Walter Iwersen und Elisabeth van de Wetering sind die mit den Siebenmeilenstiefeln. Zumindest hinterlassen sie den Eindruck mit ihren waghalsigen Beschreibungen im Rother Wanderführer Sardinien (5. Auflage 2010): Die Tour entlang der Küste des Golfo di Gonnesa geben sie mit 2.45 Stunden an. Wir trafen gleich am Anfang des eigentlichen Weges (der auch dessen Ende ist) ein Paar, das ziemlich japste: Über fünf Stunden seien sie unterwegs gewesen, dabei hätten sie doch die Tour an ihrem ersten Tag auf Sardinien wegen der Kürze zum Einlaufen gewählt!
Die Lösung fanden wir später (nach dreieinhalb der zweidreiviertel Stunden): Dort schreiben die Autoren, dass man „nur 50 Schritte weit“ einen Weg lang gehen sollte, bevor es links auf einen Feldweg gehe. Nach 50 Schritten, stellten wir fest, ging da nichts ab, nach mehr als hundert freilich schon: OK, wer derlei Schrittmaß hat, der hirscht die Strecke auch in weniger als drei statt mehr als fünf Stunden entlang. Wir waren, wie die anderen, mehr als fünf Stunden unterwegs, genossen allerdings auch die reichlich eingestreuten gigantischen Ausblicke und fotografierten wie die Weltmeister.
Einmal dachten wir, wir hätten uns verlaufen – waren aber richtig. Dann dachten wir, richtig zu sein, waren aber falsch. So kann’s gehen. Aber von derlei Kleinigkeiten einmal abgesehen, können wir die Tour sehr empfehlen.
Der erste Teil ist im Prinzip fakultätiv und gehört auch nicht zur Wanderung: Sie beginnt sozusagen mit einer Schleife, die man entweder allein drehen oder auch auslassen kann. Wir nahmen diesen Teil natürlich mit, denn der Besuch einer verlassenen Fabrik hat immer was – und wenn sie wie die Laveria Lamarmora dann auch noch spektakulär am Meer liegt mit schönen Bergen im Rücken, dann sollte man sich Zeit nehmen.
Die eigentliche Wanderung zum Monte Sai (die Nummer 49 im erwähnten Rother Wanderführer) ist ganz zu Beginn ein nichtssagender Bummel durch Nebida (man könnte auch schreiben: ein Bummel durchs nichtssagende Nebida). Eine Neubausiedlung will so gar nicht ins Bild passen: Reihenhäuser wie man sie auch zwischen Bitterfeld und Castrop-Rauxel liebt, hier allerdings mit durchaus schönerem Blick. Danach aber wird’s bald schön, weil die Natur die Rolle des Anzusehenden übernimmt. Und sie macht das bravourös.
Das erste Stück geht munter bergrunter durch nahezu zugewachsene Macchia. Ein wenig abenteuerlich ist das, und mit dem Wissen, dass der Rückweg genau hier hoch gehen wird, entwickelt die Phantasie nicht nur nette Gedanken. Aber vor dem Rückweg kommt ja noch der Hinweg – und der hat ein erstes Zwischenziel: Portu Banda. Eine niegelnagelneue Holztreppe führt die letzten Meter hinunter an den Strand, der nicht vom feinsten Sande ist, aber dafür recht einsam. Und das Wasser funkelt sardisch-sauber in allen blauen Schattierungen. Man sieht auf eine Klippe mit dem Namen Scoglio de „Il Morto“ – warum der „Der Tote“ heißt, hat sich mir nicht erschlossen.
Die nächste Bucht ist ein kleiner Naturhafen. Der Weg zum Portu Ferru ist nicht weit, aber geht sehr, sehr küstennah. Ein Schild wies gleich am Anfang auf den „sehr anspruchsvollen und gefährlichen Weg“ hin und legte angemessenes Schuhwerk nahe. Letzteres hatten wir, ersteres nahmen wir hin, um uns an den Blicken satt zu sehen: Nach vorne der eine oder andere Felsen im Meer, vor allem natürlich immer neue Perspektiven vom Pan di Zucchero. Aber umdrehen und der Blick zurück lohnen auch – mit einem Wort: Zauberhaft.
Der Weg ist schmal, aber dank wenigstens hüfthoher Macchia links und rechts fühlt man sich gut gesichert. Und wenn’s dann plötzlich mal linker Hand steil nach unten wegbricht, waren die Sarden so nett, rechter Hand Seile zu spannen. Gemäß dem Motto „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ nahmen wir die Hilfe dankbar an – und es war wie weiland beim Zahnarzt: Hat gar nicht weh getan! Einzig die Durchschnittsgeschwindigkeit litt auf diesem Teilstück beträchtlich, weil die Kombination aus behutsamer Gangart und Massenphotografie sehr zeitintensiv ist. Aber gelohnt hat sich das!
Portu Ferru ist ein bezaubernder Naturhafen. Rote Felsen, kristallklares Wasser, ein Dutzend kleine Boote hochgezogen auf die Klippe. Wir machen ein Päuschen mit Blick auf die Boote und – Überraschung! – Blick zurück ganz ohne Zorn auf die Laveria Lamarmora, die von hier aus einen ganz anderen Eindruck hinterlässt als beim Herumschleichen in den laveden Gemäuern. Wir verlassen die Bucht, wieder hoch auf den Küstenweg. Unten in der Bucht schnorcheln zwei Sarden, die uns auf dem Weg forschen Schritts überholt hatten – wahrscheinlich gibt es viel zu sehen bei dem klaren Wasser!
Der Weg ist wie gehabt: Küstennah, eng, aussichtsstark. Die Bucht mit dem Pan di Zucchero liegt jetzt ohne Sichteinschränkung vor uns, und auch wenn wir immer noch keinerlei Ähnlichkeit mit dem richtigen Zuckerhut erkennen können, ist das ein starkes Bild. Dazu trägt die Farbkombination des (für September!) recht satten Grüns, der abwechselnd roten und weißen Felsen, der blau-türkisen Meer-Melange und der blau-weißen Himmelskombi erheblich bei.
Unser Wanderführer suggerierte, dass wir bislang „etwas mehr als eine Stunde Gehzeit“ absolviert hätten, und zwar inklusive der Laveria-Besichtigung, und schlug vor, rechts zum Onte Sai zu gehen. Wir waren uns nicht sicher, ob das die richtige Stelle sei (sie war es, merkten wir später), fanden den Weg bergauf aber aufregend. Zumal ein heftiger Wind für Erfrischung sorgte und wir ein wenig unsicher waren, auf dem rechten Pfad zu wandeln. Aber: alles war gut, denn wir trafen nach Überquerung des Kamms auf einen Weg, der beschreibungsgemäß den Blick auf das Bergwerksgelände von Masua freigibt.
Auf dem nicht mehr genutzten Gelände befindet sich auch das Museo delle Macchine da Miniera, das wir nicht besuchten: Erstens wollten wir irgendwie noch zurück, zweitens fand ich (übersetzt) den netten Hinweis, dass schon „die Website nur nach Voranmeldung besichtigt werden“ kann – vom Museum ganz zu schweigen. Wir beschlossen: Von oben sieht’s auch nett aus und schritten wacker fürbass, und zwar auf extrem breiten Wegen, die weder links noch rechts richtige Abhänge oder Klippen hatten.
Wir passierten die eingangs geschilderte Stelle mit den 50 Schritten und näherten uns sofort der nächsten Falle: Angeblich führt bei einer Rechtskurve ein Pfad steil bergan. Vor dieser Stelle hatten uns die Wanderer am Anfang unserer Tour gewarnt: Sie seien an der falschen Rechtskurve hochgelaufen und hätten es sehr spät bemerkt. Wir sind – trotz Vorwarnung – auch falsch hochgelaufen und merkten es dank der Vorwarnung relativ schnell. Die nächste rechte Kurve war dann die richtige, und von nun an ging’s bergab. Schöner Weg, schmal durch macchiaverwachsene Gegend. Runter fast bis zum Portu Banda und dann wieder hoch zum Ausgangspunkt, wo wir das große Vergnügen eines verfrühten Sonnenuntergangs wegen aufziehender Regenfront erleben durften.
Küstenwanderung Nebidia – Monte Sai
Der GPS-Pfad ist wegen Aussetzers des Aufzeichnungsgerätes nachgezeichnet.
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