnet, wir sind ja nicht im Mathe-Unterricht) mit den Gastro-üblichen 300 % kalkuliert…

Nicht Fisch Nicht Fleisch
Nürnberger Str. 32
01187 Dresden

Tel +49 351 26068144
nfnf-dresden.de

Geöffnet:
Lunch mit wöchentlich wechselnder Bistrokarte – Di–Fr 12–14 Uhr
Degustationsmenü in 4, 5 oder 6 Gängen – Mi–Sa 18–23 Uhr

[Besucht am 2. Oktober 2023 | Zur Karte der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung] .

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