Bekanntes mit Mehrwert

Kochsternstunden 2019: St. Andreas im Blauen Engel/Aue

Vor dem Essen kommt das Essen. Zumindest in Häusern wie dem St. Andreas in Aue, in dem Benjamin Unger seit Jahren eine sternewürdige Küche zelebriert. Also gibt es zu dem 4-Gänge-Menü, das wir im Rahmen der Kochsternstunden testeten, vier Grüße aus der Küche vorab, einen zwischendurch und einen hinterher, die vom Aufwand her den Gängen des Menüs in nichts nachstanden – auch wenn sie natürlich deutlich kleiner ausfielen.

Märzen aus der HausbrauereiVor dem Essen kommt der Aperitif! Und der sollte bei einem Besuch in Aue auf jeden Fall ein Bier sein, weil zum Hotel Blauer Engel nicht nur das Feinschmeckerrestaurant St. Andreas gehört, sondern auch eine Hausbrauerei. Lotters Wirtschaft ist sowieso ein wunderbarer Name, weil’s ganz anders ist als man bei flüchtigem Zuhören meint – nein nein nein, keine Lotterwirtschaft, sondern Lotters Wirtschaft, benannt nach  dem um 1470 in Aue geborenen Melchior Lotter. Aus Lotters Druckerei in Leipzig gingen 1517 die 95 Thesen Martin Luthers in einem großen Plakatdruck hervor. Ihm zu Ehren heißen Brauerei und Schankstube so – eine mit Bieren, die man sogar als Wein- und Champagnerfreund mag. Kellertrüb, handgemacht, süffig.

Gruß 1: Dreierlei Gruß 2: Brot und AufstrichDazu genossen wir sehr den ersten Gruß aus der Küche, der dreiteilig war: Tatarstein (sah aus wie ein Pilz, war aber ein ausgebackener und luftgetrockneter Hefeteig, in dem das Tatar verborgen war), eine eingelegte gepickelte Kerbelwurzel sowie eine Gänseleberpraline auf Zwetschgenkompott. Drei Köstlichkeiten, mehr muss man dazu nicht sagen! Dann holte uns die Brauerei noch einmal ein, beim Brot: ein Schrot-Treber-Brot. Innen feucht, außen kross. Was zum satt werden, wenn man nicht aufpasst. Zumal es dazu drei Salze gab (Kakao, Purple Curry, Orangen), außerdem Olivenöl, hausgemachten Kräuterquark und etwas Butter. Und, damit’s nicht langweilig wird, noch Tomatenbrot, Petersilienbrot und Tandoori Naan Brot. Abendbrot beendet, und nun? Noch’n Gruß: Hummerschaumsüppchen, Hummerravioli auf mariniertem Hirsesalat.

Gruß 3: Hummersüppchen Gruß 4: FlanksteakUnd danach dachten wir, es könne nun aber mal losgehen mit Essen! Die Enttäuschung hielt sich in Grenzen, denn es kam zur Abwechslung mal – ein Gruß aus der Küche. „Machen wir immer, ist ein Hobby von uns!“, sagte Claudius Unger, der zu den lockersten und souveränsten Bedienungen überhaupt gehört (natürlich nur von denen, die ich kenne – aber ich kenne etliche!). Das hat er aber nicht flapsig gemeint, wie wir später erfuhren. Da kam nämlich der ältere Bruder Benjamin aus der Küche und plauderte aus dem Nähkästchen. Wie viel Zeit er für die Vorbereitung so eines Menüs brauche, wollten wir wissen. „Ich mache vieles davon ja alleine“, sagte er – da dauere die Vorbereitung für die beiden Menüs im St. Andreas „entspannte drei Tage.“ Nicht durchgehend, aber immer mal. Acht sind sie in der Küche, fürs St. Andreas und die anderen beiden Restaurants im Haus. Live hat die Speisen an diesem Abend unseres Besuchs übrigens der Sous-Chef zubereitet (weswegen Benjamin Unger auch mal mit uns schwatzen konnte): Ernst Sommer hat, muss man einfach mal so sagen, seine Sache super gemacht.

So, Ende der langen Erzählschleife, dabei kommt doch noch der vorerst letzte Küchengruß. Flanksteak, oben drauf Süßkartoffel, geschmorten Knoblauch, Süßkartoffelespuma, Senf-Crumble und Flanksteakjus. Auch dies eine Miniaturversion eines geschmacklich kompletten Hauptgangs. Eigentlich hätten wir jetzt ja gehen können, oder?

VorspeiseKeineswegs, denn nun begann doch das Kochsternstundenmenü mit Färöer Lachs I Rote Beete I Sellerie I Meerettich. Klingt einfach, ist es aber nicht! Denn die Rote Beete tauchte auf als Relish und als Sorbet (im Törtchen, voneinander getrennt durch kurz gegarten und marinierten Sellerie) und als Gel. Und Sellerie war nicht nur Trennscheibe, sondern auch zusammen mit Meerrettich auch im Chip und als Créme sowie gehobelt. Ging’s uns gut? Oh ja, auch weil wir zu diesem Gang den eingangs dem Bier geopferten Champagner bekamen. Die Cuveé 3 A Grand Cru von De Sousa et Fils, Champagne, Frankreich vermählt Trauben aus drei klassifizierten Grand Cru Lagen aus drei Orten mit A (aha, daher der Name 3 A!). 50 % Chardonnay aus Avize und je 25 % Pinot Noir aus Aÿ und Ambonnay aus Trauben von zum Teil 45 Jahre alten Rebstöcken bilden die Grundlage für diesen, pardon: geilen Champagner. Der hätte die Kraft, Begleiter für den ganzen Abend zu sein (war er nicht, wir lieben ja die Abwechslung).

ZwischengangWenn in der Karte steht, dass es Perlhuhn | Sauerkraut | Blutwurst | Apfel gibt, dann klingt das vordergründig wie eine verfeinerte und angereichter Version von Himmel un Ääd. Der Klassiker hatte in der uns servierten Variante aber deutlich Mehrwert erlangt. In einem ganz ganz feinwürzigen Sauerkrautsüppchen ohne Speck (der gehört zum Gericht, fand sich aber trocken gelegt obenauf als Crunch wieder, zusammen mit Kartoffelcrunch und einem Stück krosse Haut) lagerte das Perlhuhn, in dem sich Gänsestopfleber befand – die, weil erwärmt, flüssig wurde und also Auslauf bekam. Ach ja, unter dem Perlhuhn befand sich dann noch ein Blutwurstflan und Apfelkompott mit Ingwer. Das Sauerkraut hatte Unger mit Ananassaft gekocht, um Säure ins Spiel zu kriegen. Himmlisch und überirdisch wäre vielleicht ein guter Alternativname für dieses Gericht.  Zu trinken gab’s dazu etwas heimisch Bekanntes: den 2016 Riesling trocken, Meissner Kapitelberg trocken vom Weingut Schuh, Sachsen. Den mögen wir ja sowieso, und er muss sich in so einem Menü überhaupt nicht verstecken!

SorbetFür Situationen wie diese, in denen sich dann doch ein gewissen Quantum an Sättigungsgefühl eingestellt haben könnte, haben die Franzosen das Trou Normand erfunden – ausgehend von der (irrigen, wie wir wissen, aber nicht gerne zugeben) Theorie, dass Alkohol den Magen aufräumt. Die Franzosen kombinieren gerne Apfelsorbet mit Calvados – klar, den haben sie da ja in bester Qualität. Die Unger-Brüder schafften es, uns mit Feigenessigsorbet, das mit Lena Marie La Roche Riesling vom Espenhof in Rheinhessen (ein 2017 Jahrgangssekt) aufgegossen wurde, auf den Hauptgang vorzubereiten.

HauptgangGroßes Dekanter-Kino folgte. Da wäre mehr reingegangen als die eine Flasche 2012 Syrah trocken vom Weingut Knipser, dessen knallige Johannisbeere in Verbindung mit nur leichten Röstaromen wie gemacht schien für Pommersche Hochrippe | Petersilie | Trüffel | Zwiebel. Ein schönes Stück Fleisch, auf den Punkt – und aus der Vogelpersektive wegen der reichlichen Trüffelgabe kaum zu entdecken.

Dessert Petit FoursWie so oft waren wir sehr glücklich, dass es für Dessert einen eigenen Magen gibt. Denn auf Quark Panacotta, Farinabona ganache, Heidelbeergel, Heidelbeeressiggelee Quarkespuma, dehydrierte eingelegte Heidelbeere, Orangenhippe, Quarksteine, den Topfen Haselnussknödel und das Salzkarameleis sowie den Farinabona Bisquit hätten wir nun überhaupt nicht gerne verzichten wollen, auch wenn sich das auf der Karte ganz einfach las: Eingelegte Heidelbeere I Quark I Salzkaramell I Farinabona. Farinabona, bevor da sich jetzt alle fragen, ist karamelisierter Maisgries und schmeckt (auch, weil nicht alle diese italienische Spezialität haben) gar köstlich. Begleitet wurde das Dessert, das mit Salz und Säure sowie Wärme und Kälte alles drin hatte, von einem 2016 Riesling Kabinett Bockstein von Nik Weis, St. Urbans-Hof.

Ich sag’s nur ungern. Aber danach kamen noch Petit Fours. Keine Ahnung, wohin die sich verdrückt haben…

Benjamin und Claudius UngerDie Küche sei sternewürdig, hatte ich eingangs geschrieben. Die Inspektoren des Guide Michelin sehen das anders. Sie verleihen zwar aus Versehen (oder aus mangelnder Recherche/Sorgfaltspflicht) schon mal einen Stern an ein längst geschlossenes Restaurant, aber an Aue gehen sie zwar nicht vorbei, aber verlieren dort auch keinen Stern. In einem Interview beim geschätzten Kollegen Max Ragwitz vor etwa fünf Jahren meinte Benjamin Unger:

„Sagen wir es mal so: Der glückliche Gast ist mein Hauptanliegen. Nur mit guter Leistung kann ich den Gast überzeugen. Dann wird sich zeigen, ob auch die Restauranttester das honorieren. … Die Anerkennung des Gastes ist der eigentliche Stern für uns.“ Und die Nachfrage, ob „ein Stern ein maßgebliches Kriterium für einen Spitzenkoch“ sein, antwortete Unger: „Kurz und bündig: Nein. Punkt.“ Ich fände es freilich trotzdem toll, so als Anerkennung einer für die Region überdurchschnittlichen Leistung über die Jahre hinweg…

Das Menü

  • Färöer Lachs | Rote Beete | Sellerie | Meerettich
  • Perlhuhn | Sauerkraut | Blutwurst | Apfel
  • Pommersche Hochrippe | Petersilie | Trüffel | Zwiebel
  • Eingelegte Heidelbeere | Quark | Salzkaramell | Farinabona

Die Weine

  • Cuveé 3 A Grand Cru | De Sousa et Fils | Champagne Frankreich
  • 2016 Riesling | Meissner Kapitelberg trocken | Weingut Matthias Schuh Sachsen
  • 2012 Syrah trocken | Weingut Knipser
  • 2016 Riesling Kabinett Bockstein | Nik Weis St. Urbans-Hof

Die Preise

  • 3-Gänge-Menü 75,50 € (Weinbegleitung zzgl. 25,00 €)
  • 4-Gänge-Menü 84,00 € (Weinbegleitung zzgl. 35,00 €)

St. Andreas im Hotel Blauer Engel
Altmarkt 1
08280 Aue

Tel. +49 3771 5920
www.hotel-blauerengel.de

Öffnungszeiten
Di – Sa 17 – 24 Uhr
Feiertag Ruhetag, Küchenschluss 21:30 Uhr

[Besucht am 6. März 2019 | Übersicht der hier besprochenen Restaurants in Dresden und Umgebung]

Hinweis:
Die STIPvisiten sind Partner der Kochsternstunden.

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