Tage, die mit fröhlicher Regenbogenfotografie beginnen, könnten ihre Fortsetzung mit Regen finden. So war’s auch. Von Plan eins (Wanderung durch den Nebelurwald!) wichen wir aus auf Plan zwei (mehr im Süden im Barranco de Guarimiar) – aber das war noch zu hoch und offensichtlich nicht südlich genug: es regnete in Imada. Also weiter Richtung terra incognita für uns: Die Straße nach Arguayoda windet sich von über tausend Meter in langgezogenen Serpentinen auf etwas über 400 Meter runter. Den Rest nach La Rajita an der Südküste erledigten wir dann zu Fuß – und waren sehr überrascht, wie schön es da ist (gilt doch der Süden Gomeras landschaftlich sonst eher als langweilig).
In Arguayoda endet die Welt für Autofahrer. Also wenden wir auf dem Hof eines Anliegers, der im Haus sitzt und uns durch die offene Tür fröhlich zuwinkt. Wir winken zurück, seine drei Hunde bleiben drin und sind uns daher sehr sympathisch. Das Dorf ist klein, vielleicht zwei Dutzend Häuser. Aber es ist ein pittoreskes Dorf, etwas fürs Bilderbuch mit weiß getünchten Häusern, roten Ziegeldächern und der Ermita San Sebastian y Santa Beatriz. Genau an der geht’s vorbei, ganz am Anfang auf etwas rüdem Weg (ich habe wohl zwanzig Schuheinlegesohlen gezählt, warum auch immer gerade die hier gelagert wurden. Gomerische Schnitzeljagd?). Aber nach wenigen Minuten begann die Zeit der Aaahhhhs und Oooohhhs angesichts der fantastischen Blicke in die Schlucht Barranco de la Rajita.
Beim Blick voraus erkennt man eigentlich noch gar nicht den Barranco – man ahnt ihn nur, weil es links eine Felswand gibt und rechts die, die wir runterkrabbeln werden – den Pfad sieht man deutlich, wie er sich an Höhlen vorbei hinunter schraubt. Im Hintergrund aus (für uns bislang) ungewohnter Sicht La Fortalezza, der von hier aus gar nicht so imposant tafelbergig aussieht. Der Blick zwar nicht zurück, aber nach unten, offenbart aber sowohl den Grund des Barranco de la Rajita als auch ein Zwischenziel: Man erkennt ein Haus mit dreieckigem Wasserbehälter und sieht im Hintergrund hinter der Höhe mit dem Dorf La Dama das Meer. Himmel wie Meer präsentieren sich blau – wir scheinen dem Regen entronnen!
Da kommt doch Freude auf. Einerseits. Andererseits könnte es ja auch sein, dass wir hier unvermutet in wüstenähnlichem Klima gelandet sind: Ein skelettierter Ziegenschädel am Wegesrand macht uns stutzig. Oder ist das hier der Ersatz für die Steinmännchen, die normalerweise Wanderern den Weg zeigen? Wieviel Wasser haben wir mit? – „Ausreichend!“ – Ach deswegen ist der Rucksack so schwer… Ein Blick nach unten zeigt zudem, dass wir uns deutlich grünerer Vegetation nähern: Wir sehen Palmen und terrassierte Nutzpflanzenanlagen. Alles wird gut!
Derweil haben es uns Löcher in den Felsen am Wegesrand angetan. Nicht nur Höhlen (die gibt’s auch, manche machen den Eindruck von Ziegenställen), sondern richtige Durchschüsse. Mit blauem Himmel dahinter, wenn man den richtigen Standpunkt erwischt. Oder mit der Freundin, wenn die sich auf der anderen Seite fotogen drapiert. Der Weg wird immer gemütlicher und schöner, Palmen sei Dank. Und bald sind wir auch schon am Talboden des Barranco. Eine mittlere Steinmännchenorgie zeigt uns fortan den Weg, der hier keiner ist: Im ausgetrockneten Flusstal geht es dem Meer entgegen. Man kann munter von Stein zu Stein huppen, unterwegs vielleicht mal ein Schwätzchen mit Schafen am Wegesrand halten. Ansonsten ist dieser Teil der unaufgeregteste der Wanderung…
Das Tal selbst ist so lang wie -weilig. Irgendwann lohnt es sich, links hochzusehen: da erkennt man die Häuser von Arguayoda an der Abbruchkante zum Barranco. Und weil wir von oben das Haus mit dem dreieckigen Wasserbehälter unter uns sahen, scheint der ja auch bald zu kommen – und so ist es: rechter Hand gibt eine Rost&Rohr-Installation sowie leicht versteckt die Möglichkeit, das Flussbett zu verlassen und die Straße zu nehmen. Hier wären mehr oder besser sichtbare Steinmännchen übrigens eine gute Idee! Wir haben da mal Aufbauhilfe geleistet!
Wenig später kommen wir an einer Bananenplantage vorbei und können das volle Programm beobachten: Früchte, Blüte, Tüte. Letztere, um den Früchten gleichmäßigeres Licht zukommen zu lassen (was in Ordnung ist) und sie schon mal ein bissl auf das Leben in der Warenwirtschaft bis zum Endverbraucher vorzubereiten und zu begasen (naja…). Die Straße führt uns erst einmal zur Ertüchtigung bergan – sowas machen Flussbetten bekanntlich nicht. Aber Straßen sind dafür weniger geröllig, was auch mal ganz angenehm sein kann. Die kleine Straße stieß auf eine größere Straße (aber auch dort begegnete uns kein Auto). Wir hätten weiter hoch nach La Dama gehen können und von dort aus einen alten Pfad runter nach La Rajita (Vorteil: oben gibt’s ne Gaststätte!) oder runter direkt nach La Rajita (Nachteil: unten gibt’s keine Gaststätte), was wir taten: Wasser und Brot waren im Rucksack, das sollte reichen.
La Rajita war mal Anfang des vergangenen Jahrhunderts eine veritable Thunfischkonservenfabrik, steht aber seit 1983 leer. Eigentlich wäre das doch ein guter Platz für ein Hotel, schön einsam und so. Ein Investor wollte wohl auch schon mal, bevorzugte dann aber die rechtzeitige Pleite. Nun will offensichtlich keiner mehr.
Der Weg zurück nach Arguayoda ist prinzipiell eher ein schöner aussichtsreicher Anstieg. Bei der Planung der Wanderung sollte man aber bedenken, dass die Sonne hier im Süden der Insel um die Mittagszeit ganz hervorragend brettert. Das kann, in Verbindung mit dem kleinen Anstieg von Null auf 430, durchaus schweißtreibend sein. Es geht in engen Kehren hoch, hoch und weiter hoch. Schatten? Fehlanzeige. Wie wir Fotografen sagen: Sonne lacht, Blende acht. Ein lachender Fotograf kommt in dem Spruch nicht vor. Die Zahl vernünftiger Bilder aus diesem Abschnitt lässt allerdings vermuten, dass es irgendwo auf der Welt wohl auch diesen Spruch gibt: Zuviel Sonne im Nacken lässt den Fotografen abkacken.
Mit mieserablem Stundendurchschnitt kamen wir ans Ziel – aber nicht unzufrieden: Wir hatten Sonne! Und auf dem Rückweg mit dem Auto noch Zeit für zwei Zwischenstopps: Der eine an der Ermita de San Lorenzo. Die Kapelle ist eine der ältesten der Insel und wird schon mit den ersten Europäern auf Gomera 1509 in Verbindung gebracht. An jedem 10. August ist die Kapelle Ziel einer Prozession, aber an allen anderen Tagen des Jahres ist die Aussicht auf La Fortalezza einerseits und die zerklüftete Landschaft bis zur Küste mit dem Barranco Charco andererseits etwas, was man allein und in aller Ruhe genießen kann. Es sei denn, eine Herde Schafe auf dem Weg nach Hause macht einem den Garaus!
(Der zweite Zwischenstopp war bei der einzigartigen Doña Efigenia…)
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