Die Bilder für diesen Beitrag waren auf der Plattform Ipernity gehostet und wurden dort gelöscht. Es dauert etwas, bis die Fotos wieder hier erschienen – sorry.
Oh, da war noch was. One more thing, wie Steve selig zu sagen pflegte – beziehungsweise eigentlich weit mehr als nur eins. Einmal nur zum Dresdner Schaubudensommer zu gehen bedeutet nämlich, Vieles zu verpassen. Alles schafft man sowieso nicht, aber die Lücken werden mit jedem Besuch kleiner. Hier also einige Eindrücke von unseren Besuchstagen zwei bis vier nach dem Erstbesuch.
Ungewollt geriet uns der Dienstag zum Russischen Tag: Angefangen bei Alexey Mironov, der im Programmheft als „wahrhaft russischer Clown alter Schule“ bezeichnet wird (wahrscheinlich meinten sie alte russische Schule, aber egal). Ohne viel Worte brachte er seine Gäste zum Lachen, indem er gesten- und mimikreich den Zuschauern den Spiegel ihrer eigenen Erfahrungen vorhielt. Da wären wir gerne noch einmal hin, aber, Schaubudenschicksal: Er war den letzten Abend da. Beim Hinausgehen allerdings gab’s ’nen Zettel auf die Hand. Er kommt wieder: Als Gast des 30. Internationales Pantomimefestivals ist er am 10. November 2012 mit seinem Soloprogramm „Bon Voyage!“ in Dresden.
Krasser Gegensatz bei Station Nummer zwei: AKHE, eine avantgardistische Truppe aus St. Petersburg. „Sie schrauben gewaltige Bilder und kryptische Schlingen“ las ich im Programmheft, um dann wärend der Vorstellung festzustellen, dass gewaltig nicht immer gewaltig gut nach meinem und der Nachbarinnen Geschmack sein muss, aber kryptisch ganz gut umschrieb, was wir nicht verstanden. Skurrile Bilder reihten sich zu einem Gruselteppich der Assoziationen, aber wahrscheinlich sind wir hier zu alt und dumm, um das zu verstehen oder gar zu goutieren.
Auch Derevo kommt ja ursprünglich aus St. Petersburg, ist seit 1997 aber auch in Dresden Hellerau stationiert. Das von Anton Adassinski 1988 gegründete Ensemble lud während des gesamten Schaubudensommers zu einer „Reise in einen Traum“ ein – abendlich drei Improvisationen zu unterschiedlichen Themen, letztlich aber doch immer das eine Generalthema: innere Zerrissenheit. Was mit Bewegungstheater und Ausdruckstanz halt so geht. Programmheftlesen macht schlau, also auch hier: „In ihren Vorstellungen für den Schaubudensommer zeigt Derevo unikale Arbeiten, die später so nie mehr wiederholt werden. Immer Improvisation, immer Suche.“
Und wieder Clowns! MimiRichi, ein als Quartett angekündigtes Trio aus Kiev. Pantomime pur, die sich mit viel Liebe zum Detail die Kleinigkeiten der Tücken des Alltags aussucht. Manches mag man als Klamauk einstufen, anderes – wie die Bettszene (nein, nicht was Sie denken!) – brachte feinsinnige Beobachtungen auf die Bühne. Mit einem Gast aus dem Publikum geriet Mimirichi dann doch noch zum Quartett, und der Mann war gar nicht einmal so schlecht!
Wer kennt sie nicht, die großen Namen der großen Damen? Aber sie waren nicht allein: sie hatten, meint zumindest Ulrich Michael Heissig, alle Schwestern, die im Schatten stehen. Ganz groß heraus aus eben jenem tritt: Irmgard Knef. Das Publikum jubelt und gröhlt, aber mit vornehmer und angemesser Zurückhaltung. Die Knef, also dat Irmchen, gibt ihr Bestes und singt was das Zeug hält. Schöne Texte mit garstigen Andeutungen und geschickten Weglassungen: Auch das ist Schaubudensommer, so ganz ohne Schwere und Hinweis auf die Rolle der Bedeutung.
Auch eher von der leichten – aber keineswegs seichten – Art sind die katalanischen Los Galindos. In der Jurte gleich am Eingang zum Schaubudensommer empfängt die Zuschauer ein Klangteppich (Marc Vila), während ein Clown (Marcel Escolano) mit Kreide zeichnet. Was? Alles mögliche, eine Jurte, Fußabdrücke, eine Windrose – aber egal, wird sowieso alles fortgewischt. Aber es geht subtil weiter, aus Mehl und Wasser wird ein Teig, wir erlebten die Hohe Kunst des niederen Trapezes, ein Spiel mit Teigkugeln und Figuren. Zauberhaft – und anstrengend für den Künstler, der gehörig ins Schwitzen kam: Was leicht aussieht, ist es meistens nicht.
Last not least: Chris Lynam. Der Andrang vorm Zelt ist so groß, dass die Hälfte draußen bleibt. Die hatten Pech. Wer gar nicht erst hinging, hatte großes Pech – denn der Mann ist zwar arg schrill, aber erlebenswert. Er ist laut, manchmal. Aber er kann auch ganz leise vor sich hinlachen, wenn sein Publikum (nicht immer freiwillig) Witze macht, die super ins Programm passen. Sein Striptease ist legendär, vor allem im Fußbereich, sein Zungenspiel lenkt vom subtilen Banjospiel ab, seine Feuershow ist beeindruckend.
Schlag Mitternacht schreitet dann der Herr Direktor durchs Gelände, mit der Band hinter sich. Er sammelt die Leute ein mit dem magischen Ausruf: Mitternachtsüberraschung! Was dann passiert, katapultiert das beschauliche Dresden in Sachsen in Deutschland (frei nach Erich Kästner, der einmal schrieb, er sei „ein Deutscher aus Dresden in Sachsen“) stimmungsmäßig weit runter ans Mittelmeer. Es geht raus aus dem Festivalgelände, die Straße entlang durchs Finstere. Der Herr Direktor tanzt (!) vorweg, schnappt sich, wer miesepetrig im Wege steht, dreht mit ihm eine Runde und lädt ein mitzukommen.
Ein fröhlicher Marsch bewegt sich unplugged zu einer jener locations (Örtlichkeiten zu schreiben wäre nicht hip genug), die die Dresdner Neustadt immer noch zu bieten hat: Ein Hof mit Gebäuden, die jenen morbiden Charme ausstrahlen, dass es nach fantastischen Geisterstundenshows nur so schreit! Einmal sitzt auf dem Flachdach ein Musiker, neben ihm zwei Mann mit Beleuchtung. Angestrahlt wird die gegenüberliegende Wand, an der ein Tänzer (wer war’s? Krieg ich noch raus – oder bitte kommentieren!) zur Musik improvisiert. Unten wartet Annamateur auf ihn, und beide entschwinden in die Nacht.
An einem anderen Abend steht ein fiddler on the roof und geigt so herzerwärmend, dass das alleine schon den Weg in den Hof gelohnt hätte. Aber dazu gibt’s dann noch Volker Gerlings Daumenkino Gesichter von Wanderschaft“ auf die Hauswand projiziert. Ganz ganz großes Kino! Atemberaubende Sequenzen, und wieder so ein Moment, wo man in einer nahezu ruinösen Ecke von Elbflorenz steht, leise Hach sagt und sich wünscht, dass nicht alles saniert wird – damit es weiterhin so schön bleibt.
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