Von der Häuptlingsburg zur Realschule…

Spaziergang durch die Herrlichkeit Dornum in Ostfriesland

Buche vor St. Bartholomäus Dornum

Als ich ein kleiner Junge war und noch in Norden lebte, hörte ich immer mal wieder Leute von der Herrlichkeit Dornum reden. Da muss es schön sein, dachte ich, wenn es alle herrlich nennen. Da isses auch schön, obwohl das mit der Herrlichkeit ja ganz anders zu verstehen ist. Aber das weiß ich erst jetzt, denn warum auch immer war ich früher® nie in Dornum, sondern erst jetzt als später Tourist. Aber es ist ja noch alles da, vielleicht sogar schöner als im vergangenen Jahrhundert, denn man hat ganz ordentlich saniert.

Wasserschloss Dornum Beningaburg DornumMan sollte Dornum aber nicht überschätzen, trotz zweier erhaltener Burgen ostfriesischer Häuptlinge und einer Kirche aus den Jahren 1270/90 (am Eingang der Kirche selbst steht 1200 – aber nur da). Die touristische Erschließung der beiden erhaltenen Burgen (von ehedem drei gebauten) gestaltet sich, nun ja: schwierig. Die eine (das Wasserschloss aus dem 14. Jahrhundert, auch als Norderburg bekannt) ist mittlerweile von der Häuptlingsburg zur Realschule mutiert: Besichtigungszeiten nur nach der Schule. Die Beningaburg (oder: Osterburg) ist eine Wasserburg, zwischen 1375 und 1380 erbaut. Sie wird heute als Hotel genutzt, kann man überall lesen – aber bei unserem Besuch schwappten die letzten Ausläufer einer dieser gastgewerbeunfreundlichen Coronawellen noch übers Land, also war alles dicht. Es sah aber auch insgesamt nicht sehr wohlfühlend aus dort, und eine Webseite gibt’s (im Dezember 2021) auch nicht. Also: wer weiß. In die Kirche kamen wir ebenfalls nicht, wohl auch wegen Corona, denn angeblich sei sie immer offen. Aber man kann ja überall außen rumgehen.

St. Bartholomäus DornumEs gibt einen kleinen Stadtrundgang, dem man folgen kann. Oder man schlendert einfach so durch die Straßen und Gassen und findet dann auch das meiste. So oder so: wir begannen an der Kirche. Eine mächtige, über 200 Jahre alte Buche ist ein Blickfang zur Rechten (wenn man draußen am Tor steht), der schiefe allein stehende Kirchturm mit seinen zwei alten Glocken der Blickfang zur Linken. Die Buche und ihre verwitterten Grabkreuze sind für Fotografen eine Herausforderung (alles so grün da!), aber es gibt bei Herausforderungen ja auch immer was zu meistern.

St. Bartholomäus DornumDie St.-Bartholomäus-Kirche steht auf einer acht Meter hohen Warf. Das ist nicht ungewöhnlich in Ostfriesland, dass die Kirchen auf so einem künstlichen Hügel standen: sie waren so der höchste Punkt des Dorfes und boten Schutz bei Hochwasser (das Meer war nicht immer so weit weg wie heute!). Weil die Hügel keine ordentlichen Tafelberge sind, ist es dann übrigens auch praktisch, dass der Kirchturm etwas abseits steht: wenn sich der Boden setzt, kann der Turm sich alleine (ver-)neigen…

Dornum MarktVon der Kirche führt uns der Weg zum historischen Marktplatz, an dem nicht mehr wirklich viel historisch zu sein scheint. Das Info-Schild malt mit phantasievollen Worten Bilder im Kopf, die dann irgendwie mit der Wirklichkeit eines Sommertags im Jahr 2021 kollidieren: „Markttag! Bilder aus längst vergangenen Zeiten leuchten auf: die Einwohner aus der Umgebung kommen, es wird gehandelt, gekauft und verkauft. Immer wieder holt jemand Wasser aus der Pumpe und trägt es nach Hause, daneben bleibt noch Gelegenheit für einen Schwatz. Anfang der sechziger Jahre war der Dornumer Markt ein verschlafener kleiner Platz, der keine soziale und wirtschaftliche Bedeutung mehr hatte, aus dem kleinen Marktplatz wurde ein Parkplatz. Im Rahmen der Dorferneuerung in den 1980er Jahren wurde er komplett neu gestaltet und erhält sein heutiges Gesicht. Der Marktplatz ist umgeben von kleinen und größeren Bürgerhäusern. Der stattliche zweigeschossige Backsteinbau mit dem Walmdach ist aus der Zeit um 1720.“ Lebhaften Handel konnten wir auch 2021 nicht beobachten, die sterile Stimmung auf dem menschenleeren Platz nett zu beschreiben wäre mal eine Aufgabe für den Tourismusmanegerghostwriter. Ein Pro-Tipp am Rande: zu einem Platz gehören Dinge wie Teestube, Kneipe, Gaststätte – und alle haben Tische mit Stühlen und Schirmen auf dem Platz. Könnte nett werden.

Jüdischer Friedhof DornumNummer 3 und 4 auf dem offiziellen Rundgang durch Dornum sind der Jüdische Friedhof und die Synagoge. Der Friedhof ist nicht weit vom Markt (wobei: in Dornum ist nichts weit voneinander entfernt!), zur Synagoge geht’s in die andere Richtung. Beide Orte erinnern daran, dass es einmal jüdisches Leben in Dornum gab. Wenn man den Beitrag in der Wikipedia liest (auch das, was zwischen den Zeilen steht), kann man erahnen, dass die Juden es hier (wie anderswo) nie leicht hatten. Im Jahr 1905 hatte die jüdische Gemeinde in Dornum 83 Mitglieder – das entsprach etwa 9 % der Gesamtbevölkerung des Fleckens. Über 50 % der 1933 in Dornum lebenden jüdischen Einwohner wurden im Holocaust ermordet, von den überlebenden Dornumer Juden kehrte keiner zurück. Die Synagoge wurde 1991 restauriert, sie ist jetzt eine Gedenk- und Informationsstätte [alle Infos aus der Wikipedia].

Dornumer TeestubeAuf dem Weg zum Wasserschloss gibt es einen wichtigen Halt in der Dornumer Teestube. Sabine Freese ist die Gastgeberin in dieser Oase der Gastlichkeit, in der man (wir draußen, weil’s Sommer war, aber drinnen ist auch fein) dringend einmal Tee so trinken sollte, wie es in Ostfriesland üblich ist: aus der Teekanne auf dem Stövchen, natürlich mit Kluntje und Sahne. In der Karte des Hauses lesen wir, dass „das denkmalgeschützte Anwesen aus dem Jahre 1808 behutsam restauriert“ wurde und dem „historischen Charakter des einstigen Häuptlingssitzes angepasst“ wurde. Wobei wir – endlich, über den Umweg des Tees – bei den Häuptlingen wären.

Ostfriesen-WappenDie ostfriesischen Häuptlinge waren, nachdem in ganz frühen Zeiten alle Friesen gleich waren und keinen Herren außer dem Kaiser über sich hatten, das Ende der beinahe genossenschaftsähnlichen Ordnung, in der prinzipiell jedes Mitglied gleichberechtigt war. Allerdings war das schon damals ein bisschen wie beim 1984er Orwell, wo ja auch alle gleich und einige gleicher waren: die Gleichberechtigung galt nämlich nur für Eigentümer von Hofstellen und zugehörigem Land, und schon immer bekleideten eher die großen und reichen Familien die öffentlichen Ämter. In dem Sinne ist „Eala Frya Fresena – Seid gegrüßt, Ihr freien Friesen“ eben auch schön, aber relativ. So gesehen war es nicht weiter verwunderlich, dass in Zeiten großer Naturkatastrophen (die Pest, die Zweite Marcellusflut) die Gesellschaft sich wandelte. Erster Häuptling in Dornum war Hero Attena, in dessen Familie es wohl hoch herging. Der entsprechende Abschnitt in der Wikipedia liest sich wie der Plot zu einer veritablen Netflix-Serie, zumal der familiäre Mord- und Todschlag ja noch aufs Wundervollste ergänzt wird durch die Verstrickung der Häuptlinge in die Seeräuberei. [Die Sage von Klaus Störtebecker, die ich mal nacherzählt habe, gibt da kleine Einblicke.] Und so bauten die Herren ihre Herrschaft aus, Dornum wurde eine Herrlichkeit und blieb es bis in die Neuzeit, zuletzt unter den Freiherren von Closter.

Aus der Abteilung überflüssiges Wissen, mit dem man gegebenenfalls aber ganz schön angeben kann, noch diese Information aus dem Wiki-Beitrag über Dornum: Dornum ist der Geburtsort von Miene Schönberg, nach ihrer Auswanderung in die USA bekannt geworden als Minnie Marx, Mutter der Marx Brothers. Wissta Bescheid…

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