Cool Climate in der Nähe von Lissabon

Quinta de Sant'Ana

Wir sind in Gradil auf der Quinta de Sant’Ana – 12 km von der Atlantikküste entfernt, bis Lissabon sind’s von hier rund 45 Minuten Autofahrt. Zur Begrüßung gab’s zwei Überraschungen: Regen und Riesling. Gegen den Regen kamen wie von Zauberhand Schirme (in Wirklichkeit war es die aufmerksame Catarina Caldeira, die genau wusste, wo die Schirme stehen – sie ist Wine Tourism Manager auf dem Weingut Quinta de Sant’Ana). Und gegen den Riesling gab’s Gläser, was sonst?

Wo sind wir hier denn eigentlich? Inhaber James Frost und seine Frau Ann haben den alten Adelssitz ja nicht zufällig gefunden: Ann von Fürstenberg  ist das mittlere von sieben Kindern von Gustav Baron von Fürstenberg, dem die Quinta de Sant´Ana gehörte. Er verlor das Adelsgut mit der Nelkenrevolution, konnte aber später zurück kehren. Tochter Ann studierte in Münster Grafik-Design und lernte dort James Frost kenne, der im westfälischen Münster seine Armeezeit verbrachte. Dass das Paar nun auf  der Quinta de Sant´Ana lebt und arbeitet und wiederum exakt sieben Kinder hat, ist sicher Zufall. Der Begriff Familienbetrieb lohnt sich da aber auf jeden Fall…

James Frost | Catarina CaldeiraJames begrüßt uns, und James macht auch ohne Vorwissen auf den ersten Blick einen sehr englischen Eindruck auf uns. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn James Frost kommt aus Dorset im Südwesten Englands, wo die Familie seit Generationen Landwirtschaft betrieb. „Seit wir 2007 Riesling angepflanzt haben, ist diese Rebe bei uns erfolgreich!“, freut er sich. Das Mikroklima von Gradil, seine Nähe zum Meer mit den kühlenden Einflüssen – sowas gefällt dem Riesling. „Die Weine haben ein großes Alterungspotential!“ ist nicht nur eine theoretische Aussage: im kleinen Hofladen liegen auch noch 2013er Rieslinge zum Verkauf.

RieslingCool Climate in der Nähe von Lissabon – da muss man ja auch erst mal drauf kommen. Der von uns probierte Jahrgang 2021 hatte eine wunderbare Salzigkeit und Frische. Schon der erste Schluck gefiel, aber irgendwie wurde er nochmal besser, als wir nur ein paar Meter weiter zum Weinberg gingen, in dem der Riesling wächst. Die Quinta de Sant’Ana umfasst 40 ha insgesamt, nur 13 davon sind Weinberge. Der Rest? Hilft, wirklich organisch zu arbeiten. Seit 2018 ist das Weingut zertifiziert für ökologischen Weinbau. Auf eine angenehm lockere Art und Weise leben sie das in der Quinta: Zwischen den Weinreben grasen 15 erwachsene Suffolk-Schafe und (als wir da waren) acht Babies, sie tragen ihren Teil zur Weinbergsarbeit bei.

Wo sind die Schafe?Wie ein sinnvoller Kreislauf funktioniert (oder funktionieren kann), zeigt ein sehr schönes Beispiel. Die Quinta ist ein beliebter Ort für Hochzeiten – das ist Teil des Geschäftsmodells. 86 Hochzeiten im vergangenen  Jahr sind für den Pfarrer der Kirche São Silvestre im 1.000-Seelen-Dorf Gradil schon mal ’ne Ansage. Die Quinta als (mittlerweile weit über die Grenzen hinaus bekannte) Event- und Hochzeitslocation brauchte natürlich Blumen: Die begann man lieber selbst zu ziehen auf 1 ha des Landes. Und mit den Blumen kamen die Bienen. Nun gibt es auch Honig auf der Farm. Über die Frühstückseier für die Hausgäste muss man auch nicht groß nachdenken, die Hühner sieht man überall – im Weinberg, auf dem Hof.

ArintoIn den Weinbergen stehen zehn Rebsorten, davon nur drei internationale – neben Riesling sind das Merlot und Pinot Noir. Der Rest sind einheimische Sorten wie Ramisco oder Arinto. „Arinto ist typisch für die Region – die Traube liebt die Bedingungen hier“, erklärt uns Catarina Caldeira. Sie ist Wine Tourism Manager – eine Position, die sich die um Wein und Tourismus bemühten Weingüter hier gerne erlauben (es scheint sich zu lohnen, eloquente Personen dafür einzustellen). Wir probieren einen 2018 Arinto (aus der 1.245sten von insgesamt 1.372 gefüllten Flaschen) und erfahren mehr: weil die Sorte hohen Säuregehalt hat, sei sie auch als Partner in Cuvées in den heißeren Regionen beliebt. Wir genießen ihn pur und bewundern die Kombination aus weichem Mundgefühl und feiner Säure. Der Wein wurde, erfahren wir, in einer Mischung aus alten und neuen Fässern einerseits und einer Mischung aus Umgebungs- und Kulturhefe andererseits vergoren. Zwei Jahre lag er in Barriques und wurde anschließend in Edelstahltanks umgefüllt, wo er weitere zehn Monate auf der Hefe lag, bevor er abgefüllt wurde.

Alles Handarbeit – nötigenfalls auch mit den Füßen

Kellerarbeit30-40.000 Flaschen Wein produziert man im Jahr – und die Flaschennummer auf dem Arinto signalisierte ja schon, dass es manchmal wirklich erlesene Mengen sind (beim Riesling hatten wir übrigens die 386/4.845). „Wir konzentrieren uns mehr auf Qualität denn auf Quantität!“, sagt Catarina. Dazu gehört, das Handwerk eine große Rolle spielt, von der Lese bis zur Kellerarbeit. Nicht alles ist freilich Handarbeit, denn auch die Füße kommen manchmal zum Einsatz. Pisapé heißt die Methode, die auf der Webseite des Weinguts sehr schön beschrieben ist: „Bei diesem Verfahren werden die Trauben mit bloßen Füßen eingeweicht! Nachdem die Trauben sortiert wurden, werden sie in die alten Granittanks gefüllt, wobei kein Hygienerisiko besteht – die Trauben kommen gerade erst aus den Weinbergen und enthalten noch Blatt- und Staubpartikel, so dass das Betreten in dieser Phase lediglich dazu dient, die Trauben zu zerteilen und das Fruchtfleisch und die Schalen zusammenzupressen, ohne jedoch die Kerne zu zerdrücken, was dem Wein einen sehr bitteren Geschmack verleihen würde. Nach diesem Vorgang wird der Saft vergoren, gefiltert und sterilisiert. Es ist eine ganz besondere Tradition, die wir aufrechterhalten können, und obwohl es auch eine ernste Aufgabe ist und gründlich durchgeführt werden muss, müssen wir zugeben, dass wir oft eine Flasche öffnen und die Musikanlage aufdrehen, während wir treten, und es ist ein sehr heiliger Teil unserer Erntezeit.“

Im KellerIm Keller geht’s weiter mit Rotweinen. Touriga Nacional ist eine autochthone Rotweinsorte aus Portugal, die in wärmeren Regionen gerne als Partner in Cuvées eingesetzt wird – aber hier im cool climate geht’s auch allein: tiefes Rot, viel Paprika – und würzig. Das könnte ein wuchtiger Rotwein sein, wenn da nicht gleichzeitig ein hübsches Quäntchen Frische wäre – auch nach 28 Monaten Fassreife. Sehr angemessen! (Für die Statistiker: wir hatten einen 2018er, Flasche 375/3.120) Monovarieties, also Weine aus nur einer Sorte, sind nicht die Regel in der Gegend. Aber auf der Quinta de Sant’Ana entscheiden sich die Weinmacher unter der Anleitung von António Maçanita, der für sein Tun schon Auszeichnungen wie „Winemaker of the Year“, „Generation 21 Oenologist Trophy“, „Best New Producer“ sowie „Best Portuguese Wines“bekommen hat, immer mehr dafür.

Im Fasskeller gibt’s die großen Fässer (6.000 bis 10.000 Liter) – aber die sind seit 1993 leer. Früher gab’s aus denen wohl nicht ganz so tollen Wein, aber die alten Männer des Dorfes trafen sich dennoch gerne im Keller, um den Genossenschaftswein (große Mengen waren da entscheidend!) als Palavergrundlage zu nutzen. Mittlerweile reift der Wein in Barriques, die bis zu sechs Jahrgänge mitmachen.  Die alten Männer des Dorfes sitzen nicht mehr im Keller – aber Gradil hat ja nicht nur eine Kirche, sondern auch einen Kirchplatz mit Café und Bar.

Kapelle und KirchblickNatürlich gehört zum Besichtigungsprogramm der Quinta auch ein Besuch der namengebenden Kapelle. Sie ist der älteste Teil des Weinguts und  mit den blauen Kacheln und einer Statue der heiligen Ana auch ein optisches Schmuckstück. „Es ist unser Schatz“, sagt Catarina. Seit 1747 ist es eine aktive Kapelle, in der regelmäßig Messen gelesen werden. Aber geheiratet wird in der Dorfkirche…

Quinta de Sant’Ana
Rua Direita 3
Mafra, 2665-113
Gradil, Portugal

Tel. +351 261 963 550
quintadesantana.com


Hinweis:
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden unterstützt mit einer Pressereise auf Einladung des Great Wine Capitals Global Network.

 

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