Können Häuser Geburtstag haben? Nun ja, geboren im wahrsten Sinne des Wortes werden sie ja nicht – aber wenn es genau sechs Jahre her ist, dass jemand ein Gasthaus betreibt, dann kann er ja schon mal Geburtstag feiern, oder? Am 15. März war Geburtstagsparty im Gasthaus Hellerau, direkt am Markt der Gartenstadt. Ein Grund zum Feiern, aber keiner zum Ausruhen. Torsten Pötschk, der das Jubiläum feierte (denn er ist es, der seit 2008 dem Café Hellerau seinen Stempel aufdrückt), sucht immer nach neuen Wegen, neues Leben in das Traditionshaus zu bringen – derzeit mit den Kochsternstunden, an denen er nun bereits im dritten Jahr mitmacht.
„Das um 1930 eröffnete Café stand seit April 2007 leer. Pötschk hat zu dem Haus eine ganz besondere Beziehung: Er tanzte hier 1989 auf seiner eigenen Hochzeit. Wenn das mal kein gutes Omen ist! … Hier fühlen sich die Hellerauer wieder wohl,“ prophezeite nach der Wiedereröffnung die Dresdner Morgenpost. Die Kochsternstunden bringen ihm aber nicht nur die Gartenstädtler: „Am Sonntag konnten wir die 100 [in diesem Jahr verkaufte Kochsternstundenmenüs] überschreiten!“ verkündete er stolz auf Facebook.
Natürlich probierten wir das Menü (36,90 €, mit Wasser, Weinen und Espresso 48,90 €) – der Besuch 2012 war kurz vor den Kochsternstunden, da aßen wir à la carte. Dieses Mal war alles auf Gasthaus – kein Bierstammtisch, kein laufender Fernseher. Das Ambiente ist immer noch heimelig – aus dem Blumenladen gegenüber kommen die guten Ideen und die Umsetzung mit vielen frischen Blumen: Er gehört der Frau, mit der Pötschk den Hochzeitswalzer 1989 tanzte. Da sitzt man und hat viel zu gucken – und bekommt, vorab, Heidi und Fred. Das sind Mixgetränke für Sie und Ihn auf Basis des Aperitifs Lillet. Spannend und ein Vormerker für den Sommer!
Das Kochsternstunden-Menü besteht aus vier Gängen, die es so nicht in der Karte gibt. Unser Eindruck: Es ist ambitionierter als die Standard-Karte – und damit natürlich eine Herausforderung für die Küche. Pochiertes Wachtelei auf wilder Raucke mit Bärlauchguacamole, handgefertiger Ziegenkäsepraline und Knusperbrot fiel vor allem durch zwei Dinge auf: ein Wahnsinnsbrötchen, knackig und sehr geschmackvoll – und eine sehr kräftige Bärlauchkomponente in der Guacamole. Hier deutete sich an, was wir bei der Suppe noch mehr vermuteten: Die Köchin ist verliebt. Rein salztechnisch gesehen, zumindest – den Rest können wir nicht beurteilen. Beim Bärlauch vertat sich das mit den knackigen Salaten, beim Topinambur-Schwarzwurzelsüppchen mit Jasminblüten und (reichlich!) Vanille musste frisches Brot herhalten. Der zum Salat ausgesuchte Wein war ein Elbling vom Weingut Schloss Proschwitz – einer der Weine, die man nicht allzu häufig trinkt. Ach ja, für die Nicht-Vinophilen: Mit der Elbe hat diese Rebsorte natürlich nichts zu tun, das klingt nur so!
Zwei Hauptgänge stehen beim Menü zur Wahl: Hellerauer Dreierlei vom Irischen Rinderfilet auf Grillgemüse und Risoleekartoffeln oder Saiblingsfilet an Tagliatelle mit Mönchsbart, Riesengarnelen und gegrilltem Paprika. Das Filet war uns zu wenig rosa, dadurch auch ein wenig fest – aber das eigentlich nur zum Probieren und Fotografieren bestellte Saiblingsfilet machte sich gut: kross, saftig und mit dem Mönchsbart auch ein wenig mit Neuland-Charakter (zumindest für uns – aber der Chef klärte uns auf!). Zum Steak gab’s einen kräftigen Roten (Lesegut Tinto DO Dominio de Valdepusa Pagos de Familia Marqués de Grinon, der mit dem Lesetest-Etikett) und von der kommenden neuen Karte ein 2010 Leopards Leap Chenin Blanc, ein feiner Sommerwein, prima zum Fisch.
Ein kleiner dreistöckiger Turm mit Mousee von Matcha und weißer Schokolade brachte dann abschließend noch eine Erkenntnis: Tee zum Espresso geht. Matcha macht’s möglich!
Gasthaus Hellerau
Markt 15
01109 Dresden-Hellerau
[Update Oktober 2015: Gasthaus Hellerau geschlossen]
Tel.: 0351 | 8 83 44 70
www.gasthaus-hellerau.de
Öffnungszeiten: Di – Fr 16 – 22 Uhr | Sa 11 – 23 Uhr | So 11 – 21 Uhr Mo Ruhetag
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